Da ist sie dahin, die realistische Chance auf Platz 1 in der NFC. Gegen das Team aus dem Big Apple haben sich die Seattle Seahawks ein Big Ei ins Nest gelegt. Bei der 12:17-Heimniederlage gegen die New York Giants verlor die Mannschaft aus dem Pacific Northwest nicht nur die Tabellenführung in der Division, sondern auch die bisher charakteristische Eigenschaft, trotz noch so widriger Umstände immer wieder in Spiele zurückzufinden.

Es deutete sich in Week 7 an, setzte sich in Week 9 und 10 fort und bestätigte sich in Week 12 und 13. Die Seahawks haben ein gewaltiges Problem in der Offensive, wenn sie ihr Tiefpassspiel nicht in Gang bringen. Ihnen fehlt ein Plan B. Wie zuvor schon beispielsweise die Minnesota Vikings deckten die Giants ihre tiefen Zonen häufig mit zwei Safetys ab und versteckten vor dem Snap ihre tatsächliche Formation, sodass lange Bälle auf die Wide Receiver DK Metcalf und Tyler Lockett komplett eliminiert waren. Die neu entstandenen Räume direkt hinter der Line of Scrimmage (mehr Platz in der Box) konnte Seattle nicht nutzen, weil Chris Carson und Carlos Hyde angeschlagen waren, Russel Wilson panikartig die Flucht ergriff und die O-Line weit von ihrer Form und Chemie aus dem September weg ist.

Dass die recht solide Defensive ausgerechnet gegen New Yorks Laufspiel (allen voran Wayne Gallman mit seinen 16 Läufen für 135 Yards, davon einmal über 60 Yards) schlapp machte und so Giants-Backup-Spielmacher Colt McCoy überhaupt nicht in riskante Schnellschüsse zwang, tat das Übrige an diesem gebrauchten Tag. Saquon Barkley und Daniel Jones vermisste jedenfalls niemand.

Der Spielverlauf:

Die Hauptdarsteller:

Error. Die Seattle Seahawks versagten an diesem Tag zumindest in der Offensive kollektiv. Da entwickelt sich ein Trend. In den ersten acht Spielen der Saison erzielte das Team vier oder mehr Touchdowns, in den vergangenen vier nur noch insgesamt sieben.

Auf der anderen Seite: Credit an die New York Giants, die mannschaftlich geschlossen, ohne ihren Stamm-Quarterback Daniel Jones und mit starker Defensive ein grauenhaftes Spiel der Seattle Seahawks zu ihrem Vorteil nutzten und in den entscheidenden Momenten zur Stelle waren.

Die Nebendarsteller:

Ehrenvolle Erwähnung: LB Jordyn Brooks fürs Covern. Denn das war die Fähigkeit, die ihm etliche Experten nach dem Draft absprachen, weil sie nur sein Tape aus der College-Saison 2019 gesehen hatten. Die Linebacker-Kollegen Bobby Wagner und K.J. Wright ziehen sich hier ihren Nachfolger heran. SS Jamal Adams fürs Lücken füllen und Löcher stopfen in der Defensive, wenn die sich von Richtungswechseln im Laufspiel der Giants täuschen ließ. Oder wenn Kollegen den Sack-Sack nicht zumachten. S Ryan Neal für einen abgewehrten Pass, der zur Interception von FS Quandre Diggs führte, und einen geblockten Punt, der zum Safety führte.

Stets bemüht: QB Russell Wilson verfehlte mehrfach DK Metcalf, spielte Tyler Lockett zweimal zu hoch an, verlor einen bereits gesicherten Fumble wieder, agierte generell viel zu hektisch und kassierte mehrere bitterböse Sacks, als er den tiefen Pass erzwingen wollte. Es war gut zu erkennen, dass er seiner O-Line kein sonderlich großes Vertrauen schenkte und völlig von der Rolle war. Zum wiederholten Mal in dieser Saison. WR DK Metcalf ist inzwischen die wichtigste Anspielstation Wilsons – und macht daraus oft viel. Aber die Drops häuften sich zuletzt gegen die Philadelphia Eagles und nun die Giants wieder.

Meh: Die Offensive Line wackelte ohne Right Tackle Brandon Shell gewaltig. Auch Backup Jamarco Jones konnte wie in der Vorwoche Cedric Ogbuehi den Starter nicht adäquat ersetzen. Und Chad Wheeler schon garnicht. Das Coaching schrie nach Windeln, so voll wie die Seahawks-Trainer die Hosen hatten. Was bewegte sie zum Punten an der gegnerischen 37, obwohl der eigene Kicker locker 60 Yards im Fuß hat? Warum läuft man ständig auf die Seite der Line, die eh schon schwer zu kämpfen hat? Wieso gibt’s keinen Plan B, wenn der Tiefpass aus mehreren Gründen eliminiert ist? DT Jarran Reed und die anderen D-Liner, die in dieser Partie nur am Ende als schlechte Verlierer auffielen.

Die Highlights:

Wurf mit Feuer, Fang mit Feuer, Hit mit Feuer. Dass Tyler Lockett den Ball erreichte und dann auch noch festhielt, kann das menschliche Gehirn nur langsam verarbeiten.

Seahawks-Legende Marshawn Lynch würde das „just a little Baby Stiff Arm“ nennen. Hier dürfte der ganz gut als umgekehrte Symbolik funktionieren. Metcalf stellt die Giants dar, Bradberry die Seahawks… uff:

Die Randnotizen:

Die Verletzten:

Weder der Starter auf Right Tackle, Brandon Shell, noch sein Backup Cedrick Ogbuehi wurden rechtzeitig fit. Deshalb begann O-Liner Jamarco Jones auf der rechten Seite der Angriffslinie.

Im zweiten Drive der Seahawks ging Wide Receiver Tyler Lockett unglücklich zu Boden und wurde von einem Knie hinten am Helm getroffen. Er durchlief das Concussion Protocol jedoch ohne Probleme und kehrte bereits im nächsten Drive zurück. Am Ende des dritten Quarters verließ Safety Ryan Neal das Feld humpelnd. Er wurde in die Kabine gefahren. Im vierten Viertel kam Chad Wheeler als Right Tackle für den an der Leiste verletzten Jamarco Jones rein.

Das Zitat:

„Gegen ein Team aus New York zu verlieren, tut definitiv ein bisschen mehr weh.“ -Strong Safety Jamal Adams nach der Niederlage gegen die Giants (bevor es kommenden Sonntag gegen sein Ex-Team, die Jets, geht)

Der Tweet:

Head Coach Pete Carroll hat einen Wandel vollzogen in der Offseason – in Bezug auf ein paar Dinge (wie die Quote der Pässe bei den frühen Downs in neutralen Situationen). Doch in anderen Bereichen klammert er sich nach wie vor an Ansichten aus dem Football-Mittelalter wie ein Faultier an seinen Ast. Klar, Punts von Michael Dickson sind schön anzusehen. Aber dass Touchdowns (oder Field Goals) schöner sind, steht hier doch nicht ernsthaft zur Debatte, oder? Oder?

Das Fazit:

Bis zu diesem Spieltag hatten Teams aus der NFC East in dieser Saison keinen einzigen Sieg gegen eine Mannschaft mit positiven Record erzielt. Dann empfingen die Seattle Seahawks die New York Giants. Der desaströse Auftritt der Herren von Cheftrainer Pete Carroll stellt klar, dass die Seahawks aktuell weit entfernt davon sind, ein Championship-Team zu sein. Denn als solches hätten sie noch einen Weg gefunden, die Partie in den letzten Minuten zu drehen. Als solches hätten sie eine Alternative zum Tiefpass parat gehabt. Oder anders formuliert: Womöglich hätte ein Russell Wilson in Normalform gereicht, um die restliche Offensive mitzuziehen.

Es war wie in der Vorwoche. Weder die Philadelphia Eagles noch die New York Giants hatten eine Chance, gegen die Seahawks zu gewinnen, solange die es nicht zulassen würden. Doch Seattle tat in Week 13 genau das. Mit desolatem, planfreien, lustlosem Auftreten in der Offensive. Mit nicht über die volle Spielzeit hinweg beständiger Defensive. Strong Safety Jamal Adams mag seine Kollegen in der Verteidigung nach Spielende kritisieren und Besserung geloben, doch diese Niederlage hat die Angriffsabteilung zu verantworten.

Eine Trotzreaktion muss nun die Folge sein. Die bringt zwar Platz 1 in der Conference nicht mehr nach Seattle. Doch sie gibt vielleicht ein wenig Hoffnung, dass die Seahawks in den Playoffs doch etwas zu suchen haben. Zumindest für eine Runde. Es könnte gut sein, dass dann für die Seahawks als fünftplatziertes Team der NFC dann erneut die Giants auf dem Programm stehen.

Ausblick: In Week 14 empfangen die Seahawks das zweite Team aus New York, die Jets, ebenfalls um 22.05 Uhr im Lumen Field.