12 Fragen an… Cliff Avril

12 Fragen an Cliff Avril

Als Cliff Avril den Shop betritt, hat sich bereits eine Schlange gebildet, die wohl fast von der einen bis zur anderen Endzone im CenturyLink Field reichen würde. Von einem mit blauem Tuch bedeckten Tisch, an dem der Star wenig später Autogramme schreiben wird, durch das Sportartikelgeschäft hindurch, vorbei an Footballs, Mützen und Shirts, hinaus durch die große Glastür bis in die Hamburger Einkaufsstraße stehen die Fans eingereiht. Alle sind sie gekommen, um den ehemaligen Defensive End der Seattle Seahawks zu treffen, ihre Helme und Trikots signieren zu lassen und Fotos mit dem Meister des Strip-Sacks zu machen.

Nach einer Stunde – eine Flut an Bildern ist gemacht, ein Berg an Autogrammen ist geschrieben – nimmt sich Avril Zeit für das Interview mit den German Sea Hawkers. Ein Gespräch am Autogrammtisch über Jetlag, ein verpasstes Karriereziel und die Freundschaft zu Michael Bennett.

Cliff, heute ist Dein zweiter Tag in Deutschland. Du kamst hier an, warst direkt beim Event von ranNFL, hattest anschließend mehrere Pressetermine, schreibst nun Autogramme. Wie gefällt’s Dir bislang?
Es ist großartig. Ich freue mich zu sehen, wie populär unser Sport in Deutschland inzwischen geworden ist. Ich sehe so viele 12s, so viele Seahawks-Fans hier in Hamburg. Das genieße ich total. Das Sightseeing kam bislang zwar zu kurz, aber heute Nachmittag sollte dafür noch Zeit sein, bevor es weiter geht nach Köln.

Natürlich hat Dich der Jetlag nach der langen Reise aus den USA nicht verschont. Die Zeitverschiebung wartet im Oktober auch auf die Spieler der Seahawks, wenn sie nach London kommen. Wie geht man mit so etwas um?
Das ist nicht einfach. Je früher aber das Team nach London kommt, desto besser. Wir sind kaum 24 Stunden hier und ich bin noch ziemlich müde, mein Körper hat sich noch nicht an die Umstellung gewöhnt. Wenn die Spieler früh in der Woche ankommen und sich akklimatisieren können, sollte das sie auch vor Verletzungen schützen, die schnell mal wegen Müdigkeit oder Unachtsamkeit passieren. Nach dem Spiel ist dann die Bye Week enorm wichtig, ohne die geht das meiner Meinung nach nicht gut.

In der Warteschlange standen vorhin neben den vielen Fans auch einige Jugendspieler und Nachwuchs-Footballer aus Deutschland. Du hast die Begeisterung für die Sportart hierzulande mit eigenen Augen gesehen. Du als jemand, der sowohl die Gefahren und Risiken als auch die Schönheit von American Football kennt: Wie funktioniert verantwortungsbewusster Umgang mit der Sportart – als Fan und als Spieler?
Das wichtigste beim American Football ist zu verstehen, wie das Spiel gespielt wird. Niemand darf glauben, dass wir Spieler nur da raus aufs Feld gehen, um in andere Menschen hinein zu rennen. Kein Tackling ohne Technik. Das Spiel zu verstehen und die Technik zu lernen ist der Schlüssel, die Sportart einzuordnen und Risiken zu minimieren.

Trotzdem ist niemand gefeit vor schweren Verletzungen, Du bist das beste Beispiel dafür. Die Seahawks haben gerade das Training Camp beendet und stehen kurz vor der Regular Season. Wie ist es, das nach dem Karriereende von außen zu verfolgen?
Das ist schon ein bisschen komisch. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nicht Teil eines Football-Teams. Dieser Sport begleitete mich zuletzt 16, 17 Jahre am Stück. Aber ich ergreife diese Gelegenheit. Für mich hat ein neues Kapitel im Leben begonnen. Ich darf mehr Zeit mit meiner Familie, mit meinen Kindern verbringen. Ich kann mich also nicht beschweren.

Aber mal ehrlich, ist da nirgends im Kopf dieser Gedanke: Was wäre gewesen, wenn ich mich nicht so am Nacken verletzt hätte, dass ich meine Karriere beenden musste?
Doch, schon. Die 100 Sacks waren immer mein großes Ziel. Aber 74 sind auch nicht so schäbig, oder? Ich denke, dass ich auch damit noch zu den besten 100 Defensive Ends aller Zeiten gehöre. Von daher sind die 74 Sacks etwas Positives für mich.

Allzu viel Zeit für Gedankenspiele hast Du aktuell sowieso nicht, denn der neue Lebensabschnitt hat neue Herausforderungen für Dich parat.
Ja, ich habe seit kurzer Zeit eine Radioshow auf Sports Radio KJR 950, die macht mir Spaß. Ich kann den Menschen eine neue Perspektive auf das Spiel geben, denn ich habe die Kabinen-Mentalität, ich weiß, wie die Spieler ticken, ich weiß, wie Profis Dinge verarbeiten. Mal sehen, was da noch so kommt für mich.

Außerdem arbeitest Du weiter für Deine Stiftung, die Cliff Avril Family Foundation. Der Fokus dort liegt unter anderem auf dem Kampf gegen Diabetes und der Entwicklungshilfe im Heimatland Deiner Eltern. Als Spieler bautest Du pro Sack ein Haus in Haiti. Was ist als nächstes geplant?
Mein Engagement hört natürlich jetzt nicht auf, klar. Im Herbst wird eine Grundschule in Haiti fertig, die wir finanziert haben. Die wird im kommenden Monat eröffnet. Außerdem veranstalte ich weiterhin jedes Jahr ein Football-Camp dort und unterstütze ein Waisenhaus. Als nächstes ist eine Partnerschaft mit dem Jugendklub vor Ort geplant. Ich möchte Kindern weiter Hoffnung geben und sie inspirieren, ihre oft schwierige Situation durch Bildung und Sport selbst in die Hand zu nehmen.

Welche Rolle kann ein Verein wie die German Sea Hawkers spielen, um Dein Anliegen zu unterstützen?
Erzählt den Fans, was wir tun. Leitet sie an die Foundation weiter, wo sie noch mehr Informationen bekommen. Ich will, dass die Leute wissen, was die Stiftung macht. Genau das ist für uns die größte Herausforderung. Viele Medien sprechen oft nicht über die positiven Aktivitäten von Spieler, sondern nur darüber, dass ein Profi verhaftet wurde oder Probleme mit dem Gesetz hat. Da ist aber viel mehr in der NFL als nur diese Geschichten. Wir Spieler wollen einen Unterschied machen in unseren Heimatgemeinden und dort, wo wir leben. Wenn ihr die Aufmerksamkeit darauf richtet, hilft das uns ungemein.

Auch Michal Bennett will einen Unterschied machen. Er hat ein hochpolitisches Buch geschrieben, in dem er unter anderem ausführlich den Protest der Spieler gegen Rassismus und Polizeigewalt erklärt. Er trifft in Philadelphia nun auf Chris Long und Malcolm Jenkins, starke Akteure der Protestbewegung. Sieht aus, als seien die Eagles der richtige Fit für Bennett, oder?
Sie sind ein fantastisches Team für Mike, absolut. Aber sind wir ganz ehrlich: Ein Michael Bennett lässt sich auch nicht verbiegen, egal wo er spielt. Er ist einfach wie er ist – und das mag ich an meinem Freund. Ob er nach New England oder Atlanta geht, er wird das sagen, was er für richtig hält. Philly ist definitiv ein guter Ort für ihn, weil im Team viele weitere Aktivisten sind.

Philly bedeutet auf der anderen Seite aber auch, dass er nicht mehr in Seattle ist, wo Du zu Hause bist. Wie wirkt sich die Distanz auf Eure Freundschaft aus?
Wir sind trotzdem in Kontakt. Meine Frau, meine Kinder und ich, wir werden diese Saison nach Philly kommen und uns ein paar Spiele von Mike anschauen. Natürlich will ich nur das Beste für ihn in Philly, daran wird die Distanz nichts ändern. Und im Sommer machen wir wieder gemeinsam Urlaub.

Ihr wart auf dem Spielfeld ein großartiges Tandem, Ihr hängt auch abseits des Platzes miteinander ab. Was macht Eure Freundschaft aus?
Mike ist definitiv mein bester Freund. Wir sind so viel mehr als nur Teamkollegen. Unsere Ehefrauen sind sich ebenfalls sehr nahe, sie treffen sich und tun, was Ehefrauen so tun. Unsere Freundschaft ist so viel mehr als nur Football. Wir tauschen uns fast jeden Tag aus. Ich habe ihn mindestens dreimal gesprochen, seit ich hier bin. Ich werde ihn bitten, beim nächsten Mal mit nach Deutschland zu kommen (lacht).

Du bist nicht mehr bei den Seahawks, Mike spielt in Philadelphia, Kam Chancellor hat seine Karriere beendet, Richard Sherman läuft in San Francisco für die 49ers auf. Reihenweise sind in Seattle die Führungsfiguren weggebrochen. Wer übernimmt jetzt die Verantwortung?
Bobby Wagner war immer schon ein Anführer, aber jetzt kann er das noch stärker nach außen hin zeigen und laut werden. Das gleiche gilt für K.J. Wright. Und natürlich ist da noch Russell Wilson. Ich denke, das ist eine großartige Gruppe, die dieses Team anführen und zu guten Leistungen anspornen wird.

Cliff, wir danken Dir für das Gespräch!

Als das Interview vorbei ist, stehen vor dem Tisch wieder zahlreiche Fans, die Schlange hat sich erneut aufgefüllt bis zum Ausgang des Shops – und niemand wartet an diesem Tag vergeblich.

 

Über die Rubrik

„12 Fragen an…“ ist eine Rubrik, in der regelmäßig Interviews unserer Redaktion mit Persönlichkeiten veröffentlicht werden, die in einer Beziehung zur deutschsprachigen Fangemeinde und den Seattle Seahawks stehen. In den Gesprächen geht es um Zusammenhänge zwischen den Interviewpartnern und unserem Lieblingsteam, Erlebnisse und Erfahrungen im American Football und persönliche Geschichten. Alle bisher erschienenen Interviews aus der Serie gibt’s hier zum Nachlesen.