Recap: Postseason 2019 (Divisional Round) – Seahawks @ Packers

In der Divisional Round der Playoffs ist die Saison der Seattle Seahawks am frühen Montagmorgen zu Ende gegangen. Bei den Green Bay Packers im Lambeau Field unterlag das Team aus dem Pacific Northwest mit 23:28. Wundersame Comebacks gab es bei Duellen der Seahawks und Packers in jüngerer Vergangenheit einige, doch diesmal erholte sich Seattle nicht von einem 3:21-Pausenrückstand.

Dabei sahen die Zuschauer zunächst das ihnen bestens vertraute Schema in Seattles Offensive – Läufe bei den frühen Downs, durchlässige O-Line, lange Third Downs, dann Schwierigkeiten bei den langen Conversions. Und auch in nach der Pause ein gewohntes Bild – geöffnetes Passspiel, um den Rückstand zu vermindern. Es sollte am Ende diesmal nicht gut gehen.

Positiv:

QB Russell Wilson: Dass es ohne einen Spielmacher in absoluter Bestform schwer werden würde, war von Beginn an klar. Aber selbst mit einem sensationellen Quarterback würde es eng werden. Wilson fehlte zu Beginn ein wenig die Genauigkeit, doch er bekam auch nicht ausreichend Möglichkeiten von seinen Trainern, um das Spiel für die Seahawks zu drehen oder garnicht erst einem Rückstand hinterherlaufen zu müssen. Nach der Pause ließen Seattles Verantwortliche ihren Quarterback von der Leine, was der ihnen am Ende mit 21/31 angebrachten Pässen, einem Touchdown-Pass und 277 Yards durch die Luft sowie sieben improvisierten Läufen für 64 Yards dankte.
Aber alleine konnte auch Wilson das Spiel nicht drehen. Drops von Tight End Jacob Hollister und Wide Receiver Malik Turner in kritischen Momenten, schwache Pass Protection und keine Entlastung durch das Laufspiel machten oft gute Aktionen vom Quarterback kaputt.

WR Tyler Lockett: Die magische Verbindung Wilsons mit seinem Nummer-eins-Receiver hielt die Seahawks im Spiel. Lockett fing alles, was in seine Richtung flog – egal, ob er dabei völlig offen war oder eigentlich illegal Helm-gegen-Helm attackiert wurde. Neun Fänge für 136 sind das, was man von einem Veteran wie Lockett in solch einem Spiel erwartet. Er lieferte grandios ab.

RB Marshawn Lynch: Bei Läufen von Travis Homer und Marshawn Lynch ging wie schon in der Wild-Card Round nicht viel (15 Läufe, 29 Yards, 1,9 Yards pro Lauf). Doch zumindest an der Goalline war Rückkehrer Lynch zur Stelle, um die Bälle aus kurzer Distanz über die Linie zu wuchten. Zweimal gelang das Lynch gegen die Packers. Damit schraubte er seine Rushing-Touchdown-Anzahl in den Playoffs auf zwölf, was gemeinsam mit den zwei Hall of Famern Terrell Davis und John Riggins Platz 4 in der Allzeit-Bestenliste bedeutet.

Die Griffin-Brüder: Gute Güte, was für ein Ding! Dass Marshawn Lynchs Zwei-Touchdown-Performance nach zweifachem Rücktritt in der zweiten Karriere als Seahawk nicht die coolste Geschichte des Spiels war, zeigt den emotionalen Stellenwert der folgenden Aktion. Die Griffin-Brüder Shaquem und Shaquill sackten im vierten Viertel in geschwisterlicher Geschlossenheit Packers-Quarterback Aaron Rodgers, um ihrem Team den Ball für einen spielentscheidenden Drive zurückzugeben (der leider mit einem Punt endete).

Neutral:

Natürlich könnte man an dieser Stelle auch die Schiedsrichter erwähnen, die den Seahawks kurz vor Schluss die Chance verwehrten, ein 4th & Inches zu verteidigen, weil Green Bays Tight End Jimmy Graham die gelbe Linie für ein neues First Down aus ihrer Sicht überquert hatte. (Die gelbe Linie ist übrigens nicht offiziell, sondern nur TV-Markierung.) Doch auch die Packers wurden an diesem Abend in der ein oder anderen Szene von den Offiziellen benachteiligt (Fumble von Hollister oder Griff ins Gesichtsgitter von Flowers zum Beispiel). Hätten die Packers kein neues First Down zugesprochen bekommen, wären sie aller Voraussicht nach auf eine Fourth-Down Conversion gegangen. Hier bleibt natürlich viel Raum für Spekulation, aber diesen Versuch hätten die Seahawks auch erstmal stoppen müssen.

Fakt ist, dass nicht die Schiedsrichter Seattle das Spiel verloren haben, sondern das Team und der Trainerstab. Warum? In der folgenden Kategorie sind einige Gründe aufgelistet.

Negativ:

1. Halbzeit: Das war schwer erträglich. Ideenlos in der Offensive, chancenlos in der Defensive. Die Seahawks ließen insgesamt drei Touchdowns zu vor der Pause, liefen dabei vor allem Wide Receiver Davante Adams und Running Back Aaron Jones hinterher und kamen im Angriff nur zweimal in Field-Goal-Reichweite, wobei Kicker Jason Myers aus 50 Yards rechts vorbei schoss. Sichtbare Probleme: keine offenen Receiver, kein Impuls aus dem Laufspiel, kein Mittel gegen Aaron Rodgers und Kollegen.

Play Calling: Auf den oberflächlichen ersten Blick nix Neues hier. Läufe durch die Mitte bei frühen Downs, zu wenige horizontale Passrouten und zu wenig Russell Wilson als Werfer in Bewegung außerhalb der Pocket, schwierige Third Downs, die per Pass überwunden werden sollten. Gefühlt erst in der zweiten Halbzeit öffneten Head Coach Pete Carroll und Offensive Coordinator Brian Schottenheimer das Playbook und die 12s fragten sich im Kollektiv: Wo waren diese Spielzüge in der ersten Halbzeit?!
Natürlich kann man sich auch auf der anderen Seite des Balls fragen, inwiefern Kritik an Defensive Coordinator Ken Norton Jr. gerechtfertigt ist. Aber: Carroll trägt am Ende als defensivorientierter Cheftrainer die Verantwortung. Norton ließ Carrolls Philosophie umsetzen. Die Tendenz zur von Carroll geliebten Base-Formation mit drei Linebackern hat der Verteidigung möglicherweise nicht gut getan. Dass Spieler aus der D-Line ab und an in die Coverage rutschen, gewiss auch nicht. Dass die Secondary zu dünn besetzt ist und im Pass Rush die Klasse fehlt, war zu Saisonbeginn bekannt. Und somit ist es nicht wirklich überraschend, dass die Seahawks-Defense eine der schlechtesten Einheiten der Liga war in dieser Runde.
Weitere fragliche Entscheidungen der Trainer diesmal: 1) Ein 4th & 11 drei Minuten vor Spielende mit dem besten Spieler am Ball nicht ausspielen wollen und stattdessen die eigene schwache Defense nach dem Ballwechsel per Punt erneut auf die Probe stellen. 2) Einen als Receiver aber nicht als Blocker starken Tight End (Hollister) gegen Pass Rusher Preston Smith aufstellen, wenn es um alles geht.

Defensive: Cornerback Tre Flowers und Nickel Ugo Amadi wurden von Packers-Receiver Davante Adams vier Quarter lang Spazieren geführt und waren verantwortlich für dessen zwei Receiving-Touchdowns. Auffällig anfällig das ganze Spiel über: die Third-Down-Verteidigung der Seahawks. Zu selten gelang Seattle der Stop beim dritten Versuch, in neun von 14 Situationen verwandelten die Packers. Das gab dem ganzen Stadion immer wieder einen Schub und der Gästemannschaft einen Dämpfer nach dem anderen. Gerade dann, als die Defensive den Ball zurückgewinnen musste, verlor sie mit zwei zugelassenen 3rd-&-Long-Conversions das Spiel. Die Seahawks? Die verwandelten drei von neun Third Downs.
Positiv in Erinnerung blieb nur der abgewehrte Pass von Linebacker Bobby Wagner Anfang des vierten Quarters beim Stand von 17:28 und der Sack der Griffin Brüder beim Stand von 23:28, die den Seahawks jeweils den Ball zurückgaben.

Verletzungen:

Sowohl Left Tackle Duane Brown als auch sein Backup George Fant meldeten sich einsatzbereit, wogegen Defensive End Ezekiel Ansah, Left Guard Mike Iupati und Safety Marquise Blair passen mussten.

Center Joey Hunt verletze sich im ersten Drive bei einem Duell mit D-Liner Kenny Clark. Für ihn kam Jordan Roos in die Partie – der Backup vom Backup vom Backup sozusagen (Starter Justin Britt und Allzweckwaffe Ethan Pocic fehlen verletzt). Hunt kehrte im zweiten Drive der Seahawks zurück, doch die O-Line bröckelte weiter. Left Guard Jamarco Jones musste vor der Pause mit Versacht auf eine Kopfverletzung vom Feld und kehrte nicht zurück. Für ihn übernahm Rookie Phil Haynes.

Aber nicht nur die Angriffslinie, sondern auch die Verteidigungslinie erwischte es. Defensive End Quinton Jefferson humpelte Anfang des vierten Viertels auf Krücken aus der Umkleidekabine. Er soll sich den Fuß gebrochen haben.

Neue Informationen zu allen Verletzten gibt’s voraussichtlich Anfang der Woche bei der Saisonabschluss-Pressekonferenz. Bei Defensive End Jadeveon Clowney sieht es so aus, als werde er sich in den kommenden Tagen einer Operation unterziehen um seine Probleme in der Rumpfmuskulatur zu beheben lassen. Erst danach will er entscheiden, bei welchem Titelfavoriten er 2020 unterschreibt.

Fazit:

Die Seattle Seahawks überwanden in dieser Saison so viele Verletzungen von Schlüsselspielern – also Dinge, die man nur bedingt planen oder vorhersehen konnte. Doch am Ende scheiterten sie nicht am Unvorhersehbaren, sondern wie bereits vor einem Jahr an der eigenen Unfähigkeit, ihr Spiel rechtzeitig umzustellen, als es nicht funktionierte. Das war in der Wild-Card Round 2018 bei den Dallas Cowboys der Fall. Das war in der Wild-Card Round 2019 bei den Philadelphia Eagles der Fall (mit glimpflichem Ausgang). Das war in der Divisional Round 2019 bei den Green Bay Packers der Fall.

Die Seahawks haben in Pete Carroll einen Cheftrainer, der das Team weit gebracht hat. Der aus jungen, einst übersehenen Spielern Stars formte. Der einen Geist in Seattle geschaffen hat, um den viele andere Trainer und Spieler das Team aus dem Pacific Northwest beneiden. Doch er hat in den vergangenen Jahren seine Philosophie einem erneuerten Team aufgedrückt (physisches Laufspiel und dominante Defense), das dieser nicht gewachsen war (ineffizientes Laufspiel, schlechte Defense). Gleichzeitig hat er einem sensationellen Quarterback, der die Seahawks erst in die Playoffs führte, nicht ausreichend Möglichkeiten gegeben, sie in der Postseason dann auch noch weiter in Richtung Super Bowl LIV zu führen.

Am Ende hängt es von mehr als nur der Gesundheit des Teams oder dem Play Calling ab, ob ein Team den Super Bowl erreicht. Glück, Teamgeist, Tagesform und, und und. Die Baltimore Ravens waren 2019 das beste Beispiel für fortschrittlichen American Football und waren nach einem Playoff-Spiel draußen. Deswegen ihren Weg infrage zu stellen, der Analytics intensiv mit einbezieht, wäre falsch. Und genauso wäre es falsch, das Scheitern Seattles nur am Play Calling oder nur an der Verletztenmisere festzumachen.

War die Saison 2019 ein Erfolg für die Seahawks? Definitiv ja. War mehr drin für die Seahawks? Definitiv ja. Besteht Hoffnung, dass die Seahawks unter Pete Carroll in der kommenden Saison mit einer anderen Philosophie auftreten werden? Definitiv nein. Wird Carroll 2020 noch Trainer der Seahawks sein? Davon ist auszugehen, falls er nicht von selbst aufhört. Werden die Seahawks auch 2020 wieder konkurrenzfähig sein und um die Playoffs spielen? Mit Russell Wilson als Quarterback immer.

In der Offseason bleibt genug Zeit, all diese Themen ausführlicher zu beleuchten – Erfolg, Potenzial und Philosophie.

Das Schlusswort hat der geliebte Marshawn Lynch: