Coaching-Beben in Seattle – Pete Carroll tritt bei den Seahawks zurück

Seattle Seahawks Head Coach Pete Carroll salutes

Foto: Steph Chambers/Getty Images

Pete Carroll verlässt die Seattle Seahawks! Diese News schockierte in dieser Nacht die NFL und vor allem die 12s am Puget Sound, in den restlichen USA und auf der ganzen Welt. Wie gut informierte Quellen schon wenige Minuten nach der Ankündigung berichteten, hatte Carroll wohl bereits länger mit dem Gedanken gespielt. Demnach sei seine Entscheidung, mit 71 Jahren und damit als aktuell zweitältester Head Coach (nach Bill Belichick) in der laufenden Offseason in Rente zu gehen, schon vor einigen Monaten schrittweise aufgekommen. Der endgültige Entschluss reifte dagegen aber wohl erst vor ein paar Wochen. Eingeweiht war darüber bislang aber nur der engste Familienkreis, um Ehefrau Glena, die beiden Söhne Brennan und Nate sowie Tochter Jamie.

Teambesitzerin Jody Allen und Seahawks-General Manager John Schneider teilte Pete Carroll seine Gedankengänge dagegen wohl erst im Laufe der letzten Woche bei einem gemeinsamen Lunch mit. Im Anschluss informierte der Head Coach vom VMAC aus dann auch alle seine Spieler zusammen in einem langen Videocall.

Für die Franchise aus Seattle ist das alles ein harter Schlag. Denn mitten in der laufenden Offseason benötigt das Team ausgerechnet nach der unerwartet erfolgreichen Saison 2022 nun einen neuen Cheftrainer. Was das Ganze dazu auch noch umso überraschender macht, ist die Tatsache, dass Carroll selbst nach dem Trade von Russell Wilson immer wieder bekräftigte, dass sich das Team nicht in einem Rebuild befinden würde. Weshalb er persönlich nach eigener Aussage auch noch lange nicht mit dem Trainerleben in der NFL abgeschlossen hatte. Dem folgte jetzt aber eine 180 Grad-Wende, nach der sich Medien und Fans erst einmal einige Tage mit dem „Warum“ beschäftigen müssen. Schließlich soll es erste Antworten schon übermorgen geben. Für Montag haben die Seahawks nämlich eine Pressekonferenz angekündigt.

Die Gründe für den Rücktritt von Pete Carroll

Hier dürfte Carroll dann zu den verschiedenen Faktoren Stellung nehmen, von denen einige wohl erst im Laufe des letzten Monats auftraten und die am Ende dann seine spektakuläre Entscheidung forcierten. So spekulieren zum Beispiel einige Experten, dass die Vertragsverlängerung von Geno Smith dabei eine Rolle gespielt haben könnte. Intern hatte der Head Coach nach dem Wandel des Quarterbacks vom Reservisten zum Starter in der abgelaufenen Spielzeit offenbar einen neuen, langfristigen Deal mit seinem Spielmacher zur absoluten Priorität in der Offseason erklärt. Und nachdem die wichtigste Position auf dem Feld nach Smith‘ Unterschrift im März vorerst gesichert war, schien Carroll an diesem Punkt seine Arbeit im VMAC als erledigt angesehen zu haben. Zudem ist bekannt, dass er schon seit seinem Amtsantritt vor 13 Jahren in Seattle ein großer Fan der Draft-Strategie von GM John Schneider und des Front Offices war. Dementsprechend sieht Carroll die Zukunft des Teams, auch dank der Aussicht auf den Nr. 5-Pick Ende April in Kansas City in besten Händen.

Ein weiterer Denkanstoß im Hinblick auf seinen Rücktritt, so wird in Seattle hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, könnte auch eine weitere Frage gewesen sein. Nämlich die, dass Pete Carroll sich selbst im Laufe der Saison 2022 hinterfragte, was er den Seahawks als Head Coach aus sportlicher Sicht in Zukunft noch hätte bieten können? Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 schwang sich das Team von Puget Sound aus dem unteren Leistungsdrittel der NFL in nur vier Jahren zum Super Bowl-Sieger auf. Ein Triumph, den die Carroll-Truppe nur ein Jahr später im verfluchten State Farm-Stadium von Arizona fast wiederholt hätte. Und auch in den folgenden Jahren reichte es zwar immer wieder für die Playoffs. Aber wohl auch infolge einiger Abgänge von Franchise-Ikonen sowie durch ein paar fragwürdige Schritte im Kaderaufbau, langte es dann am Ende nicht mehr ganz für den großen Wurf. Im übertragenen Sinne gelang der aber vielleicht auch ungewollt in der letzten Offseason, als mit Wilson und Bobby Wagner die letzten beiden Pfeiler der Seahawks-Super Bowl-Ära abgegeben wurden. Eine Situation, die die Erwartungen an den Teamerfolg zunächst in den Keller sinken ließen. Mit einem beinahe traumhaften Draft und viel Glauben an Spieler wie Smith pushte Pete Carroll die Seattle Seahawks aber erneut gen Postseason. Und vielleicht will es der Head Coach genau bei diesem Mini-Meisterstück, mit dem er alle seine Zweifler Lügen strafte, auch einfach belassen?

Ein weiterer Faktor für seine Rücktrittsentscheidung dürfte dazu auch einer gewesen sein, der für Pete Carroll in der Tat ein sehr persönlicher und emotionaler ist: Der Tod von Bud Grant. Anfang März verstarb der langjährige und legendäre Vikings-Head Coach im Alter von 95 Jahren. Für Carroll war der ein absolutes Vorbild, nachdem der junge Defensive Backs Coach 1985 von Grant in dessen Coaching Staff in Minnesota geholt wurde. Nach Grants Tod trauerte Carroll daher für ihn ungewöhnlich öffentlich auf Twitter:

Wie wichtig ihm das Lebenswerk seines Mentors war, zeigte der Cheftrainer der Seahawks nach dem 27:13-Heimsieg gegen die New York Giants im Oktober 2022. Mit diesem Erfolg stieg Pete Carroll nämlich auf den 18. Platz in der Liste der „All Time Wins“ für NFL-Head Coaches auf und zog hier mit Grant gleich. Und das wollte Carroll noch vor Pressekonferenz nach dem Spiel mit einem Anruf bei seinem Freund Bud feiern: „Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr ich diesen Kerl liebe und wie viel Respekt ich für ihn während meiner Karriere gewonnen habe. Er gab mir damals die Chance wieder in der Liga zu arbeiten“, erklärte der jetzt ehemalige Seahawks-Cheftrainer damals im Anschluss. Durch den Tod von Grant vermuteten Insider, dass Carroll vielleicht eine neue Perspektive mit Bezug auf seinen eigenen Ruhestand gewann. Bekannterweise möchte der 71-Jährige den unbedingt mit seiner Frau, seinen Kindern sowie seinen Enkelkindern verbringen und genau diese Zeit hat er jetzt durch seinen Rücktritt en masse.

Das macht Pete Carroll im Ruhestand

Was Carroll jetzt mit seiner neugewonnen Freiheit anstellt, darüber können selbst Insider aktuell nur spekulieren. Gemunkelt wird, dass der Ex-Seahawks-Coach neben der Familie auch verstärkt Zeit mit ehemaligen Spielern verbringen könnte. In einem seiner letzten Interviews beim Jahresmeeting der Liga in Arizona vor einigen Tagen hatte der 71-Jährige, angesprochen auf die Wiedervereinigung mit Linebacker Bobby Wagner, noch betont, dass er keinen seiner Profis hängen lassen würde. Egal, wie schmutzig die Trennung von der Franchise auch gewesen sein mag oder ob sie mit dem Zeigen des Mittelfingers Richtung Seitenlinie ihre Entlassung forciert hätten. Dementsprechend dürften hier viele Optionen auf dem Tisch liegen. Zum einen der Besuch eines Stripclubs mit Earl Thomas in Texas, eine gemeinsame Rennradtour mit Kam Chancellor und Cliff Avril rund um den Lake Washington bis zu einem zweisamen Offseason-Angelausflug mit Russell Wilson in den Rocky Mountains.

Und auch in den eigenen vier Wänden dürfte Pete Carroll gutzutun haben. Aus Familienkreisen war vor einigen Wochen noch zu hören, dass Ehefrau Glena ihren Gatten schon nach dem Ende der NFL-Saison 2022 fast dazu zwingen musste, sich endlich einmal von mindestens drei Dutzend gebrauchten Paaren Air Monarchs zu verabschieden. So würden die abgetragenen Treter sich in einer Abstellkammer in Carrolls Haus in Kalifornien schon bis unter die Decke stapeln. Gleiches gilt für seine geliebte Flanellhemden-Kollektion. Auch hier witzeln die Kinder des Footballlehrers bereits, dass die Kleidungsstücke eine extreme Belastung für den gemeinsamen Kleiderschrank des Ehepaares Carroll darstelle.

Insgeheim strebt Carroll allerdings eine Karriere als Meme-Maschine im Internet an. Zum letzten Geburtstag schenkte ihm seine Familie ein brandneues MacBook Pro inklusive einer Schwarzmarktversion von Photoshop. Mit diesen technischen Voraussetzungen dürfte er auf jeden Fall in der Lage sein, seine jetzt schon legendären Rätsel, die er immer zum Draft auf seinem Twitter-Account postet, auch außerhalb der Collegespielerauswahl öffentlich zu machen. So könnte er das Internet dann auch über das ganze Jahr hinweg mit seinem doch eigenwilligen Humor beglücken. Die Kunst an der Tastatur könnte Pete Carroll aber nicht nur privat, sondern auch professionell ausleben. So scheint nämlich die Social Media-Abteilung der Seahawks nach Carrolls Rücktritt Interesse an einer sofortigen Wiedereinstellung des ehemaligen Head Coaches anzustreben. Und zwar in der Position eines Content Creatos. Grund dafür sind wohl die Selfies, die er zusammen mit General Manager John Schneider und dem Rest des Scouting Teams aus Seattle bei den Pro Days der diesjährigen Quarterback-Prospects in den vergangenen Tagen gemacht hatte. Die kamen bei den 12s und der gesamten NFL-Fanbase nämlich bestens an und sahnten ordentlich Likes ab.

Die Nachfolge von Pete Carroll

Und während Pete Carroll jetzt also erst einmal sein Rentnerdasein genießt, rotieren die Verantwortlichen hinter den Kulissen bei den Seahawks auf der Suche nach einem neuen Head Coach. Aufgrund des engen Zeitplans vor dem Draft und der damit verbundenen Vorbereitung auf die neue NFL-Saison kursieren in Seattle hinter vorgehaltener Hand im Moment drei Optionen. Die Erste wäre eine Rückholaktion. So liebäugelt die Ownership um Jody Allen wohl kurzfristig mit einer Verpflichtung von Mike Holmgren, der die Seahawks 2005 als Head Coach zum ersten Mal in den Super Bowl führte. Die Trainerlegende ist dabei nur drei Jahre älter als Pete Carroll und wohnt mittlerweile auch in der Nähe von Seattle. Eine allmorgendliche Fahrt mit seiner geliebten Harley-Davidson ins VMAC wäre hier also gar kein Problem.

Option Nr. 2 wäre die sogenannte „In House“-Lösung: Eine Beförderung von Nate Carroll. 2010 nahm ihn sein Vater nach seinem Amtsantritt bei den Seahawks in den Coaching Staff auf. Seitdem bekleidete Carroll Jr. mehrere Positionen im Trainerstab. Damit kennt der aktuelle Assistenztrainer von Offensive Coordinator Shane Waldron die Franchise und die Spieler gewissermaßen in- und auswendig. Und selbst wenn er an einer Stelle in seinem möglichen neuen Job nicht mehr weiterwissen sollte, hätte er mit seinem alten Herren den perfekten Coaching-Flüsterer an seiner Seite.

Sollten sich diese beiden Möglichkeiten allerdings nicht ergeben, hat Seattle auch noch eine dritte Option in der Hinterhand. Diese dürfte sich aber als die teuerste überhaupt entpuppen und die Verzweiflung der Franchise auf der Suche nach einem neuen Cheftrainer mehr als deutlich zum Ausdruck bringen. So rechnet man sich bei den Seahawks nämlich Chancen aus, den frisch verpflichteten Sean Payton direkt wieder von den Denver Broncos und damit auch von Russell Wilson loseisen zu können. Dies wäre nach Angaben von NFL-Insidern allerdings mit einem extrem hohen Preis verbunden. So wird gemunkelt, dass die Besitzer der Franchise aus Colorado neben Seattles zwei First Round-Picks aus diesem Jahr auch die Erstrundenauswahl aus 2024 sowie Wide Receiver DK Metcalf im Tradepaket fordern! Das allein dürfte für Allen, Schneider und Co. wiederum mehr als abschreckend wirken.

Und apropos Metcalf: Für die Seattle Seahawks dürfte sich in der Regular Season 2023 nicht nur am Spielfeldrand ein neues Bild ergeben, sondern auch auf dem Feld. So kündigte Seattles Offensiv-Star schon wenige Stunden nach Bekanntwerden von Pete Carrolls Rücktritt an, bei der NFL eine Sondergenehmigung beantragen zu wollen. Sein Ziel: Er möchte in der kommenden Saison oberkörperfrei spielen. Als Hommage an seinen ersten Head Coach in der Liga und in Erinnerung an ihr jetzt schon legendäres Interview beim NFL Draft Combine.

Was die restlichen Spieler der Seahawks zum Rücktritt von Pete Carroll sagen, könnt Ihr hier nachlesen.