Fischadleraugen: Die Offensive 2020

Fischadleraugen Russell Wilson Offensive 2020

Russell Wilson (Foto: imago)

Mit der schmerzlichen Niederlage in der Wild-Card Round gegen die Los Angeles Rams endete die Saison der Seattle Seahawks. Wir lassen die Runde nochmals Revue passieren. Der Beginn macht die Offensive der Seattle Seahawks. Wir haben uns einige Spielzüge der vergangenen Saison ausgewählt, die wir mithilfe von Videomaterial und Erklärungen euch näher bringen wollen. Nächste Woche wechseln wir die Seite des Balles und besprechen dementsprechend einige Spielzüge der Seahawks-Defensive.

Videoanalyse

Beginnen wir mit einem schematisch schönen Spielzug im ersten Spiel gegen die Los Angeles Rams. Die Seahawks spielen mit 11-Personnel (ein Running Back, ein Tight End, drei Wide Receiver). Vor Beginn des Spielzugs geht Running Back Alex Collins in Motion, rückt neben den Quarterback. Damit soll ein Laufspielzug suggeriert werden. Collins geht nach dem Snap aber auch auf eine Passroute.

Ebenfalls auf eine Passroute gehen die drei aufgestellten Wide Receiver und Tight End Will Dissly. Wide Receiver Freddie Swain läuft eine Stop-Route, bleibt nach wenigen Yards stehen und dreht sich Richtung Quarterback. Die Defensive der Rams reagiert auf die Routen von Swain und Collins. Dissly, im Video markiert und Innen aufgestellt, läuft eine Go-Route. Durch das geschickte Konzept des Spielzuges ist er völlig frei und so kann er einen großen Raumgewinn erzielen. Eines der schönen Play-Designs der vergangenen Saison.

Mit großer Verwunderung musste ich feststellen, dass Wide Receiver DK Metcalf noch nicht prominent im Fischadlerauge vertreten war. Der Wide Receiver im zweiten Jahr erlebte endgültig seinen Durchbruch: In 16 Spielen gelangen ihm 83 Receptions für zehn Touchdowns und 1.303 Yards. Mit letzterem gelang ihm ein Franchise-Rekord, den bis zuletzt noch Legende Steve Largent hielt (1.287 Yards im Jahr 1985).

Einen Grund für eine bisher nahezu tadellose Karriere bei den Seahawks nannte ich schon vor seinem Dienstantritt: Metcalf war ein toller System-Fit für das Team. Er erzielte viele Yards bei tiefen Pässen, war damit prädestiniert für das Zusammenspiel mit Russell Wilson. Und eben dieses Zusammenspiel ist mittlerweile nicht mehr nur ein vermuteter Fit im Scheme der Seahawks, sondern eine echte Connection mit seinem Passgeber.

Im folgenden Video sehen wir keinen perfekt aufgemalten und ausgeführten Spielzug. Der vom scheidenden Offensive Coordinator ausgewählte Spielzug ist ein Play-Action-Spielzug. Die Cardinals-Defense ist aber hellwach, kann das Play schon im Ansatz unterbinden. So ist keine Anspielstation für Wilson frei.

Was aber Russell Wilson schon immer ausmachte, war auch ein Talent zur Improvisation. Und neben Tyler Lockett ist DK Metcalf mittlerweile auch sehr gut darin, auf etwaige Scrambles und Broken Plays von Wilson zu reagieren. Metcalf sieht das Wilson auf der Flucht aus der Pocket ist. Er schaltet nie ab, sondern versucht sich weiter vom Gegenspieler zu lösen. Seine beeindrucke Physis macht er sich hier zu nutze und kann die so dringend benötigte Seperation kreieren. Resultat: Einer der langen Touchdown-Pässe von Wilson auf Metcalf in dieser Saison.

So atemberaubend manche Aktionen der Offensive vor allem zu Beginn der Saison waren, so heftig war der Einbruch in der zweiten Saisonhälfte. Die Gründe dafür sind vielfältig bis unergründlich. Ein Grund ist aber mit Sicherheit auch die schwächelnde Form von Quarterback Russell Wilson. Der Spieler, der die Seahawks vor allem in den vergangenen Jahren nahezu alleine getragen hat, fiel in ein länger währendes Leistungsloch. Defensiven stellten sich überdies auf die High-Power-Offense aus Seattle ein und machten ihm das Spiel zunehmend schwerer.

Die folgende Szene ereignete sich im ersten Spiel gegen die Arizona Cardinals – in der Overtime. Hier gibt die Cardinals-Defense der Seahawks-Offense einen ähnlichen Look wie schon oft zuvor in diesem Spiel. Viele Spieler sammeln sich an der Line of Scrimmage, deuten den Blitz an und spielen vermutlich Manndeckung. Wilson erhält den Ball in der Shotgun-Formation. Direkt nach dem Empfang des Balles entscheidet er sich für den Wurf auf Wide Receiver Tyler Lockett – ein folgenschwerer Fehler. Rookie-Linebacker Isiah Simmons, mit fast kriminell niedrigen Spielanteilen in der bisherigen Saison, täuscht den Blitz nur an. Danach lässt er sich wieder in die Deckungsarbeit fallen und fängt den Ball ab. Ein klares Bewerbungsschreiben für mehr Einsatzzeiten.

Wilson hat sich vor dem Snap für ein Ziel entschieden. Oder aber die Coverage der Cardinals völlig falsch gelesen. Schaut man sich den Spielzug häufiger an, wird man erkennen: Es gab auch eine andere und dazu sichere Option. Am oberen Bildrand ist DK Metcalf sträflich frei. Der Gegenspieler von Metcalf spielt Off-Coverage, lässt ihm Platz. Auch, um nicht tief geschlagen zu werden. Zum Zeitpunkt des Wurfes hätte Metcalf und Wilson somit eine einfache Completion gelingen könne. Voraussichtlich hätte er sogar einige Yards nach dem Catch erlaufen können. Das wäre gleichbedeutend mit einer deutlich besseren Feldposition gewesen.

Neben der schlechten Entscheidungsfindung zeigte Wilson auch unerklärliche Schwächen in der Genauigkeit. Seine oftmals sehr genauen tiefen Bälle wurden immer ungenauer, erschwerten so die für jede NFL-Offense so wichtigen explosiven Plays.

Die folgende Szene ist exemplarisch für die Ausrichtung viele Defensiven im Laufe der Saison gegen die Offensive der Seahawks. Die Giants spielen in Woche 13 gegen die Seahawks häufig mit zwei tiefen Safetys, Wilson wird den markierten Receiver anwerfen. Dazu hat er eine saubere Pocket und genügend Zeit zu werfen. Receiver Freddie Swain kann sich vom Verteidiger absetzen und kreiert die so wertvolle Seperation. Wilson aber überwirft seinen Passempfänger schlicht. Der Safety der Giants muss dann die Interception fangen.

Durch die zwei tiefen Safetys ist der Raum für Fehler sehr gering. Eine kleine Ungenauigkeit und schon kann der Pass in einem Turnover enden. Es wird für den Quarterback schwerer, das enge Fenster zu treffen. Zudem kann er die Defensive Backs nicht mehr so leicht mit seinen Augen manipulieren. Das war eines der Mittel, welches die Defensiven gegen die Seattle Seahawks anwandten. Ein Problem ist hierbei aber eher, dass über lange Zeiten der Saison keine Anpassungen an die Looks der gegnerischen Verteidigungsreihen vorgenommen wurde.

Spielzug des Jahres

Der Spielzug des Jahres war auch ein sportlich wichtiger. Die Seattle Seahawks beendeten einen langen Drive mit diesem Play und entschieden damit das Aufeinandertreffen in Woche 16 gegen die Los Angeles Rams. Gleichbedeutend mit dem Gewinn der NFC West.

Es ist die perfekte Spielzug-Auswahl zur richtigen Zeit. Die Defensive versucht hier mit einer Mischung aus Raum- und Manndeckung die Seahawks-Offensive zu stoppen. Die beiden Wide Receiver, Metcalf und Swain, werden eng an der Line of Scrimmage gedeckt. Swain bekommt die direkte Zuteilung erst, als Jacob Hollister in Motion geht und innen aufgestellt ist. Tyler Lockett bekommt einen freien Release, wird aber vom Verteidiger schnell aufgenommen. Der mittlere tiefe Safety orientiert sich auf keiner der beiden Seiten außen zur Unterstützung, ist damit aus dem Spielzug genommen.

Also haben die Seahawks hier auf der linken Seite kurzum erreicht, was sie erreichen wollten: Zwei Eins-gegen-eins-Matchups. Zunächst täuscht Hollister dabei eine Route nach innen an und läuft dann aber hinter Freddie Swain nach außen. Der wiederum zieht nach innen. Auf diese Weise bindet er seinen Gegenspieler und stört dabei den Laufweg des Verteidigers. Und genau dessen Aufgabe ist es, Jacob Hollister zu decken. Durch diese Bewegungen bekommt der Tight End den benötigen Raum. In der Zwischenzeit liest Wilson das Matchup perfekt. Er wird den Ball schnell los und serviert ihn außerdem mit unheimlich viel Gefühl in die hintere linke Ecke der Endzone.