Aus Feind wird Freund: Malcolm Butler wechselt zu den Seahawks

Malcolm Butler

Malcolm Butler

Diese Nachricht schlägt ein wie die Interception Russell Wilsons in Super Bowl XLIX: Die Seattle Seahawks verpflichten wohl per Trade Cornerback Malcolm Butler. Das berichteten mehrere NFL-Insider in der Nacht übereinstimmend. Demnach gehen im Tausch für den 30 Jahre alten Verteidiger der Drittrundenpick 2020 und Allround-Safety Bradley McDougald zu den Tennessee Titans.

Butler, der mit seiner spielentscheidenden Interception Anfang Februar 2015 den schleichenden Abstieg des Teams von Head Coach Pete Carroll einleitete, kommt mit der Erfahrung von sechs NFL-Jahren in den Pacific Northwest. Der zweimalige Super-Bowl-Champion wechselte nach vier Spielzeiten bei den New England Patriots im März 2018 nach Tennessee, wo er einen Fünfjahresvertrag über 61 Millionen US-Dollar (30 Millionen US-Dollar garantiert) unterschrieb. Einen Großteil des Vertrags übernehmen nun die Seahawks.

Damit dürfte auch die Begründung für die Abgabe Bradley McDougalds schnell gefunden sein. Um Butler unter die Gehaltsobergrenze zu zwängen, mussten General Manager John Schneider und sein Zahlenmeister Matt Thomas Platz schaffen. McDougalds Platz soll in der kommenden Saison Sophomore Marquise Blair einnehmen. Bereits bei seiner Saisonabschluss-Pressekonferenz hatte Pete Carroll dem 2019er-Rookie Blair die Fähigkeiten bescheinigt, als baldiger Stammspieler in eine größere Rolle hineinwachsen zu können.

Der Trade bringt zudem für den weiteren Verlauf der Free Agency Klarheit. Die Verpflichtung Butlers macht es nahezu unmöglich, Defensive End Jadeveon Clowney für ein kolportiertes Jahresgehalt irgendwo zwischen 13 und 21 Millionen US-Dollar in Seattle zu halten. Auch die Entlassungen von Safety Tedric Thompson und Tight End Ed Dickson schaffen da nicht ausreichend Platz unter der Salary Cap. Sie wurden wohl am Montag vollzogen, um die Butler-Transaktion finalisieren zu können.

Der zweite große Secondary-Move der Offseason – gleichzeitig gingen viele interessante Pass Rusher zu Beginn des neuen Liga-Jahres ohne Regung der Seahawks über die Ladentheke – zeigt auch, dass sich bei den Verantwortlichen um Cheftrainer Carroll ein Umdenken eingestellt hat. Auch der Trainerstab scheint inzwischen zur Erkenntnis gekommen zu sein, dass die Deckungsarbeit wichtiger ist als der Pass Rush. (Ob dieses Umdenken auch in Sachen Offensivstrategie noch erfolgt, ist bislang nicht bekannt.)

John Schneider ist aus einem weiteren Grund zufrieden mit dem Trade: „Wir sind zuletzt (Anm. d. Red.: 2015 im Super Bowl gegen die New England Patriots; 2019 in Week 17 gegen die San Francisco 49ers) so oft so kurz vor der Goalline gescheitert. Wir dachten uns, wenn wir Malcolm Butler holen, ist wenigstens eine Gefahrenquelle in dieser Hinsicht gebannt. Mit ihm im Kader ist gewiss, dass wir kein Endspiel mehr Milimeter vor der gegnerischen Endzone verlieren.“

Vielen Fans ist die Aktion unlöschbar ins Gehirn eingebrannt, in der Butler 2015, damals im Dress der Patriots, kurz vor Spielende im University of Phoenix Stadium in Glendale im US-Bundesstaat Arizona den sicher geglaubten zweiten Super-Bowl-Sieg der Seahawks in Serie mit einer spektakulären und spekulativen Verteidigungsaktion zunichte machte. Die schmerzhafte Niederlage war der Anfang vom Ende einer berauschenden Ära in Seattle. Die leidige Diskussion darüber, ob die Trainer damals nicht lieber Running Back Marshawn Lynch per Laufspielzug die Verantwortung hätten übertragen sollen, dauert bis heute an – und hatte auch intern Konsequenzen. In den Jahren nach der herzzereißenden Pleite brachen immer mehr Schlüsselspieler weg, durch die Kabine ging ein Riss und die Seahawks konnten nicht mehr an den Erfolg alter Tage anknüpfen.

Es ist kurios, dass gerade mit Seahawks-Schreck Butler dieser Erfolg nun nach Seattle zurückkehren soll. Neuzugang Quinton Dunbar ist zunächst nur für ein Jahr unter Vertrag und verletzungsanfällig, bei Tre Flowers stockt aktuell die Entwicklung und Stammspieler Shaquill Griffin geht ins Vertragsjahr. Butler ist aus Sicht von Carroll und Schneider eine langfristige, vielseitige und flexible Lösung auf Cornerback. Der Veteran hat noch drei Jahre Vertrag, kann optional auch im Slot ran (sollte Ugo Amadi in seiner zweiten NFL-Saison die Erwartungen nicht erfüllen) und bildet gemeinsam mit Griffin und Free Safety Quandre Diggs das Gerüst einer wiedererstarkten Secondary.

Insidern zufolge ließ sich Pete Carroll in einer langen Konferenzschalte mit den Ex-Seahawks Richard Sherman und Earl Thomas davon überzeugen, den defensiven Fokus wieder auf die Deckung zu verschieben – und damit auch weit weg von der unsäglichen Base-Formation. Via Skype machten die beiden Veteranen ihrem ehemaligen Head Coach klar, wie wichtig die Umstellung des Schemas auf mehr Nickel im Angesicht der weiter stark steigenden Quote von Passspielzügen und -formationen in der NFL ist.

Richard Sherman, in diesen Tagen als anerkannter Experte für Social Distancing ein äußerst gefragter Mann, ließ in einer Instagram-Live-Sendung am frühen Mittwochmorgen deutscher Zeit verlauten: „Ich hänge immer noch sehr an Seattle. Ich habe ein großes Haus dort. Nach meiner aktiven Karriere sehe ich meinen Lebensmittelpunkt im Pacific Northwest. Damit ich mich aber als stolzer Bürger Seattles begreifen und mit guten Gefühlen meine Trainerkarriere bei den Seahawks beginnen kann, muss das dort ansässige NFL-Team auch eine vernünftige Passverteidigung aufs Spielfeld stellen. Das war 2019 teilweise nur schwer mit anzusehen. Und weil ich mein Wissen gerne teile und mich sowieso gerne mitteile, habe ich Pete per Skype ins Gewissen geredet.“

Inzwischen hat sich auch Malcolm Butler in einem hochemotionalen Twitter-Thread zum Trade geäußert: „Ich war zunächst wenig begeistert, als ich vom Trade erfuhr, da ich mich bei den Titans sehr wohl gefühlt habe. Doch die NFL ist ein Geschäfft. Und als mich dann Pete Carroll angerufen und das Gespräch begonnen hat mit ‚Are you from Tennesse? Because you’re the only ten I see!‘, war ich sofort Feuer und Flamme.“

Abschließend wendet sich der Neuzugang direkt an seine Fans in Seattle: „Am liebsten hätte ich mich direkt in eine Zeitmaschine gesetzt und die Geschehnisse vom 1. Februar 2015 rückgängig gemacht. Weil das aber bis heute technisch nicht möglich ist, kann ich nur versuchen, die Herzen der 12s mit guten Leistungen auf dem Kunstrasen im CenturyLink Field für mich zu gewinnen.“