„Total Stats Don’t Matter!“ – Die Bedeutung von Advanced-Metriken und Analytics im American Football (Teil 1)

Analytics Teil 1

American Football ist eine hochkomplexe und vielschichtige Sportart. Um sie besser verstehen zu können, sie zu beschreiben und daraus bestenfalls auch Erkenntnisse für die Zukunft abzuleiten, gibt es in unserer Lieblingssportart unzählige Metriken und Statistiken. Einen ersten Einblick in das Feld der Analytics haben wir in den vergangenen Jahren mit der Berichterstattung in unserer Serie „Statistik der Woche“ gegeben.

Einige davon sind für bestimmte Fragen oder Kontexte besser geeignet als manch andere. Dieser Artikel soll deshalb einen Überblick über unterschiedliche gängige Metriken geben. Er soll aufzeigen, weshalb manche Statistiken wesentlich besser geeignet sind als andere „klassische“ Statistiken, um Football zu quantifizieren.

Das Themengebiet rund um Football-Statistiken und Advanced Metriken wird aufgrund deren Umfang in zwei Teilen abgehandelt. Part 1 soll zunächst einen Überblick über Statistiken geben, die fast jeder aufmerksame Football-Zuschauer bereits kennt. Das berühmte und viel zitierte Passer Rating fällt etwa darunter. Darauf aufbauend werden sodann Advanced-Metriken vorgestellt und nur ein paar von diversen Schlussfolgerungen aus analytischer Perspektive präsentiert.

Denn wie schon im vorangegangenen Satz angeklungen geht es im Football bei der Bewertung eines Plays oder eines Spielers vor allem um den Kontext, zu dem er etwas auf dem Feld produziert. Ein 15-Yard-Pass eines Quarterbacks liest sich zunächst einmal nach einem „guten Play“. Der Kontext dahinter spielt im Football jedoch die entscheidende Rolle. Denn dieser 15-Yard-Pass ist je nach diesem differenziert zu bewerten. Bei der Ausgangssituation 1st & 10 zum Beispiel anders als bei 4th & 10. Genauso wie ein 15-Yard-Pass bei der Ausgangssituation 4th & 20, bei dem keine Conversion zum neuen First Down erreicht wird, anders zu bewerten ist, als bei 4th & 12, bei dem dies gelingt. An dieser Stelle sind bereits Schwächen von „Total Stats“ zu bemerken. Modernere Metriken merzen diese zu einem sehr großen Teil aus, indem sie den Kontext eines Spiels mit in die jeweilige Bewertung einbeziehen.

Football lässt sich nahezu endlos quantifizieren. Jedes noch so kleine Detail, jeder Drive oder jedes Play steckt voller Informationen, die datenanalytisch verarbeitet werden und so Erkenntnisse über beispielsweise Teams, Spieler oder etwa Entscheidungen eines Teams bzw. Trainers geben können. Das sind jedoch nicht nur Entschlüsse in bestimmten Spielsituationen wie etwa die Frage, ob es sinnvoll ist, bei First und Second Down zu passen, oder bestimmte Fourth Downs auszuspielen sein, sondern auch viele weitere darüber hinaus.

So kommt man etwa bei der Bewertung der Spielerauswahl eines Teams im NFL Draft mit Einbezug von Erkenntnissen aus der Datenanalyse zu einem anderen Ergebnis dieses Prozesses als noch vor etwa 15 Jahren. Damals spielte diese Thematik noch eine relativ untergeordnete Rolle.

Auch die Frage, welchen „Wert“ Top-Quarterbacks oder Top-Running Backs in der heutigen NFL haben, kann man dadurch besser beurteilen. Ist Russell Wilson also trotz seines Top-Vertrags in der Offseason 2019 demnach beispielsweise unterbezahlt? Verdient Christian McCaffrey womöglich zu viel?

Offensichtlich spielen Erkenntnisse durch Datenanalyse jedenfalls in allen möglichen Bereichen einer Football-Franchise eine Rolle – von Herangehensweisen an Spielsituationen über die Spielerauswahl im Draft bis hin zur langfristigen Kaderplanung. Die Bedeutung von Analytics im Football nimmt unaufhaltsam zu. Sie trägt dazu bei, dass sich das Spiel durch neue Erkenntnisse ein Stück weit verändert.

Die Metriken, die im Folgenden vorgestellt werden, basieren hauptsächlich auf den Play-by-Play-Daten der NFL. Diese werden seit dem Jahr 1999 erfasst. Dabei wird nicht jede einzelne Metrik, sondern nur eine Auswahl unter die Lupe genommen.

Zunächst einmal werfen wir jedoch einen Blick auf die „klassischen“ Statistiken, die wir alle aus dem Fernsehen kennen:

1. Die „Klassiker“ – Kontextarme Footballstatistiken

Noch immer verwenden Football-Kommentatoren wie Jan Stecker oder Patrick Esume diese sehr simplen und wenig aussagekräftigen Statistiken in nahezu jeder TV-Übertragung, um über Teams oder Spieler zu informieren. Doch diese kontextarmen Statistiken haben diverse Schwächen.

1.1. Total Yards

Total Yards sind der Raumgewinn, den ein Spieler oder ein Team aufaddiert über alle berücksichtigten Spielzüge erzielt hat. Sie werden in Football-Shows oder TV-Übertragungen benutzt, um etwa die „beste“ Offensive oder Defensive auszumachen. Da Total Yards jedoch fast überhaupt nicht aussagekräftig sind, wenn sie nicht in einen Kontext eingebettet werden, sind sie nahezu bedeutungslos.

1.2. Yards pro Play

Yards pro Spielzug sind schon etwas aussagekräftiger als Total Yards, da sie die Yards in Relation zur Anzahl der Spielzüge setzen. Denn Yards pro Play sind für Läufe (Yards pro Lauf) wie auch Pässe (Yards pro Pass) individuell anwendbar. Nichtsdestotrotz übersieht diese Metrik, dass beispielsweise nicht jeder Raumgewinn gleich viel „wert“ ist. Ein 10-Yard-Lauf von Titans-Running Back Derrick Henry ist bei 1st & 10 nämlich anders zu bewerten als bei 4th & 15.

1.3. Completion Rate

Das ist schlicht die Rate an vervollständigten Pässen einer Mannschaft bzw. eines Quarterbacks. Dieser Wert ist ebenfalls nur bedingt aussagekräftig, da nicht bekannt ist, wie schwierig beispielsweise die Würfe sind, die ein Quarterback versucht hat, wenn er eine bestimmte Completion Rate erreicht hat.

1.4. Interceptions und Touchdowns

Die bloße Anzahl an Interceptions und Touchdowns sind Werte, die etwa bei der Wahl zum „Most Valuable Player“ noch immer mit am meisten Einfluss haben. Ob das berechtigt ist, lässt sich in Frage stellen, da Interceptions wie auch Touchdowns kaum Kontext bieten.

Gerade Interceptions sind oftmals Zufallsprodukte und können durchaus auch als „notwendiges Übel“ betrachtet werden, wenn ein Quarterback aufgrund seiner aggressiven Spielweise möglicherweise zwar etwas mehr Interceptions als konservativere Quarterbacks wirft, dies jedoch kompensiert, indem er seine Offensive regelmäßiger mit Big Plays übers Feld führt.

Ein Extrembeispiel dafür ist etwa die Saison 2019 von Jameis Winston. Trotz seiner 30 Interceptions erbrachte er auf Basis von Advanced Stats einen größeren Mehrwert für sein Team als so manch anderer Quarterback. Er warf nämlich auch die zweitmeisten Touchdowns in der Spielzeit.

Eine bessere Methode zur Messung der Quarterback-Qualität wären an dieser Stelle etwa „Turnover-Worthy Plays“. Das ist eine Metrik von Pro Football Focus (PFF), die schlechte, potenziell abfangbare Würfe zählt.

Hierzu ein Beispiel: Nach neun Spielen in der aktuellen Saison hatte Patrick Mahomes 25 Touchdowns bei nur einer Interception. Gleichzeitig hatte er jedoch neun „Turnover-Worthy Plays“ zu diesem Zeitpunkt. Die Diskrepanz liegt vor allem schlicht und ergreifend in Glück – wie etwa von Verteidigern fallen gelassene Interceptions. Sie zeigt, wie wenig aussagekräftig und volatil Interceptions als „totale Zahl“ sind.

1.5. Passer Rating

Diese Metrik wird wohl noch mit am häufigsten benutzt, um Quarterback-Leistung zu bewerten. Die Skala reicht von 0 bis 158,3 und ist seit 1973 die offizielle Metrik der NFL in der Bewertung der Quarterbacks.

So lange diese Metrik schon benutzt wird, so überholt ist sie jedoch eigentlich. Zumal sie ziemlich beliebig Parameter festlegt, um Quarterback-Stärke zu bewerten. Auf Wikipedia lässt sich nachvollziehen, wie sich das Passer Rating genau errechnet. Kritiker der Metrik befinden unter anderem, dass beim Passer Rating die Completion Rate ziemlich stark überbewertet wird. Auch die Tatsache, dass Scrambles und Sacks in diese Prozess nicht mit einbezogen werden, lässt teilweise ganze Plays, die jedoch unbestritten zur Qualität eines Quarterbacks hinzugehören, einfach unter den Tisch fallen. Aktuell gibt es zahlreiche Metriken, die Quarterback-Play besser quantifizieren können als das Passer Rating. Diese werden in Part 2 nächste Woche noch vorgestellt.

Welche Unterschiede zwischen dem Passer Rating der NFL und dem Quarterback Rating von ESPN existieren, haben wir vor einiger Zeit mit Datenwissenschaftler Timo Riske in einem Podcast erörtert.

2. Advanced Metriken

2.1. DVOA (Defense Adjusted Value Over Average)

Im Jahr 2003 leistete die auf fortgeschrittene Metriken fokussierte Website Football Outsiders in Person von Aaron Schatz Pionierarbeit, als sie „Defense Adjusted Value Over Average“ vorstellte. DVOA vergleicht den Erfolg eines Spielers oder Mannschaftsteils bei jedem Spiel mit dem Liga-Durchschnitt – und zwar auf der Grundlage einer Reihe von Variablen. Diese sind: Down, noch zu gehende Distanz, Position auf dem Spielfeld, aktueller Spielstand, Viertel und Stärke des Gegners.

Die Arbeit von Football Outsiders wird bis heute häufig zitiert. Die Metrik verleiht dem Play eines Teams oder Mannschaftsteils eine Menge Kontext und ist deshalb noch immer eine der besten fortgeschrittenen Metriken im Football. DVOA bewertet jeden einzelnen Spielzug nach dessen Erfolg und gewichtet ihn gegen die Leistungsstärke der gegnerischen Defensive.

Wichtig ist: DVOA wird in Prozent formuliert. Wenn ein Spielzug also etwa 20 Prozent weniger Erfolg einbringt als ein durchschnittlicher Spielzug in dieser Situation, der auf historischen Erfahrungswerten beruht, bekommt dieser einen VOA („Value Over Average“) von -20 Prozent. Dann wird dieser Wert an die gegnerische Defensive angepasst, sodass er zumeist nicht mehr den Wert des „Value Over Average“, sondern den „Defense Adjusted Value Over Average“ hat, der dann schließlich etwas höher oder niedriger sein kann.

DVOA wird von Football Outsiders für Offensive sowie Defensive ausgerechnet, wenngleich die Namensgebung dieser Metrik in Bezug auf die Defensive etwas unpassend gewählt ist, da es hierfür eigentlich „Offense-Adjusted Value Over Average“ heißen müsste. Auf diese Art und Weise lassen sich dann die unterschiedlichen Mannschaftsteile wie Offense, Defense und Special Teams einordnen. Es kann jedoch auch ein DVOA für einzelne Spieler herangezogen werden.

Mit einem Offense-DVOA von 43,5 Prozent sind beispielsweise die New England Patriots aus der Saison 2007 die nach DVOA beste Offensive der NFL-Historie. Im Jahr 2007 war diese Offensive um Tom Brady und Randy Moss damit um 43,5 Prozent besser als der Durchschnitt bzw. die „Durchschnitts-Offensive“ der DVOA-Historie. Die beste Defensive in der NFL-Historie sind nach dieser Metrik die Philadelphia Eagles von 1991 mit einem DVOA von -42,4 Prozent. Was vielen womöglich jetzt schon aufgefallen ist: In der Defensive ist ein negatives DVOA ein guter Wert. Je negativer, desto besser.

Bei DVOA spielt immer der Kontext bei der Bewertung die wichtigste Rolle. Hierzu ein Beispiel der Tampa Bay Buccaneers aus der Saison 2019: Nur drei Teams in der NFL erlaubten in dieser Saison mehr Punkte pro Spiel als die Bucs. Dies sagt jedoch nur bedingt etwas über die eigentliche Stärke von deren Defensive aus, die nach DVOA die fünftbeste Einheit war. Das liegt daran, dass Total Yards und Punkte keinen Kontext liefern. Diese Defensive als eine der schwächsten Units im Jahr 2019 zu bezeichnen, wäre demnach falsch. Sie spielte im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut.

Weil Quarterback Jameis Winston jedoch mit seinen zahlreichen Ballverlusten (u.a. 30 Interceptions) dafür sorgte, dass gegnerische Teams immer wieder in hervorragender Feldposition auf diese Defensive trafen oder gar per Pick Six punkteten, ohne dass die Bucs-Verteidigung überhaupt etwas dafür konnte, ließen die Buccaneers unterm Strich so viele Punkte pro Spiel zu. Dieses Exempel ist ein klassisches Beispiel der Vorteile von Advanced-Metriken, die in diesem Fall die Leistung der Bucs-Defensive von 2019 viel besser beschreiben als Total Stats.

Ein weiterer Vorteil von DVOA ist, dass es den Kontext des Spiels relativ angemessen bewertet. Wenn Russell Wilson etwa im ersten Viertel eines Spiels mit seinem Team in Führung auf 1st & 10 eine Interception wirft, wird dies anders bzw. negativer gewichtet, als eine aus einer Hail Mary resultierenden Interception von Aaron Rodgers in den Schlusssekunden eines Spiels bei 4th & 10. Verliert beispielsweise Daniel Jones in einer beliebigen Spielsituation den Ball, bewertet DVOA den Giants-Quarterback lediglich bis zum Fumble. Ob das Ergebnis letztendlich eine Fumble-Eroberung der Offensive oder Defensive war, ist für diese Metrik dabei nicht von Bedeutung. Denn eine Fumble-Recovery ist in der NFL erfahrungsgemäß reine Glückssache (etwa 50:50). Das sind nur ein paar Beispiele für die relativ angemessene Gewichtung von DVOA für unterschiedlichste Spielsituationen bzw. Spielereignisse.

DVOA ist über die Website von Football Outsiders zum Teil kostenlos zugänglich. Ein Problem der Metrik ist jedoch, dass bis auf Aaron Schatz und seine Kollegen bei Football Outsiders kaum jemand deren Formel kennt. Es gibt dazu zwar Erklärungen von Schatz und Co., jedoch gehen diese nicht so sehr ins Detail, dass das Ergebnis dann bei der Nachberechnung genau gleich ausfällt.

Auf Grundlage der von DVOA gelieferten Werte lassen sich weitere Analysen durchführen. Bestes Beispiel: Fragen nach der Korrelation von DVOA oder anderen Metriken mit der Anzahl der Siege eines Teams, der Punkte einer Offensive etc. Diese ist in vielen Bereichen höher als bei den meisten anderen Analyse-Metriken. Vor allem aber ist sie wesentlich höher als bei diversen Total Stats, weshalb DVOA neben EPA aktuell eine der besten Advanced-Metriken ist.

2.2. EPA (Expected Points Added)

Seit wenigen Jahren erfreut sich EPA („Expected Points Added“) immer größerer Beliebtheit. Das liegt vor allem daran, dass diese Metrik leichter zugänglich ist als DVOA. Die Idee hinter ihr ist fast die gleiche, die sich hinter DVOA versteckt. Es geht auch darum, der Quantifizierung möglichst viel Kontext zu verleihen. Down, noch zu gehende Distanz, Position auf dem Spielfeld, aktueller Spielstand, Viertel oder auch fast schon skurril klingende Begebenheiten wie die Frage, ob ein Spiel in einem Dome oder einem Freiluft-Stadion stattfindet und viele weitere werden bei EPA (pro Play) berücksichtigt.

Grundgedanke bei EPA ist folgender: Jede einzelne Spielsituation auf dem Feld hat einen bestimmten Erwartungswert an Punkten zum Ende des jeweiligen Drives, unter Berücksichtigung des im vorangegangenen Absatzes angesprochenen Kontexts (Down, Distanz,…).

Jeder Spielzug beeinflusst den angesprochenen Erwartungswert an Punkten positiv oder negativ. Wichtig ist dabei, dass es sich hier immer um „virtuelle Punkte“ handelt. Während sich also im realen Spiel erst durch das Überqueren der Goalline sechs Punkte erzielen lassen, zählt dieses Modell ausgehend vom Start des Drives Play für Play die „virtuellen Punkte“, die während des Drives aufaddiert werden.

Startet ein Drive mit einem 1st & 10 an der eigenen 15-Yard-Line, sind für diesen Drive etwa null Punkte zu erwarten. Die „Expected Points“ betragen also etwa 0,0 Punkte. Schafft eine Offensive es von dort aus in beispielsweise acht Spielzügen an die gegnerische 8-Yard-Linie, sind die Differenz des Erwartungswerts, den diese innerhalb dieser Plays von Spielzug zu Spielzug aufaddiert oder subtrahiert hat, die „Expected Points Added“.

Im Gegensatz zu simpleren Statistiken wie „Punkte pro Spiel“ erfassen EPA oder auch DVOA alle möglichen Spielsituationen eines Spiels. Darüber hinaus schaffen sie es, bei der Bewertung eines Mannschaftsteils den Kontext dazu besser zu quantifizieren. Die Seahawks ließen zwischen Woche 10 und Woche 13 der laufenden Saison beispielsweise 19,5 Punkte pro Spiel zu.

Die Defensive allein dafür verantwortlich zu machen, wäre jedoch falsch. Das liegt daran, dass alle Mannschaftsteile dafür verantwortlich sein können, Punkte zu erzielen bzw. zu verhindern. Die Offensive bringt beispielsweise sechs Punkte mit einem Pick Six auf das Scoreboard des Gegners, wofür die Defensive jedoch nichts kann. EPA und auch DVOA bestrafen in solchen Spielsituationen dann nur die Offensive. EPA bestraft in dieser Situation die Offensive also mit einem negativen EPA. Auch könnte etwa die Defensive Punkte für das eigene Team erzielen. DVOA oder EPA schaffen es durch Kontextualisierung des Spiels deutlich besser als Total Stats wie „Punkte pro Spiel“, das auf dem Feld geschehene zu quantifizieren und zuzuordnen.

Der Erwartungswert an Punkten ist bei 1st & Goal an der gegnerischen 8-Yard-Linie fast sieben Punkte. Während die Offensive in der realen Spielsituation also noch keine Punkte verbucht hat, sind virtuell schon fast sieben Punkte gesammelt. Play für Play wird also der Gewinn an virtuellen Punkten gemessen. Er zeigt dabei unter anderem auf, welche Spielzüge oder Spieler mehr oder weniger zum Punktezuwachs einer Mannschaft beitragen. EPA/Play kann darüber hinaus sehr einfach als Bewertungsmethode angewandt werden. Also in EPA/Spielzug, EPA/Pass, EPA/Lauf etc. Ein Wert von etwa 0,2 EPA/Play ist für einen Quarterback beispielsweise ein sehr guter.

Das EPA-Modell berechnet sich auf der Grundlage historischer Daten. Welcher Zeitraum an Daten dafür zur Hand genommen wird, ist dem jeweiligen Datenanalysten überlassen. Die EPA-Daten werden dann immer wieder in ein Modell eingespeist und mit Markov-Ketten gerechnet, damit sich dieses optimiert. Diese Metrik ist besonders gut und bewährt. Sie hat eine sehr hohe Korrelation mit Siegen, erzielten Punkten etc. und eine sehr geringe Fehlerquote hinsichtlich des tatsächlichen nächsten Scores. Das EPA-Modell mit dem Namen „nflfastR“ von Sebastian Carl und Ben Baldwin ist aktuell eines der besten, da es eine sehr geringe Fehlerquote hat.

DVOA und EPA sind zwei hervorragende Metriken. Jedoch schaffen auch diese es nicht, die individuelle Performance von Spielern in ihrer Quantifizierung von deren Umständen gänzlich abzukoppeln. Mit den Umständen sind neben den Mitspielern zum Beispiel auch Trainer sowie Play Calls etc. gemeint. Man merkt bereits: Football ist ein hochkomplexer Teamsport, der es notwendigerweise fast schon zu einem Ding der Unmöglichkeit macht, die individuelle Leistung eines Spielers in ein Vakuum zu packen. Nichtsdestotrotz liefern beide Metriken eine gute Annäherung etwa bei der Bewertung der Performance eines Quarterbacks. Sie sind definitiv genauer als die bereits vorgestellten „klassischen Statistiken“.

Die beiden Datenanalysten Baldwin und Carl besitzen eine Website, auf der alle Interessierten kostenlos und frei zugänglich auf Basis des hervorragendem EPA-Modells Daten sogar live während eines Spiels abrufen können.

2.3. Success Rate (SR%)

Diese Metrik hängt insofern mit EPA zusammen, als dass sie bei bestimmten Herangehensweisen darauf aufbaut. Success Rate quantifiziert die Erfolgsquote von Spielzügen in Prozent. Damit ist also nichts anderes als der prozentuale Anteil an Spielzügen gemeint, die für die Offensive bzw. Defensive als Erfolg zu bewerten sind.

Hierbei gibt es wiederum unterschiedliche Herangehensweisen. Warren Sharp nutzt eine auf Yards basierte nach folgender Berechnung: Wenn ein Team im First Down sowie im Second Down mindestens 50 Prozent an Yards zurücklegt, ist es ein Erfolg. Im Third und Fourth Down zählt dann jeweils nur eine Conversion als Erfolg.

Andere Interpretationen zielen darauf ab, nur Plays mit positivem EPA als Erfolg zu werten. Da jedoch Offensiven beispielsweise im Schnitt bei 3rd/4th & Short mehr als die beiden notwendigen Yards erzielen, kann selbst eine Conversion ein negatives EPA zum Ergebnis haben. Aus diesem Grund gibt es auch eine Kombination beider Herangehensweisen, die bei den Early Downs für ein „erfolgreiches“ Play ein positives EPA/Play erfordert und bei 3rd & 4th Downs lediglich eine reine Conversion.

3. Schlussfolgerungen aus analytischer Sicht

Metriken wie DVOA oder EPA haben dazu beigetragen, bei der datenanalytischen Auswertung diverse Erkenntnisse über American Football in der NFL zu erlangen. Hier nur ein paar grundlegende:

    • Pass vs. Lauf: Dropbacks bzw. Pässe bringen im Schnitt immer einen viel höheren Ertrag für die Offensive als Laufversuche. Selbst die beste Laufoffensive der vergangenen zehn Jahre ist nicht annähernd so effizient wie der Karrieredurchschnitt von beispielsweise Russell Wilsons Dropbacks.
    • Play Calling: Das Play Calling auf Early Downs ist in der NFL noch immer viel zu konservativ bzw. lauflastig.
    • Play Action: Play-Action-Passspiel ist effizienter als Dropback-Passspiel.
    • Establish the Run?: Für erfolgreiches Play-Action-Passspiel ist kein effizientes Laufspiel notwendig.
    • Fourth Downs: Fourth Downs sollten häufiger ausgespielt werden. Auch hier sind NFL-Trainer noch viel zu konservativ.
    • Turnover: Interceptions und Fumbles sind sehr unbeständig und zufällig.
    • Pass Rush vs. Coverage: Deckungsarbeit ist tendenziell wichtiger als Quarterback-Jagd für den Erfolg einer Defensive.
    • Defensive Performance: Die Performance einer Defensive ist von Jahr zu Jahr sehr volatil, während jene einer Offensive von Jahr zu Jahr stabiler bleibt.
    • Kicks: Das Kicking Game ist sehr zufällig und hinsichtlich seiner Zukunft sehr instabil.
    • Running Backs: Der Positionswert des Running Backs ist sehr gering.
    • „It’s a Passing League!“: Quarterbacks sind tendenziell sogar eher unterbezahlt.

Immer noch nicht genug nach diesem Lesemarathon? Dann freut Euch auf nächste Woche. Denn da gibt’s den zweiten Teil zu diesem Thema. Darin betrachten wir PFF und stellen Advanced-Metriken vor, die Quarterback-Leistung möglichst gut quantifizieren. Darüber hinaus werfen wir einen oberflächlichen Ausblick auf die Zukunft von Analytics im American Football.

An dieser Stelle geht ein kleiner Dank und Gruß an den „Sideline Reporter“ Thomas Psaier, der selbst auf seinem Blog genau diese Themen beleuchtet. Als deutschsprachiger Blogger leistet er bis heute unter anderem auf dem Gebiet Advanced Stats und Analytics wahre Pionierarbeit. Er verhilft diesem wichtigen Thema hierzulande zu mehr Bekanntheit. Mit seinen Einlassungen zum Thema auf seiner Website und auch auf Nachfrage war er für diesen Artikel sehr hilfreich. Vielen Dank!