12 Fragen an… Christian Mohr

12 Fragen an Christian Mohr

Christian Mohr (36) ist einer von zwei Deutschen, die bei den Seattle Seahawks unter Vertrag standen. Der ehemalige Defensive End begann seine Karriere bei den Düsseldorf Panthern und spielte während seiner aktiven Zeit unter anderem auch für Berlin Thunder und Rhein Fire (NFL Europe). Heute leitet er als der einzige deutsche Diplomsportwissenschaftler mit NFL-Erfahrung sein eigenes Gym in Aachen. Im Interview mit den German Sea Hawkers spricht Christian Mohr über seinen Weg in die NFL, Bekanntschaften aus alten Tagen in Seattle und die Atmosphäre im CenturyLink Field.

Christian, Du standest zwei Jahre lang bei den Seattle Seahawks unter Vertrag. Wie bist Du im Pacific Northwest gelandet?
2004 bin ich in die NFL Europe gekommen und habe bei Berlin Thunder gespielt. 2004 war auch das erste Jahr, in dem NFL und NFL Europe gemeinsam das International Player Development Program ins Leben gerufen hatte, um internationale Spieler vor Ort an den Football in den USA heranzuführen. Es wurde vier Spieler ausgewählt und Teams zugeteilt. So kam es, dass ich 2004 und 2005 in Seattle war.

Du wurdest praktisch ins kalte Wasser geworfen?
Es ging bei mir alles sehr schnell. Anfang 2004 war ich noch bei den Düsseldorf Panthern im Team und habe mich recht schnell weiterentwickelt. Jedoch hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich im selben Jahr schon in der NFL Europe spielen würde. Und wenn man damit nicht rechnet, dann rechnet man natürlich auch nicht damit, dass man plötzlich in der NFL landet. Begreifen konnte ich das zunächst nicht.

Von heute auf morgen bist Du in einer neuen Welt angekommen. Was waren die prägnantesten Unterschiede zwischen der neuen und der alten Umgebung?
Ich werde auch heute noch oft gefragt, was der große Unterschied zwischen Europa und der NFL ist. Dann antworte ich ganz gerne: Wenn man sich schon vorstellt, dass American Football hier in Deutschland in Fußballstadien und in den USA tatsächlich in American Football-Stadien ausgetragen wird, die oft bis zu einer Milliarde Dollar kosten, dann realisiert man schnell, welchen Schwerpunkt die Sportart in der US-amerikanischen Kultur hat. Das merkt man auch im Training, alles ist durchgeplant bis ins letzte Detail. Und das Playbook ist um einiges umfangreicher als in der NFL Europe oder der GFL.

Kannst Du den Alltag einer typischen Trainingswoche beschreiben?
Wenn man davon ausgeht, dass sonntags gespielt wird, dann beginnt die Woche montags mit Meetings auf dem Trainingsgelände. Zunächst richtete der damalige Head Coach Mike Holmgren ein paar Worte ans gesamte Team. Danach wurde aufgeteilt in Offense, Defense und Special Teams. Und dann wieder in die verschiedenen Positionsgruppen. Das zog sich über ungefähr zwei Stunden. Anschließend folgten eine Walkthrough-Einheit, weitere Meetings, Krafttraining und dann noch eine Trainingseinheit auf dem Feld. Während der Saison gab es montags keinen harten Kontakt im Training. Da haben wir nur sogenannte Shells angezogen, also keine komplette Ausrüstung. Dienstag war quasi der freie Tag. Quasi sage ich, weil man als Spieler dennoch zum Krafttraining in die Facility kam. Videoanalysen standen auch an, aber keine großen Meetings. Das heißt, man war auch relativ schnell wieder fertig. Mittwoche und Donnerstage waren die langen Tage, an denen morgens Meetings anstanden, in denen es besonders um Videoanalyse des nächsten Gegners ging. Darauf folgte eine Trainingseinheit, um an den Gegner angepasste Spielzüge in den Gameplan einzubauen. Dann wieder Meetings, um zu prüfen, ob bei der ersten Einheit schon alles gut lief. Danach eine Einheit mit Pads, die wiederum gefolgt war von weiteren Meetings mit Videoanalyse des vorangegangenen Trainings, um Fehler abzustellen. Wenn der Tag um 7 Uhr angefangen hat, war meist zwischen 17 und 18 Uhr Schluss. Der Freitag war je nach Spielort ein sogenannter Travel Day. Folglich wurde nur die Hälfte des Tages in Meetings und Trainingseinheiten verbracht, danach ging es auf Tour, wenn wir auswärts spielten. Am Samstag ging das Pensum runter. Da standen um etwa 9 Uhr Meetings und nach dem Mittagessen ein Walkthrough für das Spiel am Sonntag an. Nach dem Spiel am Sonntag ging der Rhythmus dann wieder von vorne los.

Nicht vergleichbar mit Profisport in Deutschland, oder?
Als ich bei Berlin Thunder gespielt hab, haben wir uns das Trainingsgelände mit den Fußballern von Hertha BSC geteilt. Die Jungs waren erstaunt, wie viele Meetings wir Footballer auf dem Programm hatten. Ich weiß nicht, ob sich das im Fußball inzwischen geändert hat, aber der Football ist da recht professionell aufgestellt.

Wie war Dein Verhältnis zu den anderen Spielern in Seattle?
Das war sehr gut. Im ersten Jahr in der Practice Squad mussten wir oft das gegnerische Team simulieren und dementsprechend gegen die ganzen Stammspieler ran. Von denen wurde ich in Seattle gut aufgenommen, ich habe mich schnell wohlgefühlt. Und von den Rookie-Ritualen musste ich zum Glück auch nichts machen, da bin ich ganz gut weggekommen. Meine Stammspieler-Jungs haben mich da in Schutz genommen und gesagt: „Der muss das alles nicht machen.“ Mit Defensive End Grant Wistrom war ich damals befreundet, habe Halloween und Thanksgiving mit ihm gefeiert. Offensive Tackle Walter Jones war ein ganz ruhiger Zeitgenosse. Und mit Jerry Rice war ich 2004 auch kurze Zeit auch noch im gleichen Team. Das war ein Riesending für mich. Allgemein hat man mit seinen Positionskollegen mehr zu tun, auch abseits des Spielfelds.

Wie haben sich diese Freundschaften über die Zeit entwickelt?
Ich habe auch heute noch ein gutes Verhältnis zu Defensive End Joe Tafoya, der zuletzt auch für die Organisation des Lautstärke-Weltrekordversuchs im CenturyLink Field zuständig war. Und das obwohl NFL bei den Spielern oft auch für Not For Long steht. Die NFL ist ein schnelllebiges Geschäft. Dennoch – ein paar Kontakte haben sich gehalten. Football ist eine herzliche Sportart. Ich habe durch den Sport viele meiner Freunde überall auf der Welt kennengelernt und bin stolz drauf, dass diese Beziehungen so gut gehalten haben.

Die Saison 2005 war für die Seahawks eine besondere.
Für mich leider auch, da ich mich in der zweiten Woche so schwer am Knie verletzte, dass ich operiert werden musste. Leider verlief die OP dann auch nicht ganz so gut. Zunächst hieß es, dass ich nach sechs Wochen wieder auf den Platz könne. Das hat sich aber nicht bewahrheitet und nach acht Wochen musste ich dann erneut unters Messer. Damit war die Saison für mich beendet und somit leider auch meine Zeit in Seattle. Natürlich hab ich den Jungs bei ihrem Anlauf auf den Titel trotzdem die Daumen gedrückt. Leider hat es am Ende nicht ganz gereicht.

Wie aktiv verfolgt Christian Mohr das Geschehen rund um die Seahawks heute noch?
Seattle ist und bleibt mein favorisiertes NFL-Team. Ich bin sehr stolz, dort meinen ersten Profivertrag unterschrieben zu haben – wider Erwarten. Während meiner Zeit in der Practice Squad 2004 wurde mir ein Knochensplitter im rechten Sprunggelenk entfernt. Vor dem Eingriff rief mich der Personalbeauftragte zu sich ins Büro und gab mir mit auf den Weg: „Chris, hör zu, wir überlegen ob wir Dich für zwei Jahre unter Vertrag nehmen.“ Ich dachte zunächst, das sei eine dieser typisch amerikanischen Aussagen und habe mir keine großen Hoffnungen gemacht. Doch nach der OP war ich zu Hause und es kam völlig unerwartet der Vertag der Seahawks per Post. In dem Moment habe ich realisiert, dass die Seattle Seahawks an mich und mein Talent glaubten. Das hat mir viel bedeutet – aus der GFL2 zum Zweijahresvertrag in der NFL. Deshalb ziehe ich auch heute noch gerne das Trikot mit meinem Namen über, feure die Jungs aus der Ferne an und kommuniziere mit Joe Tafoya.

In Seattle hast Du eine völlig neue Trainingskultur kennengelernt. Inwieweit überträgst Du diese auf Deinen heutigen Beruf als Personal Trainer in Deinem eigenen Fitnessstudio?
Das mache ich definitiv. Die Zeit in Seattle hat mir Türen und Tore geöffnet. Es gibt tausende Personal Trainer und Coaches, aber es gibt eben in Deutschland nur wenige, die Erfahrung in der NFL sammeln durften. Von dieser Trainingsmentalität lass ich viel in meine tägliche Arbeit einfließen. Ich arbeite auch mit einigen Footballern zusammen.

Marshawn Lynch hat seine Karriere beendet. Sein Nachfolger Thomas Rawls steht schon in den Startlöchern. Was prognostizierst Du für das Running Game der Seahawks in der neuen Saison?
Mit Marshawn Lynch bricht eine Aura weg. Er hat eine gewisse Attitude bei den Seahawks mit reingebracht, die das Team so though gemacht hat. Thomas Rawls hat in der vergangenen Saison bereits einige gute Spiele gemacht. Es heißt in der NFL inzwischen, dass man auch in den späteren Runden des Drafts viele Running Backs finden kann, die sehr erfolreiche NFL-Karrieren hinlegen können. Dennoch, Marshawn Lynch ist nicht leicht zu ersetzen, denn er ist ein besonderer Spieler, der mit seinen Läufen ein ganzes Team pushen konnte.

Wie hast Du CenturyLink Field, das Stadion der Seahawks, erlebt?
Als ich in Seattle spielte, war das Stadion noch relativ neu. CenturyLink Field ist durch sein Baudesign so ausgerichtet, dass falls es regnet – und das tut es ja recht häufig in Seattle – der Regen durch den Wind in Richtung der gegnerischen Bank gelenkt wird. Und die Atmosphäre ist irre. Es ist einfach unbeschreiblich laut, auch wenn man als Spieler dort unten im Innenraum steht. Wenn man in den Katakomben steht, dann reicht Gänsehaut schon fast nicht mehr, um dieses Gefühl zu beschreiben. Einmalig. Das CLink war für mich das beeindruckendste Stadion, in dem ich jemals gespielt habe. Ich kann jedem Fan nur empfehlen, einmal dort ein Spiel zu besuchen.

Christian, wir danken Dir für das Gespräch!

 

Über die Rubrik

„12 Fragen an…“ ist eine Rubrik, in der regelmäßig Interviews unserer Redaktion mit Persönlichkeiten veröffentlicht werden, die in einer Beziehung zur deutschsprachigen Fangemeinde und den Seattle Seahawks stehen. In den Gesprächen geht es um Zusammenhänge zwischen den Interviewpartnern und unserem Lieblingsteam, Erlebnisse und Erfahrungen im American Football und persönliche Geschichten. Alle bisher erschienenen Interviews aus der Serie gibt’s hier zum Nachlesen.