Recap: Regular Season 2015 (Week 5) – Seahawks @ Bengals

Wie unterschiedlich die Perspektiven doch vor und nach einem Spiel sein können. Vor der Partie bei den als Favorit gehandelten Cincinnati Bengals waren die Erwartungen an die Seattle Seahawks niedrig und die Mehrheit der Fans rechnete mit einer Niederlage. Am Tag nach dieser – ja eigentlich erwarteten Niederlage – könnte man meinen, das Team aus dem Pacific Northwest sei als haushoher Favorit in die Begegnung im Paul Brown Stadium von Cincinnati gegangen.

Der Grund dafür ist einfach. Die Seahawks überraschten wieder einmal alle. Über drei Viertel hinweg spielten sie konsequent Football, wie man ihn aus Seattle kennt, und brachten ihren Gegner an den Rand einer Niederlage. Warum es am Ende dennoch nicht zum dritten Saisonsieg gereicht hat, wird in dieser Analyse aufgearbeitet.

Offense:

24 Punkte, davon zwei Touchdowns durch die Offense, einen durch einen Fumble Return der Defense sowie ein Field Goal. Damit kann man nach den Auftritten in den vergangenen vier Spielen zufrieden sein. Positiv fiel der Touchdown direkt im ersten Drive auf, negativ der Verfall in alte Muster nach dem 3. Quarter.

  • Die Offense Line der Seahawks ließ eine Pockett erkennen – ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Sie verschaffte Russell Wilson deutlich mehr Zeit als im Spiel gegen die Lions. Präzise gesagt, die O-Line konnte endlich wieder als solche bezeichnet werden. Zumindest über drei Viertel. Anschließend waren da wieder viele Defizite zu erkennen. Schlechte Pass Protection, schlechtes Run Blocking – als habe die Line seit dem vergangenen Spiel keine Fortschritte gemacht. Die ersten drei Quarter machen Hoffnung auf zukünftige Besserung, der Rest des Spiels macht Angst. Denn wieder hat Seattle einen Vorsprung hergegeben, bereits zum dritten Mal in dieser Spielzeit (wie gegen Packers und Rams). Die Gründe dafür sind am Fundament der Seahawks-Offensive zu suchen, an der O-Line. Sie schaffte es nicht, in den letzten sechs Drives des Spiels genug Schutz für Quarterback Russell Wilson und Blocks für Thomas Rawls zu gewährleisten. Die Folge: Sechs Drives ohne Punkte, drei davon direkt Three & Out, die anderen drei mit Punts jeweils nach einem First Down.
  • Spielmacher Russell Wilson erlebte im Vergleich zu vergangener Woche einen etwas ruhigeren Tag. So war zu erkennen, dass er in der 1. Halbzeit mehrfach Pässe aus der Pocket heraus werfen konnte – ein seltenes Bild, an das man sich aber gewöhnen könnte. Die O-Line sorgte dafür, dass Wilson bereits im ersten Drive einen Touchdown-Pass zu Jermaine Kearse werfen konnte. Zwar half die Bengals-Defense da ordentlich mit, doch das soll die Leistung der Beschützer Wilsons nicht schmälern.

  • Insgesamt war Wilson deutlich seltener zu Fuß unterwegs, das tat seinem Passspiel gut. Viel laufen durfte diesmal ein anderer Spieler. Rookie-Running Back Thomas Rawls machte das Spiel seines Lebens und schrieb mit seiner Performance Seahawks-Geschichte. Nur einmal in der Geschichte der Franchise hat ein Rookie mehr Yards in einem Spiel erlaufen. Und selbst Marshawn Lynch hatte nie ein Spiel, in dem er 169 Yards Raumgewinn bei 23 Carries erzielte. Das erinnert an Shaun Alexander, ist vielversprechend und wichtig für die Zukunft. Lynch wurde gestern nicht vermisst. Einziges Manko – und das gilt nur indirekt für Rawls – ist, dass die Seahawks das Spiel verloren haben, obwohl sie für 200 Yards gelaufen sind. Das muss man erstmal schaffen.

  • Seattles Quarterback entdeckte in der Drangphase seines Teams das Spiel „downfield“ wieder. Er hatte Zeit und nutzte diese, um seine Receiver Kearse, Doug Baldwin, Tyler Lockett und Jimmy Graham mit tiefen Bällen anzuspielen. Für die Interception kann man weder Graham noch Wilson Vorwürfe machen, denn zu der gehörte beim Abpraller viel Zufall.

Defense:

Endlich haben die Seahawks ihre erste Interception gefangen. Earl Thomas fing einen riskanten Pass von Bengals-QB Andy Dalton ab und trug ihn weit zurück. Doch dann war da D-Liner Michael Bennett, der Licht und Schatten zeigte. Und ein Rückkehrer, der wohl noch nicht bei 100% ist.

  • Ein kleiner Flashback zurück zum ersten Spiel der Seahawks in dieser Saison bei den St. Louis Rams: Pass von Quarterback Nick Foles auf seinen Tight End. Seahawks-Safety Dion Bailey rutscht weg. Der Tight End fängt den Ball unbedrängt. Touchdown Rams. Sieg Rams. Die Rufe nach Kam Chancellor wurden danach immer lauter.
    Zurück zum Bengals-Spiel: Strong Safety Kam Chancellor war Tight End Tyler Eifert zugeteilt und schlief zweimal so dermaßen, dass Eifert gleich zwei Touchdowns erzielte, ohne dabei groß bedrängt zu werden. Chancellor machte insgesamt sein wohl schwächstes Spiel in dieser Saison. Schreit jemand nach einem anderen Safety? Nein. Was damit ausgedrückt werden soll. Chancellors Rückkehr hat den Seahawks eventuell zum Sieg gegen die Lions verholfen, weil er mit einem Geniestreich den Touchdown von Calvin Johnson verhinderte. Doch zwei derart Schwache Offensiven (Bears und Lions) sind kein Indikator dafür, dass die Rückkehr von Chancellor Auswirkungen auf die Defensivleistung der Seahawks hat. Die Defense ist insgesamt schwächer und deutlich uneingespielter, daran ändert auch Chancellor nichts. Ganz im Gegenteil. Die Bengals haben das bewiesen und damit wieder einmal Seattles große Schwäche offengelegt: Die Verteidigung gegen fangstarke Tight Ends. Man kann es drehen und wenden wie man will: Chancellor ist daran nicht unschuldig.
    UPDATE: Laut Pete Carroll war Kam Chancellor in beiden Szenen nicht Schuld an den Touchdowns von Tyler Eifert. Die Defense war im Zonen-Schema und Chancellor stand wohl, wo er stehen sollte. Vermutlich liegt die Schuld eher bei Cary Williams, der beim ersten Mal schlief und beim zweiten Mal schlicht zu spät kam.

  • Kein anderer Spieler sorgt auf Seiten der Seahawks für so viele Schwankungen der Gefühlslage. Nach zwei Spielen ohne Offside hat es Michael Bennett gegen die Bengals endlich wieder geschafft. Was aber viel schlimmer ist: Seine Undiszipliniertheit hat die Seahawks eine gute Ausgangslage gekostet, nachdem Earl Thomas Daltons Pass abgefangen hatte. Bennett ließ einfach nicht locker vom Bengals-Quarterback. Die Strafe folgte sogleich. Hinzu kommen die dauernden Forderungen nach mehr Geld und das Gemeckere über zu gut bezahlte Spielmacher. Unangebracht, wenn die eigene Leistung nicht stimmt. Ist Bennett noch tragbar? (Damit beschäftigt sich am Abend ein Kommentar von Redaktionsmitglied Tobias Neumann.) Und ja, der positive Aspekt von Bennetts Spiel soll nicht unerwähnt bleiben. Er produzierte einen Forced Fumble bei einem Jet Sweep Play der Bengals, als er ungeblockt zum Ballträger durchbrach und diesem den noch nicht gesicherten Ball aus der Hand schlug. Es ist davon auszugehen, dass auch andere Spieler, die weit weniger Geld kassieren, dieses Aktion erfolgreich durchführen, wenn sie ohne Gegenspieler zum Ballträger durchkommen.
  • Aktionen wie diese führen dazu, dass gute Leistungen in den Hintergrund geraten. Und die gab es ohne Zweifel. Die Front Four hatte Andy Dalton in den ersten drei Vierteln gut im Griff und setzte ihn gewaltig unter Druck. Die Fehler des Spielmachers folgten prompt.

  • Die Secondary der Seahawks hatte am Sonntag insgesamt große Probleme. Cornerback Cary Williams wurde von Bengals-Superstar A.J. Green in seine Einzelteile zerlegt. Das sahen sich die Trainer so lange an, bis Green einen Touchdownpass von Andy Dalton fing, der nur wegen einer Strafe gegen die Bengals-Offensive zurückgepfiffen wurde.
  • An Williams Stelle machte dann Richard Sherman auf Anweisung der Coaches endlich das, was Experten schon seit Jahren von ihm fordern und was ihn von Darrelle Revis unterscheidet: Er verfolgte Green auf Schritt und Tritt über das Feld. Zwar schaffte Sherman es nicht, Green komplett aus dem Spiel zu nehmen, doch er eliminierte die Big Plays, die zuvor Williams zugelassen hatte.

Special Teams:

Ein Field Goal und viel Laufstrecke in der Punt Coverage – das sind die herausstechenden Fakten aus der Partie gegen die Bengals.

  • Die Seahawks machten es sich bei der Punt Coverage selbst schwer. Weil sie kaum First Downs erzielten, mussten sie meist von sehr weit aus der eigenen Hälfte punten. Jon Ryan jagte das Ei über das gesamte Feld und machte es seinen Mitspielern so schwer, genug Raum abzudecken, um einen Return zu verhindern. Davon profitierte Cincinnati mehrfach und brachte die Offense auf diese Weise in gute Feldposition.
  • Receiver Ricardo Lockette war wieder als gefürchteter Gunner unterwegs und erhält dafür ein Sonderlob in einer ansonsten etwas überforderten Unit. Lockette war der einzige Spieler, der es ab und an bis zum gegnerischen Returner schaffte und so größeren Schaden verhinderte.
  • Die Punts der Cincinnati Bengals waren erste Sahne. Das wird auch Jon Ryan eingestehen. Sein Gegenüber und dessen Kollegen platzierten den Ball zweimal kurz vor der Endzone der Seahawks und stellten Seattle so vor ein sehr langes Feld.

Sonstiges:

Natürlich gehören Strafen zum Spiel. Doch bei den Seahawks sind sie so häufig, dass sie das Spiel in vielen Situationen komplett zerstören. Wenn hinzukommt, dass Seattle einen hohen Vorsprung verspielt, ist die Niederlage meist nicht mehr zu verhindern.

  • Wieder einmal kassierten die Seahawks zu viele Strafen. Zehn Stück für 112 Yards, darunter Drive-Killer von den Offensive Tackles Russell Okung und Gary Gilliam sowie die Dummheiten von Michael Bennett. Einfach nicht clever.

Verletzungen:

Running Back Marshawn Lynch fehlte weiterhin mit einer Oberschenkelverletzung, wurde jedoch von Thomas Rawls glänzend vertreten. Problematischer könnte es werden, Middle Linebacker Bobby Wagner zu ersetzen, falls dieser mit einer Zerrung in der Schulter ausfallen sollte. Genauere Informationen gibt es im Moment dazu noch nicht, doch er kehrte trotz Verletzung aufs Spielfeld zurück.

Fazit und Ausblick:

Noch ist nicht aller Tage Abend. Wir erinnern uns daran, dass die Seahawks in der vergangenen Saison mit einem Record von 3-3 starteten, bevor sie am Ende mit 12-4 in die Playoffs einzogen sowie Heimrecht und ein First-Round Bye hatten. Die Niederlage gegen die Cincinnati Bengals war eingeplant, das 2-3 ist also kein Beinbruch. Lediglich die Art und Weise, wie Seattle das Spiel verloren hat, tut weh. Denn eine 17-Punkte-Führung herzugeben, das spricht nicht für den Charakter einer Mannschaft. Vor dem Leistungsabfall im 4. Quarter hatten die Seahawks das Spiel im Griff, das stimmt positiv für die Zukunft.

Diese Zukunft sieht vor, dass die Seahawks auf die Carolina Panthers, San Francisco 49ers und Dallas Cowboys treffen. Das sind drei Spiele, die Seattle gewinnen muss. Der schwerste Brocken ist wohl das noch ungeschlagene Team der Panthers, das am kommenden Sonntag im CenturyLink Field zu Gast ist (Motherland Game).

Viel Raum für Ausrutscher ist nicht mehr vorhanden, die Seahawks stehen mit dem Rücken zur Wand. Doch liefert Seattle ab wie in den ersten drei Vierteln, ist selbst der Titel in der Division noch drin.