Wo endet ein Spiel zwischen den Seattle Seahawks und den New England Patriots? An der Ein-Yard-Linie natürlich. Die gute Nachricht vorweg: Diesmal ging’s besser aus für Head Coach Pete Carrolls Team. Und: Russell Wilson kocht weiter. Die schlechte: Das muss er auch tun, denn seine Defensive wird ihm in den kommenden Wochen wohl kaum helfen. Die Seahawks besiegten am frühen Montagmorgen die Patriots mit 35:30, weil sie einen Quarterback in MVP-Form haben. Sie verloren fast noch, weil sie eine Defense ohne jegliche Durchschlagskraft im Pass Rush haben und die Manndeckung ohne Druck an der Line irgendwann immer zusammenbricht.

Am Ende war es ein Stop an der Goalline von Defensive End L.J. Collier, Safety Lano Hill und Linebacker Bobby Wagner, der das böse Erwachen mit ablaufender Uhr verhinderte. Bis dahin hatten sich die zwei Quarterbacks Russell Wilson und Cam Newton einen erbitterten Luft- und Bodenkampf geliefert, der unterhaltsam war und von Receiver-Nebendarstellern wie DK Metcalf, Julian Edelman und Tyler Lockett illustriert wurde.

Der Spielverlauf:

Die Hauptdarsteller:

QB Russell Wilson: Zu Beginn der Woche waren die Bedenken noch groß, ob man bei all dem Rauch in der Luft am Wochenende Football spielen könne in Seattle. Dann setzte der Spielmacher zu seinen Tiefpässen an, kratze mit wunderschönen Regenbogenbällen die letzten Rußpartikel vom Himmel und bediente seine Receiver maßgeschneidert. Nach zwei Wochen NFL sieht Wilson aus wie der klare Favorit auf die MVP-Auszeichnung. Weil er in sensationeller Form ist. Und weil seine Trainer ihn machen lassen.

WR DK Metcalf: Dem jungen Receiver stellten die Patriots All-Pro Stephon Gilmore auf die Füße. Doch davon ließ sich Metcalf nicht beeindrucken, denn er entwischte seinem Bewacher – dem aktuellen NFL Defensive Player of the Year – sehenswert bei einem 54-Yard-Touchdown-Pass von Wilson. Vier Fänge für 92 Yards tauchen in der Statistik auf, doch unterm Strich sind es auch die bei Laufspielzügen bissigen Handgefechte im physisch anspruchsvollen Duell mit Gilmore, die Metcalf zu einem der Spieler des Spiels machen.

OC Brian Schottenheimer: Was war unter der Woche nicht alles zu lesen über den Offensive Coordinator. „Stockkonservativ.“ „Das Kochen war eine Ausnahme.“ „Sie werden wieder mehr laufen lassen.“ Das mag in der Vergangenheit so gewesen sein. Das mag bei Pressekonferenzen auch jetzt noch so geklungen haben. Wer sich aber auf Coach Speak und Nebelkerzen der Trainer verlässt und sich auch jetzt noch an dieses Narrativ klammert, tut das, wofür er selbst Carroll und Schottenheimer seit Jahren kritisiert: an Falschem festhalten. Es passt zwischen Schotty und seinem Quarterback. Die zwei Offense-Dirigenten pflegen einen direkten Umgang, der es ihnen erlaubt, aneinander Kritik zu üben und sich gegenseitig zu pushen. Das Resultat ist das, was wir seit zwei Wochen sehen und bereits in der vergangenen Saison in Ansätzen gesehen haben. Eine Offensive, die liefert, kreativ ist, aus vielen Richtungen Gefahr bringt. Fangen wir endlich an, Brian Schottenheimer dafür Respekt zu zollen.

Die Nebendarsteller:

Ehrenvolle Erwähnung: WR Tyler Lockett fürs Muskeln spielen lassen. Er wiegt eigentlich nicht genug, als dass er für einen Blindside-Block bestraft werden sollte, doch genau so kam es. Respekt dafür! Ansonsten das Übliche: sichere Hände und ein Auge für offene Räume – in der Endzone wie überall auf dem Feld (7 Reception, 67 Yards, 1 Touchdown). Die O-Line für ein überdurchschnittliches Spiel. Die Positionsgruppe ließ nur zwei Sacks zu und ermöglichte es Russell Wilson und den Running Backs, bei den frühen Downs ausreichend Raumgewinn zu erzielen. Nur sieben Mal ging Seattle in ein Third Down. WR David Moore für den schönsten Fang der Nacht und unglaubliche Körperbeherrschung. CB Quinton Dunbar für die zweite Seahawks-Interception der Saison. Er schnappte sich nach zwei wirklich fangbaren Bällen diese und vergangene Woche endlich seinen ersten Pick. Dunbar spielte zu Beginn soft und lockte Newton mit viel Platz, biss dann aber eiskalt zu.

Stets bemüht: CB Ugo Amadi kam für den verletzten Marquise Blair aufs Feld und wurde ähnlich wie Safety Lano Hill permanent getestet. Wenn er Pässe zuließ, war er aber immer nah am Gegenspieler, um das Tackling zu setzen. Seine Rolle wird in den kommenden Wochen größer werden. SS Jamal Adams war erneut einer der Aktivposten auf dem Feld, doch er wirkte zwischen Pass Rush und Passverteidigung oft gefangen, kassierte durch die Luft einige Big Plays und strahlte diesmal in keinem Bereich die Dominanz aus, die von ihm in Week 1 zu sehen war. Die Linebacker, speziell Bobby Wagner und K.J. Wright, hatten massig zu tun mit kurzen Pässen und Läufen von Cam Newton. Viel zu holen gab’s für sie diesmal nicht.

Meh: TE Greg Olsen machte Fehler, die man vielleicht gerade noch einem Rookie verzeiht, aber eben nicht einem Veteran in seinem 14. Jahr. Erst ein Drop beim Pick Six zu Beginn, dann ein False Start kurz vor der Halbzeitpause, am Schluss kam nix mehr. Die D-Line machte kaum Druck. Es spricht Bände, dass der einzige Sack an diesem Abend von Safety Adams kam, der die Statistik nach zwei Spielen sogar anführt. Das Problem der Seahawks war vor der Saison vorhersehbar und ist jetzt so offensichtlich wie befürchtet. Aussicht auf Besserung – kaum. Woher soll sie kommen?

Doppelmeh: FS Quandre Diggs setzte im ersten Quarter bei einem Tackling zu hoch an (wie ähnlich schon vergangene Woche) und wurde daraufhin zurecht vom Platz geworfen. Es ist bekannt, dass die NFL solche Aktionen aus dem Spiel verbannen will. Das sollten Diggs als mehrjähriger Starter und der Rest der Secondary (auch Amadi war einmal nah dran am illegalen Helm-Tackling) wissen. Von der Schwächung erholte sich die Defensive nicht mehr. Immer wieder stießen die Patriots in große Lücken in der Mitte des Feldes, die normalerweise der Free Safety abgedeckt hätte, die so aber komplett unbesetzt waren. Ohne Diggs war die Secondary vielleicht sogar ein größeres Problem als der Pass Rush.

Die Highlights:

Verloren. Da hängte er mal kurz All-Pro-Cornerback Stephon Gilmore ab. Wide Receiver DK Metcalf entwischt inzwischen auch der Außenverteidiger-Elite der NFL.

Verrückt. David Moore fing diesen Pass von Russell Wilson mit dem Rücken zur Endzone. Er stieß mit der Ferse an die orangene Pylone und merkte dabei wohl, dass er seinen zweiten Fuß weiter nach innen bewegen musste. Diese Körperbeherrschung kennt man sonst nur von Balletttänzern und Akrobaten. Übrigens hat Moore in dieser Saison bislang keinen Ball fallengelassen. Er ist aktuell der klare dritte Mann auf Wide Receiver.

Verbarrikadiert. Dass ausgerechnet der letztjährige Totalausfall auf Defensive End, L.J. Collier, den entscheidenden Stop gegen Patriots-Quarterback Cam Newton schaffte, macht die Geschichte umso schöner. Der D-Liner kündigte in der Offseason den Neustart an und liefert nun auf dem Feld auch dementsprechend. In zwei Wochen NFL hat er bereits mehr positive Aktionen gezeigt als in der gesamten vergangenen Spielzeit. Bei der spielentscheidenden Aktion profitierte er auch vom gedankenschnellen Handeln Lano Hills, der Vorblocker Jakob Johnson aus dem Weg räumte. Und von Bobby Wagners zerstörerischer Kraft.

Die Randnotizen:

Die Verletzten:

Defensive Tackle Jarran Reed verließ Mitten im Aufwärmen gemeinsam mit einem Arzt das Spielfeld. Es ist unklar, warum er behandelt werden musste, doch er stand bei Spielbeginn auf dem Kunstrasen. Left Tackle Duane Brown hatte Glück, als ihm Left Guard Mike Iupati im zweiten Spielzug von hinten aufs Bein fiel. Er machte nach kurzer Pause weiter.

Weniger glücklich ging eine ähnliche Situation für Defensive Back Marquise Blair aus. Ihm krachte Linebacker K.J. Wright seitlich so ins Knie, dass sich dieses verbog, wie sich kein Knie verbiegen sollte. Ganz bitter für den jungen Nickel-Verteidiger, der gerade so richtig angekommen war in der Defensive der Seahawks. Nun wird er wohl lange ausfallen.

Auch Linebacker Bruce Irvin verletzte sich. Er griff sich nach einem Rush-Versuch ans Knie und humpelte gestützt durch Kollegen vom Feld. Aber: Irvin gab nach dem Spiel schnell Entwarnung, Carroll sprach von einer Überdehnung.

Das Zitat:

„Es ist ein bisschen wie Thanksgiving. Du weißt, dass du etwas Leckeres bekommen wirst.“ -Wide Receiver David Moore auf die Frage wie es ist, Russell Wilson beim Kochen zuzuschauen

Der Tweet:

Selbsterklärend. MVP-Kandidat Nummer eins. Insgesamt neun Touchdowns bei elf Incompletions. Russell Wilson ist ein Mann auf Mission.

Das Fazit:

Es hätte nicht so eng werden müssen, doch die Seattle Seahawks machten Cam Newton und die New England Patriots stark, weil sie ihnen eine komplett zahnlose Defensive entgegenstellten. Das krasse Manko der Verteidigung ist nach zwei Wochen der Pass Rush. Newton ist kein schlechter Werfer, aber eben auch schon länger nicht mehr als fantastischer Passspieler aufgefallen – bis zu diesem Sonntag (Ortszeit). Weil die Seahawks ihm unbegrenzt Zeit gaben, seine Anspielstationen durchzugehen, machte Newton aus 44 Würfen knapp 400 Yards. Da waren ohne Zweifel ein paar schöne Bälle dabei. Und selbst die beste Secondary – davon ist Seattle aktuell weit entfernt – kann den Pass nicht verteidigen, wenn an der Line of Scrimmage keine Hektik entsteht.

Das geht solange gut, bis die Offensive des Teams aus dem Pacific Northwest doch mal ins Stocken gerät. Erfreulicherweise ist Russell Wilson aktuell in der Form seines Lebens und kann eine hervorragende Offensive dirigieren. Das reicht gegen viele Gegner. Es werden aber Tage kommen, an denen er die Hilfe seiner Defensive braucht. Stand jetzt werden die Seahawks an diesen Tagen das Spielfeld als Verlierer verlassen, weil diese Hilfe bislang ausbleibt. Der zweite Spieltag, er wäre fast gar so ein Tag geworden.

Ausblick: In Week 3 empfangen die Seahawks am Sonntag um 22.25 Uhr die Dallas Cowboys im CenturyLink Field, die nach einem sensationellen Comeback-Sieg an diesem Sonntag nun bei 1-1 stehen.