“Thanks for asking!” – Meine Meinung zur Protest-Debatte

Kommentar

Am heutigen Tag sind genau 15 Jahre vergangen seit 9/11, als Anschläge die USA in ihren Grundfesten erschütterten. 15 Jahre, in denen sich das Land verändert hat. Politisch. Ökonomisch. Humanitär. Militärisch. 15 Jahre, in denen Gesellschaftsbereiche aber auch unberührt blieben von Veränderungen.

Verfolgt man die Debatte rund um den Protest von San Francisco 49ers-Quarterback Colin Kaepernick, der sich entschied, in den Vorbereitungsspielen zur neuen NFL-Saison beim Erklingen der Nationalhymne nicht aufzustehen, dann lässt sich besonders gut ausmachen, was sich in den vergangenen Jahren in den USA nicht verändert hat. Kaepernick stand zum Star-Spangled Banner nicht auf, so erklärte er später, weil er sich nicht mit einem Land identifizieren wolle, in dem Schwarze Polizeigewalt fürchten müssen und in dem Rassismus oft noch zum Alltag gehört.

Doch zu diesem Zeitpunkt war der Spieler bereits ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Er beschmutze mit seinem Verhalten die Ehre des US-Militärs und beleidige die zahlreichen Amerikaner, die tagtäglich in Risiko-Einsatzgebieten ihr Leben für die Freiheit ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger riskieren. Er sei wohl von seiner muslimischen Freundin zum Protest aufgefordert worden und konvertiere demnächst zum Islam. Er wolle sich nur wieder bei den Medien ins Gespräch bringen, weil es für ihn auf dem Spielfeld aktuell nicht mehr so gut laufe wie noch vor ein paar Jahren. Er sei trotz der vielen Millionen Dollar, die er über die Jahre eingenommen habe, undankbar und nimmersatt.

Es gab aber auch positive Rückmeldungen, zum Beispiel von Kollegen aus den eigenen Reihen sowie aus anderen Teams und Sportarten, die Kaepernick verbal oder gestisch unterstützten. Weil sie selbst Gewalt erlebt haben oder der Ungleichheit entgegentreten wollen.

So ging die eigentliche beabsichtigte Debatte um ein nicht übersehbares Problem unter in einer von Beschimpfungen, Misstrauen, absurden Vorwürfen und Verteidigungsversuchen geprägten Diskussion darüber, ob ein Spieler während der Nationalhymne am Spielfeldrand stehen, sitzen oder knien soll, darf oder muss. Colin Kaepernicks Protest sollte auf Rassismus in den USA aufmerksam machen. Die traurige Erkenntnis: Am Ende legte er nur das egozentrische Gesicht einer Nation offen, in der Fremdenfeindlichkeit, Nationalstolz und Unterhaltungsindustrie der Gleichberechtigung immer noch unverändert im Weg stehen.

Da sind die Patrioten, die ihre oder die Heldengeschichten ihrer Väter aus dem Krieg erzählen, um die Kritik an Kaepernicks unehrenhaftem Verhalten zu untermauern. Die, die sich vom Boykott eines Einzelnen gekränkt fühlen und ihr eigenes Ehrgefühl über die Interessen einer ganzen Nation stellen. Sie können ihren Stolz nicht überwinden und erkennen deshalb den wahren Grund des Protests nicht.

Da sind die Islamfeindlichen, die nach Vorbild des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump am liebsten eine ganze Religion aus dem Land verbannt sähen, die Religions- und Herkunftsvielfalt in einem multikulturellen Land aus Angst vor Terror als Bedrohung ansehen und so zur Spaltung beitragen.

Und da sind die Fans einer Sportart, die American Football über alles stellen. Die von Spielern nur kraftvolle Läufe, erschütternde Kollisionen, atemberaubende Catches und zielgenaue Pässe sehen wollen und dabei die Menschen in der Unterhaltungsmaschinerie NFL und Anliegen, die größer als ein Spiel sind, in den Hintergrund verdrängen. Weil die Menschen ja mit viel Geld entlohnt werden und dafür Woche für Woche auf dem Feld abliefern sollen.

Kaepernick hat sich gegen diese Haltungen zur Wehr gesetzt. Er machte von seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Er erhielt daraufhin Reaktionen von Menschen, die aus einer sicheren, nicht von der angeprangerten Benachteiligung betroffenen Position heraus argumentieren. Er legte offen, wo die USA auch 15 Jahre nach einem erschütternden Ereignis, das die Nation hätte zusammenschweißen müssen, Veränderungen dringend nötig haben. Sein eigentlicher Ansatz für den Protest ist völlig richtig. Der Protest an sich jedoch ist nicht nachhaltig, weil er bislang nur von Einzelpersonen unterstützt wurde.

Am Sonntagabend werden die Seattle Seahawks, der Rivale der San Francisco 49ers, den Protest von Colin Kaepernick aufgreifen. Auf den Tag genau 15 Jahre nach 9/11 werden die Spieler gemeinsam beim Erklingen der Nationalhymne den Einsatz des US-Militärs für die Freiheit aller Bürger wertschätzen.

Wichtig ist dabei besonders die Botschaft, die die Seahawks als Team verbreiten. Denn dann, wenn sich Dicke und Dünne, Schwarze und Weiße, aus ärmlichen und aus wohlhabenden Verhältnissen Stammende, Große und Kleine symbolisch Arm in Arm am Spielfeldrand zusammenfinden, ist der Fokus endlich aufs Wesentliche gerichtet. Die Einheit. Ob stehend, sitzend, kniend oder liegend ist dabei – wie Hautfarbe, Herkunft, Größe und Gewicht – völlig egal. Gäbe es einen passenderen Tag, um Veränderung anzustoßen?

Wer sich einfach nur wünscht, dass alle wieder zur Tagesordnung übergehen und Football spielen und schauen, dem sei das Buch „Friday Night Lights: A Town, a Team, and a Dream“ von H.G. Bissinger empfohlen. Dieses verdeutlicht, dass American Football und Rassismus nicht unberührt voneinander blieben. Und zeigt uns, dass wir als Konsumenten die Verantwortung tragen, uns mit der von Colin Kaepernick angestoßenen Debatte auseinanderzusetzen.