Kopfsache: Recovery Water

Diesen Tweet veröffentlichte Russell Wilson am 26. August 2015, zwei Tage nachdem die Seattle Seahawks im CenturyLink Field das Wunder vollbrachten, die Green Bay Packers nach 0:16-Rückstand und Aufholjagd inklusive Onside Kick in der Overtime noch besiegten. Als wäre der Sieg nicht schon Wunder genug, behauptete Wilson nun auch noch, ein besonderes Wasser habe ihn davor bewahrt, eine Gehirnerschütterung zu bekommen.

Der Quarterback spielte damit wohl auf den Hit an, den Packers-Linebacker Clay Matthews ihm nach einer Interception verpasste. Schräg von der Seite kommt der Verteidiger heran gerauscht, um Wilson mit Helm und Schulter seitlich gegen Helm und Brustkorb zu tacklen. Wilson verliert das Gleichgewicht, taumelt, ein Bein knickt weg wie ein Windmännchen, so als hätte der Spieler komplett die Kontrolle darüber verloren. Dann kracht der Quarterback rückwärts auf den Boden. Als er wieder aufsteht und vom Feld trottet, sind seine Augen nur einen Spalt weit geöffnet, er sieht in diesem Moment nicht so aus, als könne er sein Team noch zum Sieg führen.

Doch genau das tat Russell Wilson. Und während die Sportwelt noch Monate später über dieses Spiel spricht, spricht der Spielmacher der Seahawks mit dem Rolling Stone. „Ich habe mir im Packers-Spiel in den Playoffs den Kopf gestoßen – und am nächsten Tag ging es mir gut“, wird Wilson im Magazin zitiert. „Es war das Wasser.“ Sein Agent Mark Rodgers lenkte daraufhin ein: „Naja, wir sagen nicht, dass wir echte medizinische Beweise dafür haben.“ Doch Wilson schüttelte angeblich den Kopf und sagte: „Ich weiß, dass es funktioniert. Bald wird man das [Wasser] direkt bei Amazon bestellen können.

Das war hier natürlich versteckte Werbung. Wilson war 2015 Investor bei Reliant Recovery Water. Das drei US-Dollar teure Gebräu mit sogenannten Nanobubbles und Elektrolyten soll Menschen helfen, nach dem Training – und laut dem Quarterback auch nach Verletzungen – schneller wieder fit zu werden.

Was ist dran am Wunder-Getränk? Doc Grünwald gibt seine Einschätzung dazu:

Was ist dran am Mythos Recovery Water? Ein Autor bei FieldGulls, auf Twitter bekannt als riesiger, ja übertrieben fanatischer Anhänger von Russell Wilson, hat sich dazu Studien angesehen, um den überwiegend skeptischen und spöttischen Kommentaren zum Thema etwas entgegensetzen zu können. Hier einige mit Vorsicht zu genießende Erkenntnisse aus seiner Recherche (Quellenangaben im Weiterlesen-Bereich):

  • Seit 2010 sind Sauerstoff-Nanobubbles Element wissenschaftlicher Studien und klinischer Versuche, zum Beispiel an den Universitäten Harvard, Oxford, Rush und NYU. Dabei standen bislang Krankheiten im neurologischen Bereich wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson, ALS und Multiple Sklerose im Mittelpunkt.
  • Positive Effekte wurden zum Beispiel bei künstlichen Organismen, genetisch modifizierten Mäusen und Menschen festgestellt – in Bezug auf Gehirnaktivität, Muskelheilung und Krebsbehandlung.
  • Nanobubbles reduzieren bei Mäusen mit Alzheimer die Phosphorylierung (Regulation von biologischen Prozessen in der Zelle) von Tauproteinen. Solche Tauproteine wurden in überhöhtem Maße bei Patienten nachgewiesen, die mit traumatischen Gehirnverletzungen in Verbindung gebracht werden.
  • Sauerstoff-Nanobubbles hemmen das Auftreten von Entzündungen im Nervengewebe bei Mäusen mit Parkinson. Und sie durchqueren die Blut-Hirn-Schranke.
  • Orale Einnahme von Sauerstoff-Nanobubbles reduziert die Mangelversorgung des Gewebes mit Sauerstoff bei Mäusen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs. Und sie mildert Muskelverletzungen bei Menschen.

Wem das zu kompliziert war – hier kommt die vereinfachte Kurzfassung: Es gibt definitiv ungeklärte Fragen zu den Nanobubbles, doch erste wissenschaftliche Studien zeigen, dass mit Sauerstoff angereichertes Wasser durchaus einen positiven Effekt auf den menschlichen Körper haben kann. Vielleicht ist Russell Wilsons Behauptung also doch nicht ganz absurd, sondern nur teilweise. Denn bei aller Bewunderung für den Quarterback ist auch klar, dass der Vorfall, der zur (im Nachhinein durch das Wasser geheilten) Gehirnerschütterung führte, mitten im Spiel passierte und Wilson anschließend weiter spielte und ein großes Risiko einging. Bei einem zweiten Zusammenstoß (Gefahr Second-Impact-Syndrom) hätte auch kein literweise angewandtes Recovery Water geholfen.

Übrigens: Aus der einst so guten Geschäftsidee, in die Russell Wilson investierte, ist wohl kein Kassenschlager geworden. Die Website ist Stand heute nicht mehr erreichbar. Und bei Amazon ist das Wasser in den Geschmacksrichtungen Original, Gurke-Minze und Frischer Pfirsich aktuell nicht lieferbar.

Weiterlesen:

Kopfsache