Fischadleraugen: Wilsons wacklige Würfe

Fischadleraugen Russell Wilson

Russell Wilson (Foto: Seattle Seahawks)

Keine Sorge, hier folgt kein Verriss des Franchise-Quarterbacks der Seattle Seahawks. Russell Wilson zeigte im Spiel gegen die Arizona Cardinals eigentlich eine gute Leistung. Von 50 Passversuchen fanden 33 ihr Ziel für 388 Yards und drei Touchdowns, außerdem hatte der Spielmacher sechs Laufversuche für 84 Yards Raumgewinn. Leider aber hatte die Leistung von Wilson drei ganz entscheidende Makel: Interceptions.

Untypisch für Wilson: Er warf in einem Spiel gleich mehrere. Der 31-Jährige hat seit dem ersten Saisonspiel 2018 keine Partie mit mehr als einer Interception in der Regular Season. Nur drei Mal in seiner mittlerweile neunjährigen Karriere warf Wilson mehr als zwei Interceptions. Die Statistik spricht eine klare Sprache: Viele solcher Spiele muss man von Russell Wilson nicht erwarten. Dennoch war er mit seinen Fehlern maßgeblich für die bittere erste Saisonniederlage verantwortlich. Durch meine masochistische Ader getrieben habe ich mir alle drei Picks nochmals im Detail angesehen.

Wilsons erste Interception ereignete sich Mitte des zweiten Viertel. Die Seattle Seahawks stehen bei 1st & Goal auf der 3-Yard-Linie der Cardinals. Sie haben noch alle Versuche und Möglichkeiten, hier den Trip in die Redzone mit einem Touchdown abzuschließen. Die müßige Diskussion, ob hier ein Pass- oder Laufspielzug die richtige Wahl gewesen wäre, spare ich mir an dieser Stelle. Hinterher ist man immer schlauer.

Seattle wählt 11-Personnel (1 Tight End, 1 Running Back, 3 Wide Receiver). Bei diesem Spielzug laufen alle fünf Spieler Passrouten. Durch vermehrte Crossing-Routen versuchen sie Arizonas Manndeckung zu schlagen. Wilson entscheidet sich für einen kurzen Pass auf Running Back Chris Carson. Er sieht, dass ein Pass Rusher der Cardinals durchbricht. Der Druck hat aber keinen Einfluss auf die Entscheidung oder die Wurfbewegung. Wilson wirft den Ball als Lob-Pass, dadurch ist der Ball sehr lange in der Luft. Gefundenes Fressen für jeden Defensive Back. Wilson hätte hier einen sogenannten Bullet-Pass – direkter Weg, gerade Wurflinie – wählen müssen. Ob Carson mit dem gefangenen Ball die Endzone erreicht, ist fraglich. Doch nur so hätte er überhaupt eine Chance gehabt, an den Ball zu kommen.

Ärgerlich wird es, wenn man in die Perspektive von Chris Carson wechselt. Keiner der anderen Spieler der Seahawks kann in der Szene seinen Gegenspieler klar schlagen. Wide Receiver DK Metcalf profitiert von einem Pick Play, der Laufweg des Cardinals-Verteidigers wird von einer anderen Passroute blockiert. Hier hätte Wilson eine einfachere und erfolgsversprechendere Option zur Verfügung gehabt. Ähnlich wie Carson hätte sich auch Metcalf bei einem Catch noch gegen seinen Verteidiger durchsetzen müssen. Aber sowohl Metcalf als auch Carson zeigen oft genug, dass sie auch nach dem Catch noch Yards sammeln können.

Die zweite Interception ereignete sich zu Beginn des vierten Viertels beim Stand von 27:24 für die Seahawks. Die Cardinals blitzen bei 3rd & 5 aggressiv mit sieben Spielern. Sie verteidigen in der Deckung Mann gegen Mann. Wilson spürt den Druck, rollt nach rechts raus. Metcalf schaut, ob der Ball in seine Richtung fliegt und bricht seine Route ab. Er versucht, sich damit vom Gegenspieler zu lösen. Er will seinem Quarterback als Anspielstation dienen.

Und hier hört die eigentliche Analyse auf: Wilson will Metcalf bedienen, wirft aus dem Lauf heraus und überwirft seinen Teamkollegen um mehrere Yards. Der Wurf aus dem Lauf ist etwas schwieriger als der mit festem Stand. Dass Wilson ihn dennoch beherrscht, ist unbestritten. Zusätzlich rollt er auf die von ihm als Rechtshänder bevorzugte rechte Seite raus. Dann aber wirft er Cornerback Patrick Peterson den Ball einfach in die Arme. Peterson hat für die Leistung dennoch ein Lob verdient. Er spielte gegen die Seahawks stark auf, meldete Metcalf in vielen Szenen komplett ab. Die Interception im folgenden Clip war künstlerisch wertvoll und sportlich wichtig.

Die dritte und kostspieligste Interception ereignete sich indes in der Overtime. Wenig später verwandelte Arizona das entscheidende Field Goal zum Sieg. Die Cardinals-Defense gibt der Seahawks-Offense einen ähnlichen Look wie schon oft zuvor in diesem Spiel. Viele Spieler sammeln sich an der Line of Scrimmage, deuten den Blitz an und spielen vermutlich Manndeckung. Wilson erhält den Ball in der Shotgun-Formation. Direkt nach dem Empfang des Balles entscheidet er sich für den Wurf auf Wide Receiver Tyler Lockett – ein folgenschwerer Fehler. Rookie-Linebacker Isiah Simmons, mit fast kriminell niedrigen Spielanteilen in der bisherigen Saison, täuscht den Blitz nur an. Danach lässt er sich wieder in die Deckungsarbeit fallen und fängt den Ball ab. Ein klares Bewerbungsschreiben für mehr Einsatzzeiten.

Wilson hat sich vor dem Snap für ein Ziel entschieden. Oder aber die Coverage der Cardinals völlig falsch gelesen. Schaut man sich den Spielzug häufiger an, wird man erkennen: Es gab auch eine andere und dazu sichere Option. Am oberen Bildrand ist DK Metcalf sträflich frei. Der Gegenspieler von Metcalf spielt Off-Coverage, lässt ihm Platz. Auch, um nicht tief geschlagen zu werden. Zum Zeitpunkt des Wurfes hätte Metcalf eine einfache Completion gelingen könne. Voraussichtlich hätte er sogar einige Yards nach dem Catch erlaufen können. Das wäre gleichbedeutend mit einer deutlich besseren Feldposition gewesen.

Genug kritisiert. Ein Spiel mit mehreren Interceptions und mentalen Aussetzern von Russell Wilson werden die Seattle Seahawks nicht jede Woche kompensieren müssen. Anders als bei anderen Quarterbacks in der Liga war das in seiner Karriere bisher eine absolute Ausnahme. Wilsons Leistung war, wie eingangs besprochen, sogar eine gute. Für das Trainerteam und ihn wird es kommende Woche nur darum gehen, die angesprochenen Fehler zu vermeiden. Damit die Lobeshymnen auf Russell Wilson bald wieder ohne Einschränkungen ertönen können.