Der neue Coaching-Staff: Assistant HC Leslie Frazier

Assistant Head Coach Leslie Frazier

Foto: Timothy T. Ludwig/Getty Images

Aus dem Schaukelstuhl zurück in die Verantwortung? Ein Jahr Auszeit als Vorbereitung für etwas ganz großes? Den Ex-Teams ein Schnippchen schlagen auf die elegante Art und Weise? Super Bowls in New Orleans als zentraler Erinnerungsort? Für den neuen Assistenten von Cheftrainer Mike Macdonald, Leslie Frazier (64), könnten sich diese Saison viele offene Kreise schließen.

Ende Februar 2023, Buffalo: Frazier hat eine lange Saison hinter sich. Eine außergewöhnliche Saison. Vor gerade einmal einem Monat sind die Bills im AFC Divisional Game chancenlos an den Bengals gescheitert, nachdem sie im Jahr zuvor in herzbrechender Manier an gleicher Stelle noch an den Chiefs gescheitert waren. 2020 war es das AFC Championship Game und wiederum die Chiefs, die einem Erfolg im Super Bowl im Weg standen. Diese Saison ist allerdings anders. Damar Hamlin, der auf dem Spielfeld kollabiert. Ein rassistisch motivierter Amoklauf mit zehn Opfern in einem Vorort. Zwei Blizzards und extremes Winterwetter, das über 50 Menschen das Leben kostet. Und emotional aufgewühlte Fans, die sauer sind, dass es das Bills-Team wieder nicht geschafft hat. Die den Kopf von Trainern fordern. Frazier gibt nach. Und verkündet, dass er ein Jahr NFL-Pause macht.

Genau ein Jahr später kündigen die Seahawks die Verpflichtung von Leslie Frazier als Assistant Head Coach an der Seite von Mike Macdonald an und freuen sich, sich einen so erfolgreichen und erfahrenen Coach geangelt zu haben. Einen Coach, der Macdonald wertvolle Tipps geben und bei neuartigen Aufgaben unterstützen kann.

Fraziers Laufbahn als Spieler

Mittelmäßige High School, mittelmäßiges College, mittelmäßige Teamkollegen, mittelmäßige Resultate. Zwar war Football Leslie Fraziers erstes Standbein, doch er konnte im Draft nicht mit einem Anruf rechnen. Die Chicago Bears gaben ihm ungedraftet eine Chance und bereits in seiner zweiten Saison wurde der Cornerback Starter in seinem Team. Zuerst vornehmlich im Special Team und als Returner eingesetzt, wurde er über drei Saisons zum Interception Leader der NFL und einer der besten auf seiner Position in den frühen 80er Jahren.

Seine fünfte Saison sollte zeitgleich seine erfolgreichste, wie auch seine letzte werden. Die Bears schickten sich 1985 an, mit einem neuen defensiven Scheme (46 Defense, erfunden von Defensive Coordinator Buddy Ryan) die Liga aufzumischen und taten das auch sehr erfolgreich. Bis zu acht Spieler zeitgleich in der Box und jede Menge Druck auf den Quarterback, dies verbunden mit einer starken Secondary und Lust auf Interceptions war das Geheimrezept, was durch eine nahezu perfekte Saison führte. Nur eine Niederlage in der Regular Season und kein zugelassener gegnerischer Punkt in der Postseason – die Saison wurde im Super Bowl mit einem Ring gekrönt.

Leslie Frazier spielte dabei alle Spiele, verletzte sich aber im Super Bowl im zweiten Quarter schwer am Knie und konnte nicht mehr weiterspielen. Die damals noch rudimentären Behandlungsmethoden ließen keine vollständige Heilung zu und so scheiterte er zweimal daran, wieder aufs Feld zurückzukehren. Die 1985er Defense der Chicago Bears war jahrelang die erfolgreichste aller Zeiten in der NFL – bis sie 2013 von einer gewissen Legion of Boom abgelöst wurde.

Leslie Frazier – der erfahrene Coach

Nach seiner Spielerkarriere wollte Frazier zuerst in die Business-Welt gehen, doch eine kleine christliche Universität in der Nähe seines Wohnortes überzeugte ihn, Coach des dortigen Footballteams zu werden. Frazier entschied sich dafür, baute über neun Jahre aus dem nichts ein funktionierendes Football-Programm auf und kümmerte sich neben dem Coaching auch um die Belange der Spieler. Heute trägt die Sportanlage den Namen „Leslie Frazier Field“. Danach war er noch am College in Illinois tätig, bevor er 1999 seinen ersten Job in der NFL landete: In Philadelphia an der Seite von Andy Reid, Steve Spagnuolo und Brad Childress.

Nach Stationen bei den Bengals und Colts (inkl. Super Bowl-Ring) waren es die Vikings, die den 2007 geholten Frazier während der Saison 2010 zum Interims-Head Coach und in der darauffolgenden Offseason zum Head Coach machten. Leslie Frazier leitete den Rebuild ein, schaffte den Turnaround innerhalb von zwei Jahren und das Team schaffte einen 10-6 Record. In der Saison danach konnte das Team die Leistung nicht mehr bestätigen und der Head Coach musste gehen.

Weitere Stationen folgten bei den Bucs and den Ravens (wo er auch Macdonald kennen lernte) und ab 2017 als Defensive Coordinator bei den Buffalo Bills. Das Bills-Team hatte es in einer von den Patriots dominierten AFC East über 20 Jahre nicht in die Playoffs geschafft, doch gemeinsam mit Head Coach Sean McDermott gelang Frazier der Turnaround. Aus einem Losing Team wurde ein Super Bowl Contender geformt, der Erfolg führte dazu, dass Frazier 2020 zum Assistant Head Coach benannt wurde. Ein toller Artikel (leider auf Englisch) über sein Wirken bei den Bills findet sich auf deren Website.

Chancensaison 2024/25

Was Frazier (und dem gesamten Coaching Staff) in Buffalo nicht gelang: Das große Ziel. Der Super Bowl. Und damit sind wir wieder am Anfang dieses Artikels. Die Fans waren frustriert, die Spieler ebenfalls. Nach einer Saison mit vielen Tiefschlägen war der emotionale Akku aufgebraucht und das zeigte sich letztlich in einer der Mannschaft nicht würdigen Niederlage in den Playoffs. Wir sind mittlerweile klüger und wissen: Auch in der abgelaufenen Saison scheiterten die Bills an den Chiefs in der Divisional Round. Ohne Frazier. Er scheint also nicht der Grund zu sein, warum es in den letzten Jahren nicht geklappt hat.

Für Leslie Frazier ergibt sich bei den Seahawks die Chance auf einen Neuanfang gemeinsam mit einem Coach, den er bereits kennt und die Chance auf eine weitere Super Bowl-Teilnahme. Nicht ganz zufällig findet dieser 2025 im Superdome in New Orleans statt, in genau dem Stadion, in dem er bereits vierzig Jahre zuvor seinen ersten Ring gewann. Das Stadion, was nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort in Mississippi entfernt steht. Während der Saison spielen die Seahawks gegen die Bills, die Vikings und die Bears und damit gegen alle seiner wichtigsten Stationen in der Vergangenheit. Vielleicht ja sogar erneut gegen die Bills im Super Bowl?

In den letzten Jahren wurde Frazier mehrfach für Head Coaching Jobs interviewed. Gerade nach der tollen 2022er Saison der Bills Defense hatte er Gespräche mit allen offenen Top-Positionen. Fast wäre er Head Coach bei den Giants geworden. Doch immer fehlten Kleinigkeiten. Er fühlte sich vernachlässigt, äußerte das auch öffentlich. Die Fokussierung der Teams auf offensiv-orientierte Cheftrainer nannte er unglücklich und kleingeistig. Den Nachdenkprozess im vergangen Jahr scheint er genutzt zu haben und zu dem Schluss gekommen zu sein, dass er wohl keinen zweiten Versuch bekommt. Dass das unterstützen eines jungen, defensiv-orientierten Head Coach die beste Chance ist, die er bekommen kann. Und so landete er bei den Seahawks. Mit der Chancensaison 2024/25 vor der Brust.

Was sind Fraziers Aufgaben?

Fast jedes Team, was von Frazier trainiert wurde, wurde über die Zeit seiner Anstellung besser. Er schaffte es, Wechsel in der Kultur herbeizuführen. Er war ein wichtiger Kommunikator und spiritueller Leader seiner Teams. In seiner Zeit als Spieler am College und in der NFL lernte er vieles. Auch die Zeit als Trainer nutzte er ständig, um in Austausch zu sein, um neue Informationen aufzunehmen und diese im richtigen Moment, bei auftauchenden Problemen, an seine Spieler und seine Trainerstäbe weiterzugeben. Die Werte für die er steht sind: Gib Acht auf deine Spieler, lasse Vorschläge zu, mache das Team jeden Tag ein kleines bisschen besser, verstell dich nicht und hinterlasse einen Fußabdruck. Für all diese Werte gibt es lebhafte Beispiele in einem tollen Porträt auf The Athletic, das leider nur auf Englisch und hinter der Paywall verfügbar ist.

In diesem Artikel geht es bisher kaum um sein defensives Scheme und seine Fähigkeit, einzelne Spieler besser zu machen. Dass er beides kann, hat er nachhaltig in verschiedenen Stationen bewiesen. Doch es wird nicht sein Fokus in Seattle sein. Sicherlich wird seine Meinung zu Defensivplänen gehört werden und vielleicht kann er Spielern auch Tipps geben, doch sein Fokus wird darauf liegen, Mike Macdonald besser zu machen. Ihm zu helfen, ein guter Head Coach zu werden. Macdonald hat bereits gezeigt, dass er ein erfolgreicher Defensive Coordinator sein kann, doch es gehört wesentlich mehr dazu, ein erfolgreicher Head Coach zu sein. Kommunikation nach außen, Übernahme von Verantwortung, Zeitmanagement, Entscheidungen wie Challenges im Spiel. All das musste Macdonald bisher nicht verantworten. Er musste auch keinen Coaching Staff aufbauen. Und bei all dem wird Leslie Frazier ein gern gehörter Tippgeber und Helfer werden.