Seahawks-Quarterback ab 2023 gesucht – Geno, Rookie oder Beides?

Seattle Seahawks Quarterback Geno Smith throws a pass against the Carolina Panthers at Lumen Field

Foto: Steph Chambers/Getty Images

Die Seattle Seahawks müssen in dieser Offseason auf der wichtigsten Position im Football eine richtungsweisende Entscheidung treffen. Nicht nur unter den 12s wird die Frage, wie es „Under Center“ weitergehen soll, kontrovers diskutiert. Auch das Front Office rund um General Manager John Schneider sucht spätestens seit dem Russell Wilson-Trade nach einer langfristigen Quarterback-Lösung.

Die unerwartete Breakout-Saison von Geno Smith

Kaum jemand hatte die Feel-Good-Story rund um Geno Smith vor der vergangenen NFL-Saison kommen sehen: Während vor gut sechs Monaten noch unklar war, wer überhaupt der Starting-QB in Seattle sein würde, überraschte Smith kurz darauf die gesamte NFL-Welt. Er spielte sich schnell in die Herzen der Seahawks-Fans, und machte den Abgang von Russell Wilson von Beginn an schnell vergessen. In vielen Metriken lässt sich Geno Smith im Jahr 2022 unter den Top 10-Quarterbacks finden:

  • #14 nach Expected Points added pro Play (EPA/Play)
  • #1 nach Completion Percentage over expectation (CPOE)
  • #7 nach Success-Rate
  • #9 nach PFF Grade

In mehreren Metriken stellte Smith Karriere-Bestwerte auf, brach gleich drei Franchise-Rekorde von Russell Wilson und wurde hochverdient zum Comeback Player of the Year gewählt. Smith konnte die Offensive sogar in gewisser Hinsicht tragen, und machte sie mit der Art und Weise, wie er die Mitte des Feldes im Vergleich zu seinem Vorgänger Wilson attackierte, noch schwieriger ausrechenbar. Zugleich blieb das vertikale Passspiel ein Faktor im Passangriff der Seahawks (#5 nach Big Time Throw-Percentage). Zusätzlich war Smith der akkurateste Starting-QB in der NFL und strahlte auch Gefahr auf dem Boden aus. In der von Offensive Coordinator Shane Waldron entworfenen Offense funktionierte Geno Smith hervorragend und hob sie zum Teil auch auf ein höheres Level.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Smith in der zweiten Saisonhälfte etwas nachließ. Dass dies mit einem kaum funktionalen Laufspiel, einer schwächelnden Defense sowie einer Regression im Pass-Blocking einherging, zeigt zudem auf, dass er nicht ganz zur elitären Top-Riege gezählt werden kann, in der Quarterbacks ein schwaches Team komplett schultern können. Neben seinen vielen Big Plays war Geno Smith ein sehr risikofreudiger Quarterback, der Woche für Woche ein paar fragwürdige Entscheidungen traf. Beim Anteil von Turnover-Worthy Plays (4,2 %), also Pässen, die in einer Interception hätten enden können, belegte er Platz 6 unter allen Startern auf Quarterback. Zugleich begleitete Smith großes Turnover-Glück, da vergleichsweise wenige dieser Plays wirklich in Ballverlusten mündeten. Smith musste außerdem die drittmeisten Sacks einstecken (46) und hatte eine lediglich durchschnittliche Pressure-to-Sack-Rate (20,7 %, Platz 24) und war in dieser relativ stabilen Metrik weit weg von den Top-Quarterbacks (Mahomes: 10,8 %, Herbert: 14 %, Allen: 14,7 %, Brady: 14,9 %).

Zusammenfassend: Geno Smith war in der vergangenen Saison ein Top 10-Quarterback, der die Offense der Seahawks trug. Und das auf einem Einjahresvertrag, der mit lediglich 3,5 Millionen Dollar Gehalt dotiert war. Und damit mit dem nur 34. höchsten Cap-Hit unter allen Quarterbacks 2022. Kaum ein anderer Spieler in der NFL konnte sein Jahresgehalt in Sachen „Preis-Leistungs-Verhältnis“ so stark in die Waagschale werfen, wie Smith. Nun erwartet der 32-jährige seinen ersten großen Zahltag in der NFL, der ihn in Richtung 30 Millionen Dollar pro Jahr katapultieren wird. Dass das Front Office der Seahawks mit einer derartigen Saison von Geno Smith nicht gerechnet hat, ist klar. Das beweist allein der niedrig dotierte Einjahresvertrag, der Smith vor der abgelaufenen Spielzeit angeboten wurde. Daher stehen John Schneider und Co. jetzt vor der Frage, ob Smith für sie rund 30 Millionen Dollar pro Jahr wert ist, und ob er die Seahawks ohne den signifikanten Cap-Vorteil der letzten Saison trotzdem in Richtung Titel tragen kann.

Wie könnte ein neuer Vertrag von Geno Smith aussehen?

Sehawks Beat-Writer Michael Shawn-Dugar hat sich mit dem einzigartigen Vertragsfall von Geno Smith beschäftigt. Die Kurzzusammenfassung an dieser Stelle: Der Fall „Smith“ ist wirklich einzigartig und folgt keinem bekannten Blueprint. Er ist der erste Quarterback seit Rich Gannon (1999), der erst im zehnten Jahr oder später erstmals in den Pro Bowl berufen wurde. Vertragsgespräche hangeln sich meist an Spielervergleichen entlang. Smiths Fall ist jedoch so einzigartig, dass es prinzipiell keine gibt. Lediglich die Vertragsverlängerung von Ryan Tannehill, der bei den Titans vom Backup zum Starter wurde, und mit 31 Jahren einen Vierjahresvertrag über 118 Millionen Dollar unterschrieb (davon 62 Millionen garantiert), ist ein einigermaßen vergleichbarer Fall. Doch während Smith zwischen 2015 und 2021 lediglich fünf Starts machte, war der Tennessee-Quarterback ein Top-10 Pick der Dolphins und von 2012 bis 2016 Full-Time-Starter. Die geringe Stichprobengröße bei Smith macht seine Vertragssituation noch schwieriger ausrechenbar.

Bob Condotta von der Seattle Times schrieb zur Vertragssituation von Smith Mitte Februar folgendes:

 

Die Seahawks wollen sich womöglich nicht zu sehr langfristig binden und werden sicherstellen wollen, dass sie den Vertrag so strukturieren können, dass sie ihre anderen Baustellen in der Offseason angehen können. Und ein Zwei- oder Dreijahresvertrag – vor allem, wenn es am Ende ein Void-Jahr gibt – bedeutet nicht, dass die Seahawks keinen QB in der ersten Runde nehmen können. Seattle draftete auch Russell Wilson 2012 in der dritten Runde, nachdem sie Matt Flynn für drei Jahre und 20,5 Millionen Dollar unter Vertrag genommen hatten.

 

Das fühlt sich wie ein realistisches Szenario an. Es ist möglich, dass Seattle ab einem gewissen Punkt keine Verlängerung anstrebt und an unterschiedlichen Konditionen festhalten wird. Dazu gehört insbesondere auch die Möglichkeit, nach spätestens zwei Jahren relativ teamfreundlich aus einem hoch dotierten Vertrag für Smith herauszukommen und sich die Option eines frühen Quarterback-Picks offenzuhalten. Möglich ist, dass sich beide Seiten rund um die Marke von 30 Millionen pro Jahr mit Garantien, die genau diesen Weg ermöglichen, einig werden.

Sollte der 5. Pick für einen Rookie QB genutzt werden?

Eine Vertragsverlängerung von Geno Smith schließt einen frühen Quarterback-Pick nicht aus. Was sich die 12s sich immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen: Auch das Front Office hat nicht damit gerechnet, sich in dieser Situation wiederzufinden und ernsthaft abzuwägen, ob ihr QB-Starter aus 2022 zumindest mittelfristig die Zukunft der Franchise ist. Nach dem Wilson-Trade und einem 2022er-Draft ohne Quarterback-Pick ist es denkbar, dass John Schneider und Co. bereits im April 2022 mit einem Auge auf die kommende Draft-Klasse schielten. Schließlich hat die auf der Quarterback-Position an der Spitze einige Talente zu bieten, die ganz nach dem Geschmack von John Schneider sind.

Mehreren Medienberichten zufolge war der Seahawks-GM bereits 2017 an Patrick Mahomes sowie 2018 an Josh Allen interessiert – während Wilson der scheinbar unangefochtene Franchise-Quarterback in Seattle war. Schneider steht auf Quarterback-Typen mit Elite-Tools und kann hier bei den Quarterbacks der 2023er-Draft-Klasse fündig werden. Möglich, dass er die im Konsens besten vier Quarterback-Prospects (C.J Stroud, Bryce Young, Will Levis und Anthony Richardson) allesamt an fünfter Stelle im Draft ziehen würde.

Ein weiteres Argument für einen frühen Quarterback-Pick ist die einzigartige Möglichkeit, einen derart hohen Erstrundenpick im NFL-Draft zu haben. Niemand kann sicher sagen, dass die Seahawks kurz- oder mittelfristig wieder in den Top 5 picken und so eine realistische Chance auf einen so hoch gehandelten Rookie-Spielmacher haben. Ansonsten spielt die relative Kostenersparnis eines jungen Quarterbacks auf einem günstigen Rookie-Vertrag mit in die Überlegungen hinein. Historisch betrachtet gibt es nur wenige junge Rookie Quarterbacks, die „unter Wert“ spielen. ESPN hat in ihrer Analyse unter Anwendung eines Expected-Points-Modells die Leistungen eines Quarterbacks an seinen jeweiligen Vertrag angepasst:

Dabei fällt besonders auf: Quarterbacks, die auf Top 10-Niveau bezahlt werden, müssen auch auf Elite-Niveau spielen, um ihren Vertrag zu rechtfertigen. Wenngleich die Methodik von ESPN nicht das finale Argument gegen das Bezahlen vieler Top-Quarterbacks ist, zeigt es doch auf, welche Risiken und Nachteile der große Zahltag für den eigenen QB hat. Lediglich Josh Allen und Patrick Mahomes konnten ihre Verträge 2022 jeweils rechtfertigen und sogar übertreffen. Und deshalb war Geno Smith mit seinem günstigen Vertrag in dieser Statistik hinter Jalen Hurts und Justin Herbert das größte Schnäppchen in der NFL.

Im Super Bowl haben so gesehen nicht einfach Jalen Hurts‘ Eagles gegen Patrick Mahomes‘ Chiefs gespielt. Es war viel mehr das Aufeinandertreffen von Mahomes gegen Hurts UND einem Cap-Vorteil von gut 34 Millionen Dollar Cap-Space. Dieser Vorteil wird bei einem neuen Vertrag von Smith rapide schrumpfen, wenn die Seahawks ihm einen Vertrag in der Region von 30 bis 35 Millionen Dollar pro Jahr geben. Und dies beinhaltet selbstverständlich die Gefahr, dass er potenziell etwas regressiert, wenngleich der Prozess in seinem Spiel abgesehen von den vielen Turnover-würdigen Plays, die glücklicherweise selten bestraft wurden, recht stabil aussah.

Seahawks-Blogger Rob Staton führte in einem Artikel zu diesem Thema einen gut nachvollziehbaren Punkt an, wenn abgewogen wird, ob Geno Smith nach dieser ausgezeichneten Saison fürstlich bezahlt werden soll:

Niemand kann sich die 46 Mio. Dollar für Kyler Murray, die 40,5 Mio. Dollar für Derek Carr, die 40 Mio. Dollar für Dak Prescott, die 35 Mio. Dollar für Kirk Cousins oder die 29 Mio. Dollar für Ryan Tannehill ansehen und denken, dass dieses Geld gut angelegt ist. Die Verzweiflung auf dieser Position hat ein finanzielles Problem geschaffen. Teams, die eine Saison ohne den „soliden, jedoch nicht elitären“ Quarterback fürchten, lassen sich schlafwandlerisch auf furchtbare Verträge ein und fesseln sich selbst an die Mittelmäßigkeit. Oft klammern sich diese Teams an die falsche Hoffnung, dass die Dinge nächstes Jahr anders sein könnten. Das ist es aber nie. Saison für Saison sehen wir das Gleiche. Eine Mannschaft, die gut genug ist, um nicht schlecht zu sein, aber bei weitem nicht gut genug, um Titel zu gewinnen.

Fazit

Getrieben von diesen Argumenten wären die Seahawks wohl gut beraten, sich nicht zu sehr zugunsten von Geno Smith festzulegen. Smith kann auch nächstes Jahr ein Top 10-Quarterback, und selbst dann zugleich der direkte Weg in Richtung Mittelmaß sein. Gut genug, um nicht schlecht zu sein, aber nicht gut genug, um Titel zu gewinnen. Genau das ist es doch, was die Seahawks seit den teuren Verträgen von Russell Wilson sind, der seit 2015 selbst nicht gut genug war, um sein Team in den Playoffs trotzdem mindestens über die Divisional Round hinauszutragen.

Nach den letzten acht Jahren Playoff-Erfahrung mit dem vermeintlichen Elite-Quarterback Russell Wilson auf einem hoch dotierten Vertrag in dieser Offseason lediglich auf Geno Smith zu setzen und die Quarterback-Position im kommenden Draft zu ignorieren, könnte sich als kapitaler Fehler herausstellen. Die Seahawks müssen bereit sein, auch ohne Smith in die nächste Saison zu gehen, sollte er über 30 Millionen pro Jahr oder mehr inklusive teamunfreundlicher Garantien verlangen. Das beste Rezept in Richtung Super Bowl-Teilnahme könnte jenes sein, das zwischen 2012 und 2014 mit Russell Wilson auf einem günstigen Vertrag zur erfolgreichsten Zeit in der Franchise-Historie führte. Die Seahawks benötigen in der kommenden Offseason den Mut und die Risikobereitschaft, um wieder gut genug zu werden, um Titel zu gewinnen.