Defense der Seattle Seahawks – Vorschau auf die Regular Season 2023

Seattle Seahawks Defensive Coordinator Clint Hurtt 2023

Foto: Lindsey Wasson/Getty Images

Immer ein paar Punkte mehr erzielen als der Gegner – das ist natürlich auch eine Taktik, um Spiele zu gewinnen. Eine Alternative dazu wäre, die Schwachstellen in der (laufanfälligen) Defense abzustellen. Daher blicken die 12s zu Beginn der Regular Season 2023 beim ersten Auftritt gegen die Los Angeles Rams gespannt auf die Einheit um Defensive-Coordinator Clint Hurtt. Immerhin verstärkte der erste Pick der Seahawks aus dem 2023er-Draft in Kansas City die ohnehin schon starke Secondary: mit Devon Witherspoon kommt einer der beiden stärksten Cornerbacks der letztjährigen Klasse an den Puget Sound. Jamal Adams und Bobby Wagner kehren zurück, der Eine aus dem Krankenstand, der Andere vom kalifornischen Rivalen aus LA.

Ganze 24,6 Punkte im Schnitt ließ die Defense der Seahawks in der vergangenen Saison zu: damit lag die Franchise auf Rang 25 in der NFL. Insbesondere die Laufverteidigung sah dabei ein ums andere Mal erschreckend harm- und hilflos aus; hier lag das Team mit zugelassenen 4,9 Yards pro Laufversuch ziemlich am Ende der gesamten Liga. Nur die beiden schlechtesten Teams der vergangenen Runde aus Houston und Chicago präsentierten sich dort schlechter. Mit den Draft-Picks und dem gesamten Roster der Seahawks sieht es auf den ersten Blick nicht so aus, als könnte dieser Makel abgestellt werden.

Glänzen kann hingegen die Secondary, sodass die Gegner das Team aus Washington eigentlich nur über den Lauf schlagen kann – oder entwickelt sich da noch etwas mehr?

Seahawks-Defensive 2023: Das Scheme

Von 4-3 auf 3-4: das war die Entwicklung in der vergangenen Saison. Nun sieht sich das Team in der Defense um Coordinator Clint Hurtt auch in der Rolle eines Spiel-Entwicklers. Im Rahmen des Trainingsauftakts sagte der Coach: „Wir setzen den Prozess fort und werden die Spieler im Laufe der kommenden Saison entwickeln.“ In jedem Fall kommt der veränderten Verteidigung mit zwei Edge Rushern mehr Verantwortung zu, die OLB Uchenna Nwosu in der letzten Saison bereits gut angenommen hat.

Eine Veränderung an der Seitenlinie werden die 12s auch bemerken, denn mit Sean Desai hat der „Associate Head Coach & Defensive Assistent“ Seattle in Richtung der Philadelphia Eagles verlassen, um dort zum Defensive-Coordinator aufzusteigen. Seine Position bei den Seahawks und dort eben gerade in der Defense, wurde vorerst nicht nachbesetzt. Entwicklungen sind auch für Hurtt persönlich ein großes Thema: Selbst ist er über High School und College mit dem 4-3 groß geworden. Den Wechsel im System begründete der Coach dann damit, dass das 3-4 einerseits eine größere Variabilität sowie der Secondary mehr Möglichkeiten zu glänzen bietet und andererseits ganz pragmatisch dem Ansatz folgt, dass „mehr als die halbe Liga das System spielt“.

Seahawks-Defensive 2023: Die Defensive Line

Viele hätten den ersten Pick im Draft 2023 gerne eben dorthin adressiert, wo die Seahawks ohnehin eine Schwäche sehen, doch bekanntlich kam es anders. Da nichts beständiger ist, als der Wechsel, sieht die D-Line der Hawks zunächst einmal aus wie eine Drehtür: Raus sind Al Woods, Poona Ford, Quinton Jefferson und Shelby Harris. Alle entlassen oder nicht verlängert. Neu in der Defense im pazifischen Nordwesten sind hingegen Veteran „Free Agent“ Dre’Mont Jones, Jarran Reed und Mario Edwards.

Jones unterzeichnete seinerseits einen Vertrag über drei Jahre für immerhin 51 Millionen Dollar und das ist Rekord für einen vertragsfreien Spieler in der gesamten Pete Carroll-Ära. Jarran Reed ist als Nose Tackle zu erwarten, flankiert von eben Jones und Edwards. Ob die Einheit damit schneller und athletischer wird? Es bleibt abzuwarten. Jarran Reed hingegen gab sich im Rahmen einer Pressekonferenz jüngst äußerst selbstbewusst. Eine derart schlechte Laufverteidigung? „Wird mit mir nicht passieren“, ließ er wissen.

Seahawks-Defene 2023: Linebacker & EDGE

Ist es mehr als eine Rückkehr zur alten Wirkungsstätte oder anders gefragt: Wie viel hat Bobby Wagner als Linebacker noch im Tank? Einige „Big Plays“ im blau-gelben Trikot der Rams haben wohl zum Umdenken aufseiten der Hawks geführt und so dürfte Wagner, der auch im Locker Room mit seiner Erfahrung wichtig sein dürfte, vielleicht doch noch einen Unterschied ausmachen. Auch wenn er nicht mehr im Besitz seiner vollen Geschwindigkeit ist und so weniger in der früheren Rolle als Kopf der Defense agieren kann.

Etwas überraschend taucht hier auch der eigentliche Safety Jamal Adams auf und könnte, so er denn nach langer Verletzung schnell auf das Feld zurückkehrt, das Linebacker-Corps mit seiner physischen Präsenz bereichern. Sollte zudem Jordyn Brooks rechtzeitig fit sein, ist er neben Rückkehrer Wagner auf der Innenseite gesetzt. Der kommende Hall of Famer verpasste lediglich vier Tackles in der gesamten letzten Saison und erzielte Topwerte in der Laufverteidigung – laut PFF 91,1. Hier sollte zusammen mit Brooks, dessen Stärken im Tackling liegen, aber Schwächen in der Zonenverteidigung aufweist, eine Verbesserung erzielt werden.

Bei den EDGE-Rushern ist der Druck von Uchenna Nwosu und Boye Mafe, einem der letztjährigen Draft-Picks der Seahawks, zu erwarten. Flankiert von Derrick Hall und Devin Bush. Insbesondere vom diesjährigen Zweitrunden-Pick erhoffen sich die Coaches der Seahawks sich eine Verbesserung durch die Addition von Geschwindigkeit und Physis im typischen Bull-Rush. Nwosu schloss die abgelaufene Spielzeit mit ordentlichen 9,5 Sacks und 66 Tackles ab. Der letztjährige Zweitrunden-Pick Mafe kam auf immerhin 3 Sacks und 41 Tackles. Damit könnte er ein Spieler werden für die Kategorie „Breakout Player“ sein. Speziell der Druck von Außen muss in der neuen Saison einen Schritt nach vorn machen, um in der Defense insgesamt für Entlastung zu sorgen.

Seahawks-Defene 2023: Die Cornerbacks

Er war DER Gewinner des letztjährigen Drafts und hinter Sauce Gardner von den New York Jets der beste Cornerback seines Jahrgangs: Tariq Woolen. Der Mann, der jetzt nur noch „Riq“ gerufen werden will, brachte sechs Interceptions auf den Weg, unter anderem jene gegen Tom Brady in der Wildcat Formation beim München-Spiel. Die ohnehin nominell stärkste Einheit von Seattles Defense wurde im aktuellen Draft durch Erstrunden-Pick Devon Witherspoon ergänzt. Er war zwar der allerletzte Rookie, der in diesem Jahr seinen Vertrag unterzeichnete und stieg deshalb entsprechend spät ins Training ein. Dennoch dürfte „Spoon“ mit seiner Geschwindigkeit brillieren und zunächst sporadisch eingesetzt werden – die Perspektive stimmt allerdings. Außen sahen in der Preseason Michael Jackson und Tre Brown als Cornerbacks nicht immer sattelfest aus, doch einer von beiden dürfte zu Beginn der Saison Witherspoon zunächst vertreten.

Ganze 3.595 Yards ließen die Seahawks über den Pass in der letzten Saison in der Defense zu, was hier Platz 13 in der Liga bedeutete. Getreu dem Motto von Clint Hurtt sich beständig weiterzuentwickeln ist das Potenzial hierzu im Jahr 2023 absolut vorhanden, gerade auch perspektivisch. An Personal mangelt es ohnehin nicht und wenn einer ein Händchen für Cornerbacks, entweder spät im Draft oder sogar ganz für „lau“ hat, dann Pete Carroll. Nachdem Artie Burns vor einigen Tagen entlassen wurde, kam Defensive Back Kyu Blu Kelly von den Baltimore Ravens via Waiver. Getreu dem Motto: Geschwindigkeit siegt und der Erkenntnis, dass viele gegnerische Receiver in der Passverteidigung durch Tariq Woolen abgemeldet wurden, dürfte die Secondary erneut das Prunkstück der Seahawks-Defense werden.

Seahawks-Defenve 2023: Die Safeties

Mit Jamal Adams, der mutmaßlich als Linebacker-Hybrid in der Box zum Einsatz kommt, stehen den Seahawks zum einen mit Quandre Diggs, zum anderen mit Neuzugang Julian Love von den New York Giants zwei exzellente Safeties zur Verfügung. Diggs, dessen vier Interceptions, 71 Tacklings und ein erzwungener Fumble im Jahr 2022 für sich sprachen, ist hier auf der Position gesetzt. Seit seinem Wechsel von den Detroit Lions zu den Seahawks hat er sich stetig weiterentwickelt und ist mit drei aufeinanderfolgenden Pro Bowl-Nominierungen in Seattle eine feste Größe auf der defensiven Seite des Balles geworden.

Love zählte dagegen zu einem der besten vertragsfreien Spieler der vergangenen Offseason und bereichert die Defense mit einem Resümee von insgesamt 124 Tacklings im Big Apple aus der Vorsaison.

Seahawks-Defense 2023: Das Fazit

Alles in allem bleibt einerseits das Prinzip Hoffnung, dass die bekannten Schwachstellen adressiert wurden. Bekannt allenthalben, werden die Gegner die Seahawks auch in der neuen Saison bevorzugt über den Lauf angreifen. Getreu dem Prinzip von Clint Hurtt, wonach der Prozess ein hohes Gut ist, darf und sollte man gerade von der Secondary in dieser Defense jedoch einiges erwarten. Auch die Addition von Bobby Wagner dürfte gerade jungen Spielern Halt geben, die sich an seiner Seite aufrichten und entwickeln können. Machen dann noch die Laufverteidigung und der Pass Rush den nächsten Schritt, ist für die Unit der Seattle Seahawks eine Etablierung im (unteren) Mittelfeld der NFL-Defensiven möglich. Doch bis es soweit ist, stehen am Anfang eben die kleinen Schritte.