Die Suche nach dem neuen Head Coach

Auf der Suche nach dem neuen Head Coach: John Schneider bei einer Pressekonferenz der Seahawks

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Die Entlassung von Head Coach Pete Carroll ist nun etwa eine Woche her – Zeit, auf die potentiellen Nachfolger zu schauen und eine erste Einschätzung zum gewünschten Profil des Head Coachs vorzunehmen. Zudem ist interessant, wie der neue starke Mann der Seahawks, General Manager John Schneider, der jetzt den Titel Executive Vice President tragen darf, die Suche insgesamt angehen wird. Das wichtigste vorab: Es wird wohl noch etwas dauern.

Der Suchprozess

Bereits die ersten Meldungen nach Bekanntwerden der Entlassung von Carroll deuteten darauf hin, dass die Nachfolgesuche sehr breit angelegt werden würde. Das Ziel ist es, sich ausreichend Zeit zu nehmen, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Da es die erste Suche nach einem neuen Head Coach in 14 Jahren ist, sind die Prozesse gegebenenfalls etwas eingerostet. Klar ist unter anderem: Bei den Kandidaten sind auch Trainer dabei, die aktuell noch in den Playoffs aktiv sind. Seattle darf erst Gespräche in Präsenz mit diesen führen, sobald die Teams nicht mehr aktiv sind oder die NFL-Saison beendet ist. Auch virtuelle Gespräche vorher sind eher selten. Daher kann es gut noch bis zum Super Bowl dauern, bis die Seahawks alle Gespräche führen konnten – und in der Lage sind, eine Entscheidung zu treffen.

Bereits in unserer letzten Podcast-Aufnahme hatten wir uns dem Thema der Suche bereits gewidmet, diese gibt es hier zum Nachhören.

In der Pressekonferenz vom 16.01. erwähnte John Schneider, dass er ständig in Austausch mit Jody Allen und Bert Kolde sei. Er bestätigte zudem, dass er das „Final Say“, also die letzte Entscheidung über die Einstellung des gesamten Coaching Staff habe – egal wer Head Coach werde. Dazu sei angemerkt, dass diese Macht in der Vergangenheit bei Carroll lag, also explizit nicht in der Verantwortung von Schneider. In den letzten Jahren war hier bereits eine Transition zu beobachten, denn Schneider hatte immer mehr Macht von Carroll geerbt. Als letztes Beispiel sei der Draft genannt, den Schneider in den letzten Jahren mit seinem Team eigenständig managte.

Für alle Trainer, die aktuell einen Job in der NFL haben gilt zudem folgendes: Virtuelle Interviews sind erst ab dem 17.01. möglich, Präsenzinterviews ab dem 22.01. Zudem greift die Rooney-Regel der NFL, die besagt, dass Teams mindestens zwei Interviews mit Kandidaten aus ethnischen Minderheiten führen müssen, mindestens eines davon in Person. Davor darf keine Entscheidung für den vakanten Posten getroffen werden. Diese Regeln gelten alle nicht für College-Coaches, da deren Saison auch bereits abgeschlossen ist. Laut Schneider ist noch nicht final entschieden, ob auch College-Coaches in die Kandidatensuche einbezogen werden oder nicht.

Das Anforderungsprofil

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln lassen sich unterschiedliche Interessen und Anforderungen an den neuen Cheftrainer der Seattle Seahawks erkennen. Die Fans wünschen sich erfrischenden Offensiv-Football, die Spieler einen echten Leader, John Schneider jemanden, der auf das gelegte Fundament aufbaut und wir alle gemeinsam: Jemanden, der in der Lage ist, alle 20 Spiele zu gewinnen. Zeit, die unterschiedlichen Interessenlagen auseinander zu dividieren.

Eine Sache hat Besitzerin Jody Allen John Schneider ganz dick ins Hausaufgabenheft geschrieben: Die positive Kultur, die über die vergangenen Jahrzehnte aufgebaut wurde, soll unbedingt fortgesetzt werden. In der bereits erwähnten Pressekonferenz ging Schneider immer wieder auf die verschiedenen Kollegen ein, die dazu beitragen, dass die Gesamtorganisation so erfolgreich sein konnte. Vom Staff in der Cafeteria im VMAC bis hin zur Trainingssteuerung – jede und jeder muss stets das Beste aus sich herausholen, um das komplexe Konstrukt nach vorne zu bewegen.

John Schneiders Eingangsposition lässt sich leicht zusammenfassen: Es gibt kein zu viel. Weder zu viele Kandidaten bei der Trainersuche, noch zu viele Siege. Er erwähnte auf der Pressekonferenz, dass man in der abgelaufenen Saison unterperformt hatte, während man im Jahr zuvor noch überperformt hatte. Dass die hohen Erwartungen leider nicht erfüllt werden konnten. Für ihn geht es darum, auf die positive Kultur und die gute Substanz im Kader aufzubauen, zeitgleich aber jeden Stein umzudrehen und es so zu schaffen, die Seahawks weiterzuentwickeln. Also einen Head Coach zu finden, der die zweite Lombardy-Trophy in die Stadt am Puget Sound holen kann.

Auf die Frage, was sich in den letzten zehn Jahren verändert habe, antwortete Schneider: Analytics. Die Möglichkeit, faktenbasierte, zahlenorientierte Entscheidungen treffen zu können. Mehr als nur Total Stats zur Verfügung zu haben, die ein Team, einen Coaching Staff bewerten. Metriken, die Qualität darlegen. Dies sei der Gamechanger auch in der Rekrutierung von Coaching-Kandidaten. Zumindest uns in der Redaktion freut das, die meisten Fans wird es sicherlich auch freuen. Denn: Es hält frischer Wind Einzug in den Locker Room der Seahawks. Und das ist bitter nötig. Die Offense krankte oftmals an fehlender Kreativität, der Defense ließ Struktur vermissen.

Zu guter Letzt entscheidend: Was wollen die Spieler? Was den Kader der Seahawks angeht, können wir das nicht beantworten, dazu gab es schlicht bisher zu wenig Einblick in die Gedanken der Spieler. 2020 veröffentlichten allerdings acht NFL-Spieler ihre Top 3 der Fähigkeiten, die ein NFL Head Coach mitbringen sollte. Der Artikel ist leider nur auf Englisch verfügbar. In der Zusammenfassung lässt sich allerdings sagen: Leadership steht ganz weit oben, also die Eigenschaft, eine Truppe anzuführen. Dazu gehören Disziplin und Ordnung, das Vorleben von positiven Eigenschaften. Ehrlich, loyal und mit der Fähigkeit ausgestattet, ein gutes Coaching Team zusammen zu stellen.

Die Head-Coach-Kandidaten

Bei dieser Liste handelt es sich um die Kandidaten, bei denen die Seahawks offiziell Interviews angefragt haben. Diese Liste wird laufend erweitert, sobald neue Kandidaten dazu kommen.

Dan Quinn, Cowboys Defensive Coordinator
Quinn war bereits 2009/10 und 2013/14 bei den Seahawks und gewann als Defensive Coordinator den Super Bowl. Danach mit mehr oder weniger erfolgreichen Stationen als Head Coach in Atlanta und nun führt er zum dritten mal in Folge eine Top 5-Defense in Dallas an. Gerade aufgrund der guten Verbindungen nach Seattle wohl einer der aussichtsreichen Kandidaten.

Frank Smith, Dolphins Offensive Coordinator
Smith steht ein bisschen im Schatten von Head Coach Mike McDaniel und ist daher vielen kein Begriff. Hatte Stationen bei den Saints, Bears und Raiders und bekam stetig mehr Verantwortung. Zuletzt als Run Game Coordinator bei den Chargers im Einsatz, wechselte er 2022 zu den Dolphins und wurde dort erstmals Offensive Coordinator. Ein wunderbarer Text über ihn ist im vergangen Herbst auf The Athletic erschienen.

Ejiro Evero, Panthers Defensive Coordinator
Evero ist erst 43, hat aber bereits umfangreiche Arbeit bei verschiedenen Teams geleistet und unter anderem als Defensive Passing Game Coordinator mit den Rams den Super Bowl geholt. Führte die Broncos als Defensive Coordinator vor zwei Jahren auf den siebten Platz bei zugelassenen Yards. Auch die abgelaufene Saison bei den Panthers ist nicht so schlecht, wie sie scheint: Vierter bei zugelassenen Yards – die schlechte Gesamtperformance der Panthers lag wohl eher an der furchtbaren Offense.

Raheem Morris, Rams Defensive Coordinator
War vor über zehn Jahren schon einmal Head Coach in Tampa Bay, seitdem aber immer wieder als Coordinator unterwegs gewesen. Zudem hat kaum eine seiner Defenses gute Zahlen abgeliefert. Scheint eher einer der unwahrscheinlichen Kandidaten zu sein. Warum er trotzdem im Fokus der Teams steht: Er hat in dieser Saison aus einer Resterampe bei den Rams eine funktionierende Defense geformt – das ist aller Ehren wert.

Mike Kafka, Giants Offensive Coordinator
Hat zwar die letzten zwei Jahre die Plays in New York gecallt, steht aber aufgrund einer anderen Leistung eher im Vordergrund: Er war der Quarterback-Coach an der Seite von Patrick Mahomes in Kansas City und konnte seine Entwicklung gerade in den ersten Jahren maßgeblich mitgestalten. Führte zudem die Giants letztes Jahr in die Playoffs (was nach dieser Saison nach einer noch stärkeren Leistung aussieht). Kafka ist zudem erst 36 Jahre alt.

Patrick Graham, Raiders Defensive Coordinator
Kommt aus dem Patriots-Coaching Tree und hat mehrere Stationen unter Belichick absolviert. Seit 2019 zudem für die Dolphins, Giants und nun Raiders als Defensive Coordinator unterwegs und erzielte dabei unterschiedliche Resultate. Scheint vor allem aufgrund seiner hervorragenden Leadership-Skills auf der Liste der Seahawks zu stehen.

Ben Johnson, Lions Offensive Coordinator
Der wohl heißeste aktuelle Head-Coach-Kandidat arbeitet in Detroit. Johnson ist einer der Architekten der erfolgreichen Offense, die Jared Goff wie einen Star aussehen lässt. Die Lions stellen in allen Metriken eine Top 5-Offense. Das sagt eigentlich schon alles über Johnson. Er lehnte zudem schon vor einem Jahr Head-Coach-Angebote ab, doch auch diesmal ist das Interesse riesig. Wird schwierig, ihn zu bekommen.

Bobby Slowik, Texans Offensive Coordinator
Arbeitete zuvor unter Kyle Shanahan in San Francisco und ist vermutlich schon deshalb ein interessanter Kandidat für die Seahawks. Hat zudem diese Saison bewiesen, dass er einem Rookie-Quarterback einen super Landing-Spot bieten kann. Die Performance der Texans in dieser Saison ist deutlich besser als erwartet, der Sieg in der Wildcard-Round gegen die Browns war umso bemerkenswerter.

Mike Vrabel, Titans Ex-Head-Coach
Es gibt bisher keine offiziellen Nachrichten zu Interviews mit Vrabel. Allerdings halten sich die Gerüchte hartnäckig. ESPN vermeldete sogar, sie würden ihn bereits jetzt als unseren neuen Head Coach vorhersehen.