Preview: Regular Season 2020 (Week 2) – Patriots @ Seahawks

Preview Week 2, 2020 New England Patriots

Er kam, sah und kochte. Die NFL-Saison 2020 ist kaum eine Woche alt und schon sorgt Russell Wilson in Seattle wieder für absoluten Football-Hype! Dass ihm dabei dann schon am 2. Spieltag gegen die New England Patriots die ganze footballverrückte US-Nation genau auf die Finger schaut, dürfte den Spielmacher der Seattle Seahawks kaum stören. Im Gegenteil. In der Primetime liefert Wilson traditionell richtig ab. Seine Karrierebilanz in Abendspielen: ein Unentschieden, sieben Niederlagen und 25 Siege.

Trotzdem muss das Team von Head Coach Pete Carroll schon vor dem Auftritt im CenturyLink Field einen herben Verlust hinnehmen: die 12s. Wie ein NFL-Spiel wegen der Corona-Pandemie ohne Fans funktioniert, haben Fans und Spieler bereits vergangene Woche in Atlanta erlebt. Im heimischen Stadion ohne Unterstützung von den Rängen zu spielen, ist für Seattle hingegen Neuland. Und das könnte ausgerechnet Taktik-Fuchs und Patriots-Head Coach Bill Belichick ausnutzen, denn Auswärtsmannschaften – auch wenn das die Bilanz in den vergangenen Jahren nicht mehr so eindrucksvoll widerspiegelte – hatten es am Puget Sound wegen der lautstarken Unterstützung immer schwer. Wie die Seahawks diese Herausforderung ohne Fans im Rücken bestehen, dürfen die 12s in Deutschland mitten in der Nacht bestaunen. Nach einem soliden Saisonauftakt in der Fremde scheint Seattle dafür gerüstet.

Das Spiel:

  • Kickoff: Montag, 2.20 Uhr
  • Austragungsort: CenturyLink Field (Freiluft/Stadion)
  • Wettervorhersage: 21 Grad Celsius, bewölkt, potenziell giftige Dämpfe durch Waldbrände an der US-Westküste
  • Schiedsrichter: Craig Wrolstad
  • Empfang: NFL GamePass, DAZN
  • Wettprognose: Seahawks -4
  • Schnellcheck: New England Patriots
  • Hashtag: #NEvsSEA

Der Injury Report:

Wenig Freude dürfte den 12s zunächst bereiten, dass Strong Safety Jamal Adams am Mittwoch mit einer Ellenbogen-Blessur auf dem Practice Report der Seahawks auftauchte. Dabei dürfte Seattle aber lediglich den NFL-Regeln gefolgt sein, die besagen, dass Teams selbst kleinste Verletzungen angeben müssen. Adams jedenfalls war in allen Trainingseinheiten voll aktiv.

Im Gegensatz zu Offensive Tackle Cedric Ogbuehi (Brustmuskel) und Defensive End Rasheem Green (Nacken), die beide die gesamte Woche über nicht am Training teilnahmen. Dass Green rechtzeitig bis zum Spiel gegen die Patriots fit wird, ist unwahrscheinlich.  Er hat laut Carroll einen Stinger. Für ihn könnte beispielsweise Edge Rusher Shaquem Griffin aus der Practice Squad nachrücken. Eingeschränkt auf dem Trainingsplatz stand Wide Receiver Phillip Dorsett, der weiter an einer hartnäckigen Fußverletzung laboriert, es aber gegen sein Ex-Team erstmals für die Seahawks in den aktiven Kader schaffen könnte. Offensive Tackle Duane Brown (Knee) bekam in den Einheiten ebenfalls Pausen, was aber wieder eine Maßnahme war, um den 35-Jährigen zu schonen. Geschont wurde auch Tight End Will Dissly

Bei New England ist die Liste der Verletzten etwas länger als bei Seattle. Linebacker John Uche (Sprunggelenk) fällt als einziger Akteur der Patriots sicher aus. Fraglich sind für den frühen Montagmorgen Defensive Tackle Adam Butler (Schulter), Linebacker Brandon Copeland (Knie), die Wide Receiver Julian Edelman (Knie), Matthew Slater (Knie) und N’Keal Harry (Schulter) sowie Tight End Dalton Keene (Nacken).

Die Matchups:

Seahawks-Quarterback Russell Wilson vs. Patriots-Secondary: Wenn sich die Fans der Seattle Seahawks ein Spiel ihres Franchise-Quarterbacks hätten ausmalen können, dann wäre wohl seine Leistung beim Saisonauftakt gegen die Atlanta Falcons dabei herausgekommen. In Georgia legte Russell Wilson eine Leistung hin, die man so von ihm in der NFL noch nicht gesehen hat. Im Mercedes-Benz Stadium brachte er 88,6 Prozent seiner Pässe an den Mann. So präzise waren vor ihm in einem Spiel mit mindestens 35 Passversuchen nur zwei Quarterbacks in der Geschichte der Liga.

Sein persönliches Gesamtresultat dieser Kochshow, die die Kollegen ausführlich in der neuesten Ballhawks-Episode besprochen haben: 31 von 35 Pässen kamen bei neun verschiedenen Receivern an, 322 geworfene Yards, vier Passing-Touchdowns, kein Fumble, keine Interception und ein Quarterback-Rating von 143,1 (Maximum: 158,3). Allerdings: Wilson sezierte mit seinem rechten Arm die schwache Passverteidigung der Falcons. Gegen die Patriots hat er es mit einem ganz anderen Kaliber zu tun.

Zwar ist die noch zu Beginn der Saison 2019 historisch gute New-England-Defense durch Abgänge in der Free Agency und coronabedingten Rückzügen ein Jahr später kaum wiederzuerkennen. Aber trotz des heftigen Aderlasses haben die Patriots noch immer ein Prunkstück: die Secondary. Angeführt wird die Passverteidigung von Stephon Gilmore, dem Defensive Player of the Year 2019. Diesen Titel erarbeitete sich der Cornerback auch durch sechs Interceptions und erstklassige Coverage. Unterstützt wird er von J.C. Jackson, der wie Gilmore zum Auftakt gegen die Miami Dolphins einen Pass abfing. Abgerundet wird die Patriots-Secondary von den McCourty-Zwillingen, Devin und Jason. Zu viert werden sie versuchen die Seahawks-Receiver um Tyler Lockett und DK Metcalf aggressiv zu decken, wobei Gilmore sich wohl in einem physischen Duell mit Metcalf anlegen wird.

Davon wird sich Russell Wilson jedoch nicht abschrecken lassen. Schließlich hat er immer wieder gezeigt, dass er auch vor Elite-Passverteidigern nicht zurückschreckt und sie dank des großen Vertrauens in seine eigenen Anspielstationen immer wieder mit seinem Arm testen kann. Von Bill Belichicks Psychospielchen – der Patriots-Cheftrainer lobte den Seahawks-Quarterback unter der Woche überschwänglich als besten Spieler der Liga – sollte sich Wilson nicht ablenken lassen.

Die größere Gefahr sitzt vielleicht sogar im eigenen Lager, wenn man dem Coach Speak von Pete Carroll Glauben schenken mag. Denn der kündigte bereits an, dem Laufspiel bald mehr Aufmerksamkeit widmen zu wollen. Das sei in Week 1 schlicht nicht möglich gewesen, weil Wilson einfach so gut gespielt habe. So sehr mehr Laufspiel nach dem richtigen Weg klingen mag gegen eine besonders in der Secondary starke Defensive – die Effizienz ihres besten Spielers und des Passspiels sollten die Seahawks sich auch in Week 2 nicht selbst nehmen.

Dass die Trainer ihre Ankündigungen umsetzen, ist aber längst nicht gesichert. 2020 sind Geheimniskrämerei und verbale Nebelkerzen ein noch beliebteres Mittel geworden, Gegner in die Irre zu führen. Keine Preseason, kaum Videomaterial aus dem Camp und ein Verbot der Reporter-Augenzeugenberichte aus dem Training – Sunday Night Football könnte aus taktischer Sicht wie schon der Saisonauftakt in Atlanta zur Überraschung werden.

Seahawks-D-Line vs. Patriots-O-Line: Es war in Sachen Kaderfragen das Thema der Offseason in Seattle: Wie verstärken Head Coach Pete Carroll und General Manager John Schneider den Pass Rush? Die Antwort: Mit spannenden Rookies, soliden Veteranen und ohne den elitären Jadeveon Clowney. Gegen Atlanta konnten die Seahawks damit erwartungsgemäß nicht direkt Hochdruck ausüben. Ohne die nicht eingesetzten beziehungsweise verletzten Rookie-Defensive-Ends Alton Robinson und Darrell Taylor lag die Hauptlast gegen eine durchschnittliche O-Line der Falcons auf den Schultern von Bruce Irvin und Benson Mayowa.

Letzterer glänzte mit einem Superman-Sack gegen Matt Ryan, während 2019-Erstrundenpick L.J. Collier mit zwei Quarterback-Pressures in einem Spiel seine Bilanz aus der Vorsaison erreichte. Am Ende hatte Ryan in der Pocket trotzdem zu oft zu viel Zeit und warf für 450 Yards. Auch wenn große Teile dieses Raumgewinns in der Garbage Time kamen, in der Seattle das Spiel schon gewonnen hatte und kein Big Play mehr zulassen wollte, war das zu viel. Deshalb muss gegen die Patriots an der D-Line-Front von den Seahawks mehr Druck kommen.

Das ist bei weitem keine leichte Aufgabe, denn New England wird mit einer starken Positionsgruppe in den Pacific Northwest reisen. Bezeichnend: Die besten Noten zum Saisonauftakt gegen Miami bekamen von Pro Football Focus (PFF) alle eingesetzten Offensive Linemen der Patriots. Dabei wird das Durchkommen zu Quarterback Cam Newton und den Running Backs vor allem durch die Mitte alles andere als einfach. Mit Joe Thuney und Shaq Mason machen hier zwei exzellente Guards das Zentrum dicht. Als Center ist dazu nach einer Saison Pause auch David Andrews wieder dabei. Er hatte im ersten Spiel gut mit Newton harmoniert. Einzige Schwachstelle dürfte die Position des zweiten Tackles neben Isaiah Wynn sein. Jermaine Eluemunor und Michael Onwenu kommen hier in Frage. Die Qualität der Kollegen kann das aber gut kompensieren und dürfte es dem Pass Rush der Seahawks schwer machen.

Patriots-Quarterback Cam Newton vs. Seahawks-Laufverteidigung: Ein Blick auf die Offensiv-Statistiken der New England Patriots zeigt, worauf Head Coach Bill Belichick im Angriff gegen die Miami Dolphins setzte: Cam Newton. Der Quarterback machte da weiter, wo er vor seiner Verletzungsmisere bei den Carolina Panthers aufgehört hatte. Er lief, was das Zeug hielt und schreckte auch nicht vor heftigem Kontakt mit den Verteidigern aus Florida zurück. Mit 75 Rushing-Yards und zwei Rushing-Touchdowns stach Newton deutlich heraus. Zum Vergleich: Der zweitbeste Läufer der Patriots war Running Back Sony Michel mit 37 Yards.

Im Passspiel beschränkte sich der Quarterback auf kurze, schnelle Pässe über die Mitte. Grund dafür könnte sein, dass Cam Newton seine besten Zeiten als Passer hinter sich hat. Grund dürfte wohl aber auch der Mangel an guten Anspielstationen sein. Bis auf Julian Edelman sieht es bei den Patriots-Receivern ziemlich düster aus. Die Receiver-Gruppe gehört zu den schwächsten der Liga. Und so wirkt der Angriff von New England mit dem starken Fokus auf Newton entsprechend eindimensional. Für die Seahawks bedeutet dies, dass sie die Laufwege dicht machen und die Gäste aus Boston mit einer guten Laufverteidigung ins Passspiel zwingen müssen.

Doch ausgerechnet das war 2019 nicht Seattles Stärke. Mit durchschnittlich 4,9 Yards pro Lauf und 22 zugelassenen Rushing-Touchdowns lag die Defense am Ende der Saison trotz Base-Formation ligaweit auf dem 28. bzw. 30. Rang und damit im NFL-Keller. Ein Jahr später sieht es dank einer verstärkten Secondary bei den Seahawks in Sachen Laufverteidigung schon besser aus. So können sich gerade die beiden Linebacker Bobby Wagner und K.J. Wright mehr auf ihre Stärken gegen gegnerische Running Backs konzentrieren. Die Folge: In Week 1 erlief Seahawks-Nemesis Todd Gurley nur 56 Yards und einen Touchdown. Das liegt aber zum Teil auch daran, dass die Falcons im Angesicht ihres frühen Rückstandes relativ schnell im Spiel gezwungen waren, auf das Passspiel zu setzen.

Im Duell gegen Cam Newton könnte Seattles Defensive Coordinator Ken Norton Jr. zudem eine weitere Geheimwaffe ins Rennen werfen, wenn denn schon das Vertrauen vorhanden ist. Schließlich machte sich Jordyn Brooks, der Erstrundenpick 2020, am College vor allem als Quarterback-Schatten einen Namen. In der Defense von Texas Tech glänzte er in der Spy-Rolle gegen mobile Spielmacher. Und wenn auch das nicht hilft, dann besteht in Seattle jetzt natürlich noch die Möglichkeit, einen gewissen Jamal Adams von der Kette zu lassen.

Der X-Faktor: Jamal Adams

Nach dem Trade des Jahres war in Seattle nicht alles rosig. Einige Experten und Fans wunderten sich, dass General Manager John Schneider zwei Erstrundenpicks (und mehr) im Tausch für Strong Safety Jamal Adams zu den New York Jets schickte. Nach seinem ersten NFL-Auftritt für die Seahawks sind diese Stimmen – zumindest mit Blick auf den kurzfristigen Impact  des Trades – verstummt. Mit zwölf Tacklings, zwei davon für Raumverlust, sowie drei Quarterback-Pressures und einem Sack zeigte Prez, warum er schon im Alter von 24 Jahren zweifacher Pro Bowler und First-Team All-Pro ist. Und die Seahawks zeigten, dass sie ihn nicht einfach in ihr System pressen, sondern sein Spiel spielen lassen wollten.

  • Spieler des Spiels: Chris Carson, der am 2. Spieltag zum ersten Mal die 100-Yard-Marke knackt und zwei Touchdowns erläuft.
  • Statistik des Spiels: Russell Wilson (3) und Cam Newton (2) sind die einzigen zwei Quarterbacks in der NFL, die mehrere Saisons mit mindestens 3.500 Yards durch die Luft und 500 Yards am Boden hatten. Außer ihnen schafften nur vier weitere Spielmacher dieses Kunststück je einmal.
  • Anekdote des Spiels: Der letzte Heimauftritt Seattles gegen New England war das erst sechste Regular-Season-Spiel in der NFL-Karriere von Russell Wilson. Die Partie am 14. Oktober 2012 gewannen die Seahawks gegen die Patriots mit 24:23. Sie wurde später als Durchbruch Wilsons bezeichnet. Und als der Tag, an dem Richard Sherman Gerüchten zufolge Tom Brady fragte: „U mad bro?!“

Der Hype-Faktor: Oldies but Goldies

Carroll und Belichick haben mit ihren am Sonntag kombinierten 137 Jahren und 162 Tagen auch einen Großteil ihres Spitzenteams von vor sechs Saisons überlebt. Von den 44 Startern in Offensive und Defensive, die für die Seattle Seahawks und die New England Patriots beim Super Bowl XLIX in Glendale (Arizona) auf dem Rasen standen, sind am Sonntag auf beiden Seiten nur noch sechs dabei. Sie heißen: Russell Wilson, Bobby Wagner, K.J. Wright, Bruce Irvin, Julian Edelman und Devin McCourty.

Das Fazit:

Die New England Patriots haben in Spiel Nummer eins von Cam Newton bewiesen, dass sie auch ohne Tom Brady gewinnen können. Allerdings sind die Seattle Seahawks ein anderes Kaliber als die Miami Dolphins. Im CenturyLink Field wird dabei erstmals zum Tragen kommen, dass es dem Team von Bill Belichick vor allem in der Offensive an Waffen mangelt. Da kann über 60 Minuten auch die Mobilität von Newton nicht dauerhaft helfen. Auf der anderen Seite stehen Russell Wilson, der die Defense aus Boston entweder selbst oder mit Hilfe seiner Wide Receiver, Tight Ends und Running Backs attackieren wird, viele Optionen zur Verfügung. Die Folge: Ohne echte Gegenwehr im eigenen Angriff wird es ein langer Abend für die Patriots.

Prognose: Die Seahawks gewinnen mit 31:17.