Die Saison 2017 in der Analyse – Ausblick

Von 2012 bis 2016 erreichten die Seattle Seahawks jedes Jahr die Playoffs, zweimal stand das Team im Super Bowl, einmal gewann es die Vince Lombardi Trophy. Nur die Green Bay Packers und die New England Patriots können im gleichen Zeitraum ähnliche oder noch bessere Serien vorweisen. So war es keine Überraschung, dass vor der Saison 2017 der Gewinn der NFC West und das damit verbundene Erreichen der Playoffs definiertes Ziel waren. Dieses Vorgaben hat das Team von Head Coach Pete Carroll nicht erfüllt. Mit einem Record von 9-7 verpassen die Seahawks sowohl den Sieg in der Division als auch einen Wild Card-Platz. Die längste Serie an Postseason-Teilnahmen in der Franchise-Geschichte ist vorbei.

Im mehrteiligen Saisonrückblick nennt die Redaktion die Gründe des Scheiterns, richtet aber auch schon den Blick auf die Offseason. Denn es könnte viel passieren. Von kleinen Modifikationen bis hin zum großen Umbruch in Kader und/oder Trainerstab ist alles denkbar. Der letzte Teil der Serie beschäftigt sich mit der Zukunft. Was wird in der Offseason passieren? Was ist bereits passiert?

In der Einleitung wurde es bereits erwähnt: Die Offseason der Seattle Seahawks hat turbulent begonnen – mit Veränderungen im Trainerstab. Und sie kann turbulent weitergehen, denn einige namenhafte Spieler werden Free Agents, andere Stars müssen sich entscheiden, ob sie überhaupt weiter American Football spielen können und wollen und ein paar Spieler könnten aufgrund ihrer Vertragssituation per Trade zu anderen Teams getauscht werden. Und dann steht ja im April noch der NFL Draft 2018 an.

Free Agents

Anders als in der vergangenen Offseason gibt es in diesem Jahr eine Reihe von Spielern, deren Verträge auslaufen. Sie können Vertragsverhandlungen mit anderen Teams führen. Diese Spieler werden auch als Unrestricted Free Agents (UFA) bezeichnet. Wenn sie einen Vertrag bei einem anderen Team unterschreiben, hat das bisherige Team keine Möglichkeit sie zu halten.

TE Jimmy Graham: Es gibt nicht wenige Fans und Experten, die den Trade für Jimmy Graham als Ausgangspunkt für eine Verwässerung der Offensiv-Philosophie halten. Fakt ist, dass Graham im Grunde nicht in eine Offense passt, die auf das Laufspiel ausgerichtet ist. Wie in den vergangenen drei Jahren zu sehen war, ist Grahams als Blocker stark limitiert. Zudem war seine Person immer wieder Ausgangspunkt von Diskussionen rund um das das Play Calling der Seahawks. Der Vorwurf an den ehemaligen Offensive Coordinator Darrell Bevell: Graham werde nicht so eingesetzt, dass seine Stärken zur Geltung kommen.
2017 entwickelte sich Graham endlich zu der erhofften Waffe, wurde vor allem in der Redzone effektiver eingesetzt als in den Jahren zuvor. Mit zehn gefangenen Touchdowns führte der Tight End das Team an.
Wie wahrscheinlich ist eine Vertragsverlängerung in Seattle? Viel hängt davon ab, in welche Richtung sich die Offense entwickeln soll. Möchte der Trainerstab zu einer Offensive zurückkehren, die vor allem auf das Laufspiel setzt, ist für Graham kein Platz im Team. Vor allem, wenn berücksichtigt wird, dass Graham vergangenes Jahr $10 Millionen gekostet hat und der teuerste Tight End der Liga war. Nach der Verpflichtung von Brian Schottenheimer ist davon auszugehen, dass die Philosophie auf ein starkes Laufspiel ausgerichtet bleibt. Sollte sich aber die Grundausrichtung der Offense radikal ändern, könnte die Situation anders beurteilt werden. Doch selbst dann ist fraglich, ob Graham für weniger als die Summen der vergangenen Jahre einen Vertrag in Seattle unterschreiben würde. Aufgrund der angespannten Salary Cap-Situation sowie der großen Baustellen im Kader können sich die Seahawks eigentlich keinen Tight End zu diesem Preis leisten. Die Zeichen stehen auf Abschied.

LG Luke Joeckel: Vor der Saison unterschrieb Joeckel einen Einjahresvertrag für $8 Millionen, ein Gehalt, das er in der vergangenen Runde nicht wert war. Joeckel verpasste mehrere Spiele aufgrund einer erneuten Knieverletzung mit Operation und zeigte über den gesamten Verlauf der Spielzeit keine konstante Leistung. Für ein weitaus niedrigeres Gehalt könnte er einen neuen Vertrag erhalten. Sollte dieser Fall nicht eintreten, geht die Welt aber nicht unter. Die restlichen Stammspieler der O-Line sind noch vertraglich an die Seahawks gebunden.

WR Paul Richardson: 2017 war das bisher beste NFL-Jahr für Paul Richardson. Er stellte mit 44 Fängen für 703 Yards und sechs Touchdowns persönliche Bestmarken auf und hatte einige spektakuläre Catches. Insgesamt warf Russell Wilson 80 Mal in seine Richtung. Nur Jimmy Graham und Doug Baldwin waren häufiger Ziel des Quarterbacks.
Das Front Office würde Richardson sicher gerne halten, das wird aber alles andere als einfach. Auch wenn Richardson nicht ganz die Zahlen von Davante Adams (Green Bay Packers) vorweisen kann, wird er vermutlich einen ähnlichen Vertrag einfordern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass irgendein Team mit viel Platz unter der Gehaltsobergrenze bereit ist, ihm einen vergleichbaren Vertrag zu bieten. In diesem Fall wäre es sehr unwahrscheinlich, dass Richardson bleibt.
Die Verträge folgender Offense-Spieler laufen ebenfalls aus: TE Luke Willson, RB Eddie Lacy, RG Oday Aboushi, LT Matt Tobin, QB Austin Davis. Von den fünf Akteuren hat Luke Willson wohl noch die größte Chance auf eine Rückkehr zu den Seahawks. Er war bereits vor der vergangenen Saison Free Agent, entschied sich letztendlich aber für eine Vertragsverlängerung um ein Jahr.

DT Sheldon Richardson: Der zweite Richardson im Team. Im September wurde der D-Liner von den New York Jets geholt (im Tausch für Jermaine Kearse), um den Ausfall von Rookie Malik McDowell zu kompensieren. Es war ein teurer Trade, der nicht einen Wide Receiver, sondern auch Draft Picks kostete. Danach erwarteten Experten wie Fans enorm viel von der neu formierten Defensive Line, vielleicht zu viel. Mit 27 Tackles und einen Sack produzierte Richardson nicht die erhofften Zahlen. Fairerweise muss erwähnt werden, dass er gegen den Lauf gut arbeitete, zusätzlich drei Ballverluste forcierte und Raum für die anderen Verteidiger schuf.
Von allen Free Agents ist Richardson neben Bradley McDougald wohl der Spieler, den das Front Office am liebsten in Seattle halten würde. Ob das gelingt, wird stark von seinen Gehaltsforderungen abhängen. In einem Wettbieten um Richardson werden die Seahawks vermutlich nicht mithalten können und wollen.

S Bradley McDougald: Die Verpflichtung von Bradley McDougald in der vergangenen Offseason war ein guter Schachzug. Nach dem Ausfall von Kam Chancellor wurde der Safety zum Stammspieler und machte seinen Job mehr als ordentlich.
Eine Vertragsverlängerung mit McDougald wird für das Front Office hohe Priorität haben, zumal hinter der Rückkehr von Chancellor weiterhin ein großes Fragezeichen steht.

Die Verträge folgender Defense-Spieler laufen ebenfalls aus: LB Michael Wilhoite, LB Terence Garvin, DE Marcus Smith, CB Bryon Maxwell, CB DeShawn Shead*. Wilhoite, Garvin und Smith sind Kann-Vertragsverlängerungen, aber kein Muss. Anders sieht es bei Maxwell und Shead aus. Maxwell kann unter Umständen für kleines Geld gehalten werden, er hat bereits Interesse signalisiert, in Seattle zu bleiben. Seine Ausflüge nach Philadelphia und Miami haben gezeigt, dass er nur im richtigen System funktioniert – in dem der Seahawks. Er würde für Kadertiefe sorgen und gleichzeitig nicht die Bank sprengen. Shead deutete auf Instagram an, dass er ein Unrestricted Free Agent und damit frei auf dem Markt sei. Die Entscheidung liegt also nicht bei den Seahawks, sondern beim Spieler. Aus Sicht des Team gibt es aber keinen Grund, den Vertrag nicht zu verlängern. Jetzt muss sich zeigen, wie Sheads Markt nach langer Verletzungspause aussieht.

Neben den Unrestricted Free Agents gibt es weitere Free Agent-Kategorien. Ein Restricted Free Agent (RFA) kann von seinem Team mit einem sogenannten Tender belegt werden. Das heißt also, die Seahawks haben bei all ihren RFA das Vorrecht auf einen Deal. Es gibt drei Arten Tender: einen First-Round Tender, einen Second-Round Tender oder einen Tender in der Höhe des Draft Picks, mit dem der Spieler ausgewählt wurde.

Falls ein RFA sich mit einem neuen Team auf einen Vertrag einigt, hat das bisherige Team die Chance, mit diesem Angebot gleichzuziehen. Zieht das bisherige Team gleich, muss der Spieler bei bisherigen Team bleiben. Zieht das bisherige Team nicht gleich, erhält es im stattdessen einen Draft Pick vom neuen Team des Spielers. Die Höhe des Draft Picks richtet sich nach der Tender-Kategorie.

Ein Beispiel: Running Back Mike Davis ist in dieser Offseason ein RFA. Davis wurde in der vierten Runde des NFL Draft 2015 ausgewählt. Somit würde Davis einen Fourth-Round Pick als Tender erhalten. Nicht jeder RFA kann also mit eine First- oder Secound-Round Tender belegt werden.

Das Gehalt des neuen Einjahresvertrags wird anhand der Tender-Kategorie berechnet. Das Front Office muss abschätzen, wie hoch das Risiko ist. Wenn ein RFA keinen Tender erhält, wird er automatisch zum UFA.

In den vergangenen Jahren haben nur wenige RFA bei anderen Teams unterschrieben. Aber auch hier gibt es Ausnahmen: O-Liner Garry Gilliam unterschrieb vergangenes Jahr als RFA einen Vertrag bei den San Francisco 49ers – und die Seahawks entschieden sich dagegen, mit diesem Angebot gleichzuziehen. Sie erhielten allerdings auch keinen Draft Pick, denn Gilliam wurde in die dritte Tender-Kategorie eingestuft. Und da er als Undrafted Free Agent in die NFL kam, gab es keine Bemessungsgrundlage.

Folgende Spieler der Seahawks werden in dieser Offseason RFA: RB Mike Davis, RB Thomas Rawls, CB Justin Coleman, DE Dion Jordan, LB Dewey McDonald. Welcher Spieler mit welchen Tender belegt wird, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Es ist davon auszugehen, dass Justin Coleman, Mike Davis und Dion Jordan mit einem Tender versehen werden. Die Karriere von Thomas Rawls dagegen wird in Seattle höchstwahrscheinlich vorbei sein.

Die Kategorie Exclusive-Rights Free Agents (ERFA) ist die niedrigste. Spieler dieser Kategorie können nur wechseln, wenn ihr bisheriges Team sie nicht mehr haben möchte. Bietet das Team ihnen einen Einjahresvertrag zu den günstigsten Konditionen an, müssen sie diesen Vertrag annehmen.

Folgende Spieler werden ERFA: LT Tyrus Thompson, RB/WR J.D. McKissic, C Joey Hunt, DE Christian French, DE Branden Jackson, DT Garrison Smith, DT Quinton Jefferson, LB Paul Dawson, LB Josh Forrest, S Akeem King, S Jordan Simone, LS Tyler Ott.

Cap Space

Wenn Free Agents das Thema sind, gehört die Diskussion über Gehälter und die Obergrenze immer dazu. Viel Geld ist nicht vorhanden bei den Seahawks: 2018 stehen Seattle rund $19 Millionen für Vertragsverlängerungen und Neuverpflichtungen zur Verfügung. Jedoch stehen aktuell nur 37 Spieler für die kommende Saison unter Vertrag. Deshalb muss die genannte Summe reduziert werden. Laut overthecap.com stehen General Manager John Schneider effektiv nur $12,6 Millionen zur Verfügung. Diese Summe wird sich vermutlich in den kommenden Wochen erhöhen. Durch Umstrukturierungen, vorzeitige Vertragsverlängerungen oder Trades und Entlassungen kann das Front Office den ein oder anderen Dollar einsparen.

Kopf oder Zahl

Diese Spieler sind feste Größen im Kader der Seahawks, doch es ist wahrscheinlich, dass nicht alle auch in der Saison 2018 wieder für Seattle auflaufen werden:

  • CB Richard Sherman
  • LT Duane Brown
  • P Jon Ryan
  • LB Bobby Wagner
  • FS Earl Thomas
  • DE Frank Clark
  • CB Jeremy Lane
  • LB K.J. Wright
  • DE Michael Bennett
  • DE Cliff Avril (Nackenverletzung)
  • SS Kam Chancellor (Nackenverletzung)

Trainerstab

Es hat sich schon einiges getan in der noch jungen Offseason des Teams. Anfang Januar entließen die Seahawks einige Trainer und ersetzten sie durch neue. Alle Veränderungen, die bereits feststehen, im Überblick:

  • Offensive Coordinator: Entlassen – Darrell Bevell, Verpflichtet: Brian Schottenheimer
  • Defensive Coordinator: Entlassen – Kris Richard, Verpflichtet: Ken Norton Jr.
  • Offensive Line Coach: Entlassen – Tom Cable, Verpflichtet: Mike Solari
  • Linebackers Coach/Assistant Head Coach/Defense – Michael Barrow, Verpflichtet – ?

Ende Januar mehrten sich außerdem Gerüchte, dass der bisherige Wide Receivers Coach Dave Canales neuer Quarterbacks Coach werden und Carl Smith beerben soll. Smith soll dem Team in anderer Funktion erhalten bleiben.

NFL Draft 2018

Neunmal dürfen die Seahawks Stand heute im NFL Draft 2018 auswählen, aber nur einmal in den ersten drei Runden. In den Runden zwei und drei hat Seattle keine Picks zur Verfügung, darf aber in den anschließenden vier Runden noch achtmal wählen. Die komplette Pick-Liste im Überblick:

  • 1. Runde – Pick #18
  • 4. Runde – Pick #116
  • 5. Runde – Pick #132
  • 5. Runde – Pick #137
  • 5. Runde – Pick #160
  • 7. Runde – Pick #200
  • 7. Runde – Pick #209
  • 7. Runde – Pick #222
  • 7. Runde – Pick #223

Das war die fünfteilige Saisonrückblick-Serie der Redaktion. Teil eins ordnete die Bilanz der Spielzeit 2017 ein und beschäftigt sich mit dem Spieler, der das Team am Leben hielt, Teil zwei analysierte die vielen Schwachstellen, in Teil drei wurde das Abschneiden der Rookies betrachtet und in Teil vier ein Blick auf die Zahlen geworfen.