Fischadleraugen: Das Defensiv-Desaster

Fischadleraugen Tre Flowers und die Seahawks-Defensive

Tre Flowers (Foto: Seattle Seahawks)

In der letzten Ausgabe von Fischadleraugen habe ich noch vorweg geschoben, dass ich in dieser Reihe keinen Verriß am Franchise-Quarterback vornehmen werde. Dafür kann ich im heutigen Text hingegen nicht garantieren. Das Augenmerk liegt diesmal nämlich auf der Defensive der Seattle Seahawks und ihrem Desaster-Auftritt bei den Buffalo Bills.

Kaschiert durch eine Offensive, die mit 34,3 Punkten pro Spiel die Liga bis dato anführt, ist die Defensive der Seahawks das genaue Gegenteil. Seattle lässt die meisten Yards pro Spiel (455,8) zu. Zusätzlich kassiert Seattle die meisten Receiving-Yards pro Spiel (362,1). Bei 30,4 zugelassenen Punkten pro Spiel kann man die Seahawks-Verteidigung mittlerweile nicht mal mehr mit dem Leitsatz „Bend, don’t break“ verteidigen. Untypisch für eine von Pete Carroll instruierte Mannschaft neigt die Defensive auch zum Zulassen von Big Plays. Das entspricht so überhaupt nicht dem Ansatz des Cheftrainers.

Der Lichtblick der Defensive bleibt die Laufverteidigung. Hier lassen die Seahawks die viertwenigsten Yards pro Spiel zu. Auch mit bloßem Auge erkennt man – beispielsweise im Spiel gegen die San Francisco 49ers –, dass die Laufverteidigung die Stärke der Unit ist. Es bleibt aber die berechtigte Frage zurück, ob in einer Liga, in der das Passspiel immens große Wichtigkeit hat, die Laufverteidigung einer NFL-Defense das Prunkstück sein sollte.

Nach dem Spiel gegen die Buffalo Bills kochte erneut die Debatte um das Defensiv-Schema der Seahawks hoch. Die Grundzüge der Carroll’schen Defensive habe ich bereits im Rückblick der vergangenen Saison im Fischadlerauge besprochen. Hier lohnt sich ein Blick zurück, um gleich besser folgen zu können. Head Coach Pete Carroll äußerte sich nach dem Spiel sinngemäß, dass es eklatante Schwächen in der Ausführung der Spieler gab. Im Netz war der allgemeine Tenor der Diskussion eher, dass die Play Calls von Defensive Coordinator Ken Norton Jr. und dessen Chef falsch oder das Cover-3-Schema der Seahawks mittlerweile überholt seien.

Alles eine Frage der Philosophie?

Ich werde im Folgenden den ersten Scoring-Drive der Bills genauer unter die Lupe nehmen. Begonnen hat das Unheil mit einem 60-Yard-Kickoff-Return von Buffalo.

Die Bills beginnen ihren Drive in der Hälfte der Seahawks. Die Bills-Offensive kommt mit einer Empty-Formation, also ohne Running Back, auf den Platz. Retrospektiv betrachtet war das der erste Indikator für die Vorgehensweise der Heimmannschaft. Das Team rund um Quarterback Josh Allen hat es sich ganz explizit zur Aufgabe gemacht, die Schwächen der Seahawks in der Passverteidigung permanent zu attackieren. Im gesamten Spiel verzeichnete Quarterback Allen so 52 Dropbacks. Laufversuche hatten die Bills nur derer 13.

Der Fehler in dieser Szene ist die mangelnde Abstimmung in der Secondary. Nickel-Cornerback D.J. Reed (in der Mitte des Bildes) übergibt seinen ersten Gegenspieler an die nächste Zone. Anschließend zieht er in die Mitte des Feldes. Hier deckt ein Linebacker einen Passempfänger. Reed müsste also deutlich früher in die Flat rücken und dort die Zone oder den Gegenspieler abdecken. Zu spät kommt Reed auch, weil er auf den Rollout nach rechts von Josh Allen reagiert. Das war in dieser Szene disziplinlos und unnötig, denn Defensive End Carlos Dunlap war nah am Quarterback. Resultat ist eine einfache Completion.

Im darauffolgenden Spielzug spielen die Bills eine Play Action. Sie täuschen die Ballübergabe an den Running Back an. Der Quarterback zieht den Ball zu sich und wirft anschließend. Veteran Bobby Wagner fällt auf den Spielzug herein. Er will den Angreifer der Bills überlisten und zum Running Back vorstoßen. Der angesprochene Angreifer läuft aus dem Slot heraus eine Crossing-Route nach außen. Wagner, auch in dieser Saison eigentlich ein solider Coverage-Linebacker, fehlen die Sekundenbruchteile. Warum? Weil er zu lange den Lauf statt den Pass gespielt hat. Einen einfachen Wurf später erzielt Buffalo ein neues First Down. Die Defensive der Seahawks zeigt früh eklatante Schwächen.

Der dritte und letzte Spielzug im heutigen Beitrag endet im ersten Touchdown der Bills. Allen bekommt den Ball in der Shotgun. Wide Receiver Isaiah McKenzie startet seine Route im Slot. Dabei läuft er keine fest definierte Route, sondern sucht nach Räumen in der Zonenverteidigung. Die sogenannten Seams bezeichnen die Schnittstellen zwischen den einzelnen Zonen und sind die Schwachstellen einer jeden Zonenverteidigung.

Cornerback Tre Flowers, zuständig für das rechte Spielfeld-Drittel, deckt die falsche Zone. Er müsste ähnlich wie sein Pendant auf der anderen Seite (Quinton Dunbar) seine Zone tiefer spielen. Dadurch hätte er entscheidend in das Play eingreifen können. Abgesehen davon liegt die Schuld aber auch bei Free Safety Quandre Diggs, der hier den klassischen Single High Safety spielt. Somit ist er für das tiefe mittlere Drittel zuständig oder hat die Aufgabe, die beiden äußeren Cornerbacks zu unterstützen. McKenzie läuft nah an Diggs vorbei und spätestens als McKenzie die 15-Yard-Linie passiert muss Diggs ihm eigentlich folgen. So aber reagiert er zu spät und kann den Gegenspieler nicht mehr stoppen. Die Defensive ist das erste von vielen Malen in diesem Spiel geschlagen.

Der erste Scoring-Drive der Buffalo Bills zeigt vor allem individuelle Aussetzer in der gesamten Defensive. Nahezu alle Verteidiger reagieren langsam oder zu spät auf die Aktionen ihrer Gegenspieler. Weiterhin zeigen die Spieler wenig Disziplin in ihren Aktionen, sie halten ihre Zonen und Zuständigkeiten nicht ein. Das soll nun aber nicht als Entschuldigung für das Trainerteam gelten. Jedoch kann man Head Coach Carroll in seinen Ausführungen bei genauerer Betrachtung die Wahrheit nicht gänzlich absprechen.

Die Kritik am Trainerteam bleibt aber deswegen nicht unberechtigt. Schlechtes Ausführen der Vorgaben ist mindestens in Teilen auch Schuld der Führungsriege. Möchtest du als Trainer, dass deine Ideen gut umgesetzt werden, so müssen diese gut erklärt sein und zur Situation passen. Außerdem ist der Trainerstab rund um Pete Carroll für die Auswahl der Spieler zuständig. Entweder passt diese nicht perfekt zum angepeilten Schema oder die Spieler sind individuell nicht gut genug.

Mit den meisten kassierten Punkten in der Carroll-Ära hat die Defensive der Seattle Seahawks einen Tiefpunkt erreicht. Dieser zeichnete sich in der über Jahre schlechter werdenden Verteidigung durchaus ab. Nach diesem desaströsen Auftritt ist es höchste Zeit, die Spieler in eine bessere Form zu bringen oder das Schema auf die Stärken der Akteure auf dem Feld anzupassen. Gelingt der Seahawks-Defensive nicht zumindest eine kleine Trendwende, so sind auf lange Sicht die Saisonziele gefährdet. Und das trotz einer historisch guten Offensive.