Seattle und die 12s: Dieser Mann ist der echte Zwölfer

Sam Adkins (Foto: AP/dpa/picture-alliance)

96, 80, 71, 45 und 12: Diese Nummern hängen unter dem Dach des CenturyLink Field in Seattle. Fünf Trikotnummern, die kein Spieler der Seattle Seahawks je wieder tragen wird. Vier gehören den Hall of Famern Cortez Kennedy, Steve Largent (dessen Nummer 80 durfte sich Jerry Rice 2004 für ein Jahr ausleihen), Walter Jones und Kenny Easley. Nur die 12, die trug keine dieser Legenden. Nein, die Nummer, die die Fans im Pacific Northwest und auf der ganzen Welt mit „ihrem“ Team verbindet, gehört eigentlich nur einem Mann: Sam Adkins.

Bitte wer? Noch nie gehört? Alles halb so wild. Denn selbst eingefleischte 12s wissen nicht, dass ausgerechnet ein Backup-Quarterback eigentlich Seattles „echte Zwölf“ ist. Schließlich war er von über 900 Männern, die seit Aufnahme des Spielbetriebs im Jahr 1976 den Dress der Seahawks übergezogen haben, der einzige, der jemals die Nummer 12 auf dem Spielfeld getragen hat.

1984 zogen die Verantwortlichen der Seahawks die 12 für immer aus dem Verkehr. Beim ersten Saisonspiel wurde das Trikot in Rente und in Form eines großen Banners unter das Dach des altehrwürdigen Kingdome geschickt. Mit der Zeremonie wurde den Fans, dem zwölften Mann*, ein Denkmal gesetzt. Seitdem ist die Zahlenkombination in Seattle überall: in Form von Aufklebern in Schaufenstern und auf Stoßstangen, als Lichtinstallation auf Hochhäusern oder als riesige Flagge, die an Spieltagen – egal ob heim oder auswärts – auf der Space Needle gehisst wird. Die Verbindung zwischen der Mannschaft und den Anhängern zerbrach selbst in schweren Zeiten nicht. Der Beweis: In Pressekonferenzen sprechen Quarterback Russell Wilson, Head Coach Pete Carroll und Co. nur selten von den „Fans“. Wie selbstverständlich bedanken sie sich stattdessen bei den „12s“ für die Unterstützung. In der Super-Bowl-Saison 2013 landeten vier Seahawks-Trikots in der Bestsellerliste der NFL. Wilsons Nummer 3 ganz an der Spitze, Running Back Marshawn Lynch (24) und Cornerback Richard Sherman (25) an fünfter und sechster Stelle sowie die Trikot-Kombination „Fan“ und „12“, die an letzter Stelle die Top Ten knackte.

Und der echte Zwölfer? Sam Adkins verließ die Seahawks ein Jahr bevor „seine“ Nummer am 15. Dezember 1984 in Seattle unsterblich wurde. Ausgesucht hatte er sie sich übrigens nicht. „Es war die Nummer, die sie mir gegeben haben. Wenn du nicht der beste bist und einfach froh sein kannst im Kader zu stehen, dann nimmst du alles, was sie dir geben“, erklärte er 2017 rückblickend mit einem breiten Grinsen. Bis dahin war seine Trikotnummer eine von vielen. Im Stadion trug sie bis dahin wohl kaum ein Fan. Auch nicht, als Adkins 1983 seine NFL-Karriere nach einer Handverletzung ganz beenden musste und als Moderator zum Radio und Fernsehen wechselte, wo er die Spiele der University of Washington kommentierte und die Vor- und Nachberichterstattung der Seahawks-Spiele moderierte.

Davor spielte Adkins sechs Jahre in Seattle. Ausgewählt wurde der Nachwuchsspieler von der Wichita State University im NFL Draft 1977 damals noch in der 10. Runde, an 254. Stelle. Seine Rolle unter Head Coach Jack Patera war danach klar festgelegt. Die Nummer 12 war Backup für Quarterback Jim Zorn, der zusammen mit Steve Largent ein Traum-Duo bildete und Seattles legendären Wide Receiver von einem NFL-Rekord zum nächsten warf. Insgesamt machte Adkins in Vertretung von Zorn elf Spiele für die Seahawks. Sein Quarterback-Rating ist mit 40,1 eher bescheiden. Dazu stehen lediglich 17 an dem Mann gebrachten Pässen (bei 39 Versuchen) vier Interceptions aber auch zwei Touchdowns gegenüber. Sein Karriere-Highlight erlebte der Ersatz-Quarterback am 11. Oktober 1981. Bei der 17:35-Auswärtsniederlage gegen die Houston Oilers warf er einen 31-Yard-Touchdown-Pass auf keinen geringeren als Steve Largent.

Dessen kongenialer Partner Jim Zorn war es auch, der sich als einziger Spieler die 12 von Sam Adkins ausleihen durfte. „In einer Partie gegen die Chargers musste ich mein Trikot für eine Halbzeit an Jim abgeben“, erinnert sich Adkins. Der Grund: Ein San-Diego-Verteidiger hatte dem Seahawks-Quarterback das Trikot bei einem Tackling zerrissen. Adkins: „Weil das Ersatz-Jersey nirgendwo zu finden war, hieß es in der Pause: ‚Sam, wir brauchen Dein Trikot‘ und so lief Jim zwei Quarter mit der 12 auf.“ So erzählt es Seattles echte Nummer 12 im folgenden Beitrag von NFL Films:

Genau durch diesen Trikottausch kam es zwei Wochen später beim allerersten Monday Night Game in der Geschichte der Seahawks in Atlanta zu einer kuriosen Verwechselung. In Vorbereitung auf das Spiel hatten sich die Coaches der Falcons offenbar das Duell Seattle gegen San Diego angeschaut, wo der Linkshänder Zorn im Trikot des Rechtshänders Adkins spielte. Die Folge: Vor dem Kickoff sei Atlantas Defensive Coordinator Jerry Glanville damals auf den Backup-Quarterback zugekommen. „Er meinte: ‚Hey Adkins, will mein Trainerstab mich vera… oder was? Die Coaches meinen, sie hätten Dich auf Film, wie Du mit links und mit rechts wirfst'“, berichtet Adkins, der darauf eiskalt konterte: „Ja, bei mir kommt es immer darauf an, wer der beste Pass Rusher ist. Ich will ihn schließlich von beiden Seiten kommen sehen.“ Glanvilles überlieferte Antwort, bevor er Richtung Bank trottete: „Verdammte Sch…!“

Eine urkomische Anekdote, die die „echte 12“ seit über 40 Jahren zu einem Teil der Seahawks-Geschichte und für die Seattle-Fans der ersten Stunde zu einer wahren Institution macht. Entsprechend wurde ihm auch vor einigen Jahren eine große Ehre zuteil. Vor dem Heimspiel gegen die New England Patriots durfte Sam Adkins, wie nach ihm zum Beispiel der inzwischen verstorbene Teambesitzer Paul Allen oder Stars wie Chris Pratt und Macklemore, am 7. Dezember 2008 die „12th Man“-Flagge* im ausverkauften Stadion (damals noch Qwest Field) hissen. Adkins: „Das war schon eine ziemlich große Sache für mich.“ Genau wie die Tatsache, dass er die 12 nur allzu gerne mit allen teilt: „Wir sind alle 12s. Es ist fantastisch der einzige Spieler zu sein, der sie auf dem Feld getragen hat, aber die Zwölf ist nicht meine Nummer, sie ist unsere Nummer.“

 

*2016 verständigten sich die Franchise-Verantwortlichen aus Seattle mit der Texas A&M University darauf, dass die Seahawks ihre Fans in Zukunft nicht mehr als „12th Man“ bezeichnen werden. Der Begriff hat an der renommierten Hochschule in Texas eine langjährige Tradition (erstmals aufgetaucht 1921 in einer Campus-Zeitung) und ist markenrechtlich geschützt. Die Fans der Seahawks sind seitdem als „12s“ bekannt – und nirgends hörte sich diese Bezeichnung je besser an als in dem Satz, den Seahawks-Kommentator Steve Raible im Februar 2014 in ein Mikrofon jauchzte: „12s, sie bringen die Trophäe nach Hause!“