Michael Bennett: Laut und stark (3/3)

Er erfand Black Santa, weil er eine Alternative zum weißen Weihnachtsmann suchte. Er ist die Säule der Verteidigung, obwohl seine Schulterpads kaum den Namen verdient haben. Er feiert seine Sacks mit einer verruchten Hüftbewegung. Er ist ein Spieler, der gerne seine Meinung kundtut und damit aneckt. Michael Bennett sorgt dafür, dass es im Pacific Northwest nie langweilig wird. Wir stellen den Verteidiger der Seattle Seahawks in einer dreiteiligen Serie vor – als Aktivisten und Profi-Sportler. Heute geht es um die Geschehnisse beim Boxkampf Mayweather gegen McGregor in Las Vegas Ende August 2017.

Was in Las Vegas passierte

Der Vorfall ereignete sich zwei Wochen nach dem Preseason-Spiel gegen die Los Angeles Chargers, bei dem Michael Bennett zum ersten Mal aus Protest während der Nationalhymne sitzen blieb. In einem Interview sagte er: „Die Leute fragen mich, warum ich sitze. Genau darum. Es sind die Dinge, die ich jetzt durchmache und die andere Leute durchmachen, die aussehen wie ich!“ Was war passiert?

Nach dem Kampf zwischen Boxer Floyd Mayweather und MMA-Fighter Connor McGregor kam es in Las Vegas am 26. August 2017 zu einem Zwischenfall im Cromwell Hotel & Casino. Zeugenberichten zufolge fielen dort Schüsse. Die alarmierte Polizei erreichte das Hotel mit der Information, dass dort eine bewaffnete Person unterwegs sei.

Ab hier zeichnet die Bodycam eines der Polizisten folgendes auf: Direkt nach dem Eintreffen fordert die Polizei alle Anwesenden auf, sich zügig nach draußen zu bewegen. Die Einsatzkräfte durchkämmen das inzwischen halbwegs leere Casino mehrfach. Immer wieder rennen Menschen in Richtung Ausgang. Vereinzelt sind jetzt Anweisungen zu hören, die Menschen im Casino sollen sich nicht bewegen. Dann macht ein Polizist offenbar eine verdächtige Person aus, die sich vom Rest der Leute entfernt und ruft: „Der da rennt!“ Die Polizisten verfolgen den Mann, einer fragt deutlich hörbar: „Hat er eine Waffe?“ Auf der Straße vor dem Hotel stellen die Einsatzkräfte die scheinbar flüchtige Person. Hier endet die Aufnahme.

Der Mann wird festgenommen und in einen Polizeiwagen gesetzt, dort werden seine Personalien aufgenommen. Zuvor wurde der Mann auf den Boden gedrückt, es kam zu einem kurzen Wortwechsel. Zwischenzeitlich stellt sich heraus, dass es sich bei den Geräuschen nicht um Schüsse gehandelt hat und der Mann auch keine Waffe bei sich hat. Die Situation hat sich entspannt. Nur der verhaftete Mann sitzt noch im Polizeiwagen. Dieser Mann aber war kein fliehender Attentäter, es war Seattle Seahawks-Defensive End Michael Bennett, der seinen freien Tag in der Offseason 2017 nutzte, um in Las Vegas den Boxkampf zu besuchen. Soweit nüchtern zusammengefasst, was auf einem der vielen Videos aus der Nacht zu sehen ist.

Das sagt Michael Bennett

Wie in den ersten beiden Teilen der Serie deutlich wurde, sind Rassendiskriminierung und Polizeigewalt gegen Schwarze Themen, die Bennett sehr nahe gehen. Nun hatte er am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, unschuldig von der Polizei festgehalten zu werden. Ein paar Tage nach dem Vorfall veröffentlichte er ein emotionales Schreiben auf Twitter, in dem er die Geschehnisse und seine Gefühle ausführlich schildert und gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die Polizei von Las Vegas erhebt.

Bennett sagt über sein Verhalten im Casino, er habe sich nach den vermeintlichen Schüssen zusammen mit anderen Leuten in Sicherheit bringen wollen. Die Polizisten hätten ihn herausgegriffen, mit gezogenen Waffen verfolgt und aufgefordert, sich auf den Boden zu legen. Dabei sei ihm von einem Polizisten eine Pistole an den Kopf gehalten worden. Der Cop habe angedroht, er werde Bennett den „verdammten Kopf wegblasen“, sollte er sich bewegen. Ein zweiter Polizist sei hinzugekommen und habe sein Knie so in Bennetts Rücken gedrückt, dass er nicht mehr richtig atmen konnte. Bennett, so schildert er es, habe in diesem Moment um sein Leben gefürchtet. „Nur, weil ich ein schwarzer Mann bin, der zur falschen Zeit am falschen Ort war“, steht in seinem Statement. Auf die Nachfrage, was er getan habe, habe er die Antwort bekommen, er solle „sein Maul halten“. Bis zur Feststellung seiner Identität wartete Bennett auf den Rücksitz eines Polizeiwagens. Nachdem klar war, wer er ist, sei er „ohne legitime Begründung für die Misshandlung durch den Polizisten“ freigelassen worden. Bennett wurde bei dem Vorfall nicht sichtbar verletzt.

Das sagt die Polizei Las Vegas

Auf die Anschuldigungen Bennetts reagierte das Las Vegas Metropolitan Police Department mit einer 17-minütigen Pressekonferenz. Sprecher Kevin McMahill erklärte, dass die Körperkamera des Polizisten, der Bennett verhaftet hatte, während des Einsatzes ausgeschaltet gewesen sei. McMahill rief die Bevölkerung dazu auf, sich mit Videomaterial vom Abend zu melden. Über 100 Sequenzen kamen so zusammen. Außerdem bestätigte McMahill, dass in dem Hotel keine Schüsse gefallen seien.

McMahill zeigte bei dieser Pressekonferenz die Aufzeichnung der Körperkamera eines anderen Polizisten (siehe weiter oben verlinktes Video, ab 3:59), der nicht an der Verhaftung Bennetts beteiligt war. Darin ist zu sehen, wie sich viele Leute, teils rennend, teils laufend in Sicherheit bringen wollen. Das Video endet, als Bennett bereits auf dem Boden liegt. Weitere Aufnahmen zeigen, dass ein Polizist eine Waffe auf Bennett richtet. Der Vorwurf übertriebener Gewalt wird dadurch weder bestätigt noch entkräftet.

Die Frage, warum der involvierte Polizist seine Kamera nicht eingeschaltet hatte, blieb unbeantwortet. Normalerweise ist es üblich, dass Polizisten in den USA ihre sogenannten Bodycams einschalten, wenn sie im Einsatz sind. Im Fall Bennett geschah dies nicht. Gegen den Polizisten, der Bennett festhielt, wurden keine Ermittlungen eingeleitet.

Echo der Kritiker

Der Vorfall in Las Vegas war gefundenes Fressen für Bennetts Kritiker. In ihren Augen ist die Faktenlage eindeutig. Sie werfen Bennett folgendes vor:

Er trage aufgrund seines verdächtigen Verhaltens beim Eintreffen der Polizei selbst die Schuld, dass er in den Fokus der Beamten geraten sei. Die Polizisten sind in der Annahme zum Casino ausgerückt, dass dort ein bewaffneter Schütze unterwegs sei. Bennett habe sich bewusst hinter Spielautomaten versteckt und gezielt versucht, vor den Polizisten nach draußen im hektischen Nachtleben in Las Vegas unterzutauchen. Laut Kritikern das Verhalten eines Attentäters. Aber auch die natürliche Reaktion eines Menschen, der in Panik ist und zu seiner Familie will. Jeder Mensch reagiert in solchen Situationen anders, vor allem dann, wenn die Anweisungen der Polizei in dieser hektischen Situation nicht konsequent sind.

Ein Polizist – so zeigt es ein zweites Video – erklärte Michael Bennett bei seiner Freilassung genau das: Er sei aufgefallen, weil er gerannt sei. Die Härte, mit der die Polizei dann gegen einen möglichen Gefährder vorgehe, sei notwendig. Ein sichtlich aufgewühlter Bennett nahm diese Erklärung hin, bezeichnete sie in seinem Schreiben Tage später jedoch als nicht ausreichend. Er durfte sieben Minuten nach Beginn der Festhaltung wieder gehen, als die Situation sich beruhigt und er den Polizisten erklärt hatte, er sei NFL-Spieler Michael Bennett.

Rassismus lautet der Vorwurf Bennetts gegenüber den Polizisten in Las Vegas. Er fragt sich, warum gerade er aus der Masse herausgepickt und gestellt wurde. Auf allen Videos sind immer wieder rennende Personen zu sehen, die Anweisung – neben anderen – ist auf mehreren Videos zu hören. Eine ausreichende Begründung hat Bennett bis heute nicht erhalten.

Die Polizei geht in Abwehrhaltung und argumentiert wie folgt: Das Casino sei zum Zeitpunkt des Vorfalles überwiegend von Afro- und Lateinamerikanern besucht gewesen, die sich aber nicht verdächtig verhielten und den Anweisungen der Polizisten Folge leisteten. Zudem sei Bennett von „drei Minderheiten-Polizisten“ (ein Afroamerikaner, zwei Latinos) verhaftet worden. Von Rassismus und Willkür sei weit und breit keine Spur. Ist das eine Begründung? Kann Rassismus nur von ethnischen Mehrheiten ausgehen?

Fakt ist: Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Schwarze von Polizisten zu unrecht verdächtigt und Opfer von Polizeigewalt. Michael Bennett kennt die Statistiken, er ist wie viele Aktivisten darüber bestürzt. Und: Er habe dies nun am eigenen Leib erfahren.

Die Kritiker bezichtigen Bennett der Lüge. Ein Beweis dafür sei, dass die Polizei von Las Vegas Bennetts Anwälten anbot, alle zur Verfügung stehenden Videos aus der Nacht durchzusehen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge haben Bennetts Anwälte nie auf dieses Angebot reagiert. Wahrscheinlich weil sie wüssten, dass Bennett lügt, vermuten die Kritiker. Eine Lügengeschichte hatte 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio US-Profi-Schwimmer Ryan Lochte die Karriere gekostet.

Fakt ist: Was genau in dem Moment von Michael Bennetts Verhaftung auf der Straße vor dem Casino zwischen ihm und dem beschuldigten Polizisten vorfiel, bleibt im Verborgenen. Und auch die Begründung für Bennetts Verhaftung bleibt schwammig. Sowohl zu Bennetts Aussagen als auch zu den Rechtfertigungen der Polizei gibt es Indizien. Dass ein Polizist in einer Stresssituation überreagiert, ist nicht auszuschließen. Genauso wenig ist auszuschließen, dass ein Mensch in einer vermeintlichen Gefahrensituation emotional handelt. Wer ist also im Recht – und wer lügt?

Das ist die falsche Frage. Die Videos, die die Polizei zeigte, klären die Geschehnisse nur zum Teil auf. Viele Sequenzen werfen neue Fragen auf, anstatt alte zu beantworten. Am Ende sieht jeder in diesen Videos genau das, was er sehen will.

Man kann Michael Bennett vorwerfen, etwas dick aufgetragen zu haben, ohne aber dabei zu vergessen, dass dieser Abend für ihn traumatisch gewesen sein muss. Man kann der Polizei vorwerfen, dass sie es trotz Körperkameras nicht schafft, die Vorfälle eindeutig aufzuklären, ohne aber dabei zu vergessen, dass die Einsatzkräfte unter extremem Druck standen.

Vielleicht aber wäre der richtige Weg viel eher gewesen, zuerst den Dialog zu suchen. In einer derartigen Stresssituation kommt es zu Missverständnissen, Menschen machen Fehler. Oft lassen sich diese durch Kommunikation beseitigen. Doug Baldwin, Wide Receiver der Seahawks, macht es vor. Auch er kämpft gegen Rassendiskriminierung und Polizeigewalt, geht dafür aber in den Dialog mit Polizei und Politik. Weg von gegenseitigen Vorwürfen, hin zu Vorschlägen, die nachhaltige Veränderungen bewirken.

 

Teil 1 ist hier abrufbar. Teil 2 gibt es hier.