Die Saison 2017 in der Analyse – Bestandsaufnahme

Von 2012 bis 2016 erreichten die Seattle Seahawks jedes Jahr die Playoffs, zweimal stand das Team im Super Bowl, einmal gewann es die Vince Lombardi Trophy. Nur die Green Bay Packers und die New England Patriots raftönnen im gleichen Zeitraum ähnliche oder noch bessere Serien vorweisen. So war es keine Überraschung, dass vor der Saison 2017 der Gewinn der NFC West und das damit verbundene Erreichen der Playoffs definiertes Ziel waren. Dieses Vorgaben hat das Team von Head Coach Pete Carroll nicht erfüllt. Mit einem Record von 9-7 verpassen die Seahawks sowohl den Sieg in der Division als auch einen Wild Card-Platz. Die längste Serie an Postseason-Teilnahmen in der Franchise-Geschichte ist vorbei.

Im mehrteiligen Saisonrückblick nennt die Redaktion die Gründe des Scheiterns, richtet aber auch schon den Blick auf die Offseason. Denn es könnte viel passieren. Von kleinen Modifikationen bis hin zum großen Umbruch in Kader und/oder Trainerstab ist alles denkbar. Teil eins der Serie ordnet die Bilanz der Spielzeit 2017 ein und beschäftigt sich mit dem Spieler, der das Team am Leben hielt.

Selbstverständnis Playoffs?

Die Seahawks beendeten die Saison 2017 mit einem Record von 9-7. Das ist die schlechteste Bilanz seit 2011, als Seattle mit 7-9 auf dem dritten Platz in der NFC West gelandet war. Ein Jahr zuvor hatte exakt dieser negative Record in der ersten Spielzeit unter Head Coach Pete Carroll und General Manager kurioserweise noch zum Gewinn der Division und zur Playoff-Teilnahme gereicht.

Vor der Analyse der Saison 2017 soll der Blick zurückgehen auf die Erfolgsjahre, die unter Quarterback Russell Wilson und einer dominanten Defense anbrachen:

2012: 11-5
2013: 13-3
2014: 12-4
2015: 10-6
2016: 10-5-1
2017: 9-7

Seit Gewinn des Super Bowl XLVIII zeigt die Tendenz nach unten. Sie führt uns vor Augen, wie schwer es für Teams ist, sich über lange Zeiträume an der Spitze der Liga festzusetzen. Die Abkürzung NFL steht nicht ohne Grund im Volksmund für „Not For Long“, umgangssprachlich übersetzt als „nicht für lange Zeit“.

Umso mehr sollten wir Fans die vergangenen Jahre zu schätzen wissen. Bezieht man den Aufstieg des Teams im Jahr 2012 mit ein, haben wir die sechs erfolgreichsten Jahre der Franchise-Geschichte miterleben dürfen. Das sollten, nein, müssen wir zu schätzen wissen. Eine Playoff-Teilnahme, die für uns Fans in den vergangenen Jahren quasi schon selbstverständlich war, ist ein Erfolg in der NFL. Um sich dessen zu vergewissern, reicht der Blick nach Buffalo. Dort haben die Bills in dieser Saison zum ersten Mal seit 18 Jahren die Playoffs erreicht.

Übrigens – und das wiederum ist besonders interessant für alle 12s – dachten viele Bills-Fans nach dem Verpassen der Playoffs im Jahr 2000, dass das Team im darauffolgenden Jahr wieder die Endrunde erreichen würde, denn immerhin stand Buffalo von 1995 bis 1999 viermal in den Playoffs. Doch stattdessen folgte eine Durststrecke von 18 Jahren ohne ein einziges K.-o.-Spiel.

Damit es den Seattle Seahawks nicht ähnlich wie den Buffalo Bills ergeht, müssen die Verantwortlichen im Virginia Mason Athletic Center in Renton nach der zu Ende gegangenen Spielzeit alle Entscheidungen der vergangenen Jahre hinterfragen, Fehler und Schwachstellen analysieren und harte Entscheidungen treffen. Es gilt, das Team wieder in die Erfolgsspur zurückzulenken.

Die Saison im Schnelldurchlauf

Es war eine schwierige Spielzeit für die Seahawks, geprägt von Verletzungen, aber auch von schwankenden Leistungen und vielen individuellen Fehlern. Die einzige Konstante im Jahr 2017 war, dass Seattle nicht konstant spielte. In vielen Partien verschlief das Team von Pete Carroll die erste Halbzeit und zeigte erst in der zweiten Hälfte, wozu es in der Lage sein kann.

Zwischendurch gab es Spiele, in denen Russell Wilson und seine Mitspieler durchaus von der ersten Minute an präsent waren, wie zum Beispiel im Heimspiel gegen die favorisierten Philadelphia Eagles. Es gab dann aber auch Spiele, in denen die Leistung des Teams fast schon als Arbeitsverweigerung bezeichnet werden konnte. Im Rückspiel gegen die Los Angeles Rams und bei den Jacksonville Jaguars war das der Fall.

Eklatant deutlich wird beim Blick auf den Spielplan auch die Heimschwäche der Seahawks in dieser Saison. Jahrelang galt das CenturyLink Field als Festung, in der andere Teams kaum eine Chance hatten und im Grunde nur erfolgreich sein konnten, wenn sie über sich hinauswuchsen. Nicht 2017. Vier Siege und vier Niederlagen im eigenen Stadion – das ist die schwächste Heimbilanz seit 2011.

Week 1 – Seahawks @ Green Bay Packers 9:17 (L)
Week 2 – San Francisco 49ers @ Seahawks 9:12 (W)
Week 3 – Seahawks @ Tennessee Titans 27:33 (L)
Week 4 – Indianapolis Colts @ Seahawks 18:46 (W)
Week 5 – Seahawks @ Los Angeles Rams 16:10 (W)
Week 6 – Bye Week
Week 7 – Seahawks @ New York Giants 24:7 (W)
Week 8 – Houston Texans @ Seahawks 38:41 (W)
Week 9 – Washington Redskins @ Seahawks 17:14 (L)
Week 10 – Seahawks @ Arizona Cardinals 22:16 (W)
Week 11 – Atlanta Falcons @ Seahawks 34:31 (L)
Week 12 – Seahawks @ San Francisco 49ers 24:13 (W)
Week 13 – Philadelphia Eagles @ Seahawks 10:24 (W)
Week 14 – Seahawks @ Jacksonville Jaguars 24:30 (L)
Week 15 – Los Angeles Rams @ Seahawks 42:7 (L)
Week 16 – Seahawks @ Dallas Cowboys 21:12 (W)
Week 17 – Arizona Cardinals @ Seahawks 26:24 (L)

Die Wilson Seahawks

Quarterback Russell Wilson wurde in dieser Spielzeit immer wieder aus unterschiedlichen Gründen kritisiert. Mal überwarf er vollkommen offene Receiver, mal zwang er den Ball in die Doppeldeckung oder zu einem gedeckten Receiver, mal entschied er sich voreilig für eine Anspielstation, mal verließ er zu früh die Pocket. Wie die gesamte Offense lieferte Wilson in einigen Partien katastrophale erste Halbzeiten ab. Der Vergleich seiner Statistiken sortiert nach Halbzeiten spricht Bände.

Trotz der Kritikpunkte, die sich zum Teil sehr kleinlich und hart lesen, steht außer Frage, dass Wilson der beste Spieler der Seahawks-Offense war. Im Grunde ist es keine Übertreibung, ihn als die Offense der Seattle Seahawks bezeichnen. Kaum vorstellbar, wie die Saison ohne den Spielmacher verlaufen wäre, aber einer der ersten fünf Picks im NFL Draft 2018 wäre den Seahawks wohl sicher gewesen.

Wilson warf in der abgelaufenen Spielzeit 34 Touchdown-Pässe, das ist Platz eins in der NFL. Zudem erzielte er drei Touchdowns zu Fuß. Somit war er an 37 Touchdowns der Seahawks beteiligt, das ist eine starke Marke. Problematisch war nur, dass die komplette Offense insgesamt 38 Touchdowns erzielte. Heißt: Wilson war an genau einem Touchdown, einem Lauf über 30 Yards von J.D. McKissic, nicht direkt beteiligt. Von einer Ein-Mann-Show zu sprechen, ist fast noch untertrieben.

Diese Werte hielten Wilson in der MVP-Diskussion am Leben. Nach dem Sieg gegen die Eagles in Week 13 schien dieser Titel für den Spielmacher greifbar, wenn er die Saison halbwegs unbeschadet und mit dem Einzug in die Playoffs beenden würde. Doch nach schwachen Auftritten gegen die Jaguars und Rams war die Debatte recht schnell beendet.

Auf der einen Seite war die Leistung von Russell Wilson phänomenal, insbesondere wenn man bedenkt, unter welchen Voraussetzungen diese Werte zustande kamen. Auf der anderen Seite zeigt die Leistung aber auch, welche Probleme Seattle 2017 hatte. Da war nicht viel außer Wilson. Da war so viel Sand im Getriebe der Seahawks-Offense, dass sie einige Male nicht nur stotterte, sondern gar stehen blieb.

Im zweiten Teil des Saisonrückblicks geht es Anfang der Woche um die Schwachstellen der Seattle Seahawks in der Saison 2017.