Seahawks-Draft Check 2023 – Die Linebacker-Klasse unter der Lupe

Clemson Tigers Linebacker Trenton Simpson NFL Draft 2023

Foto: Jacob Kupferman/Getty Images

Linebacker, oder die Suche nach einem Anker im zweiten Level der Seahawks-Defense, sie geht im NFL Draft 2023 weiter. Der Status quo liest sich wie folgt: Jordyn Brooks wird die nächste Saison wohl nach seiner schweren Knieverletzung hauptsächlich auf der PUP-Liste verbringen. Und auch deshalb ist Seattle, trotz der für uns 12s traumhaften Rückholaktion von Seahawks Linebacker-Legende Bobby Wagner, weiter auf der Suche nach der Zukunft auf der Linebacker Position im diesjährigen Draft. Mit der Verpflichtung von Devin Bush scheinen hier die Plätze für die Starter hier zunächst geklärt, jedoch sind sie nicht in Stein gemeißelt, wenn der Blick auf die Linebacker-Tiefe im Kader fällt.

Die Inside Linebacker-Klasse des diesjährigen Drafts könnte von den Attributen und den Spielanlagen der Spieler nicht verschiedener sein – von klassischen Linebackern bis zu Alleskönnern ist alles dabei. Da die Seahawks hier dringend Tiefe benötigen und einen Steal landen wollen, kann der Name eines Linebackers also früh im Draft fallen. Die nachfolgende Auflistung ist eine rein subjektive Einschätzung und kein offizielles Ranking – starten wir also direkt mit dem ersten Draft-Prospect:

Trenton Simpson (21), Clemson

Trenton Simpson war 2020 ein Five-Star-Recruit als seine Wahl auf das College in Clemson und die Tigers fiel. Der Linebacker mit der Nummer 22 besticht in seiner Laufbahn bislang durch seine Athletik, die er in seiner High School-Zeit auch auf der Position des Running Backs ausleben durfte. Simpson stammt aus Columbus, Georgia, und kam früh mit Football in Kontakt, da sein Vater ebenfalls Running Back und Linebacker war, bevor er sich der US Army anschloss. Mit knapp 1,90 m Körpergröße und 107 kg Gewicht lieferte er bisher in seiner College Karriere 187 Tackles, 22,5 Tackles for loss und 12,5 Sacks ab.

Stärken

Die Stärken des 21-jährigen Linebackers liegen ganz klar in seiner Athletik und Reichweite. Er kann in den Rollen als Pass Rusher und exzellenter Blitzer agieren, als Weak Side Linebacker und gegen schnellere Quarterbacks auch als Spy. Auf dem College nutzten die Coaches der Tigers ihn als Universal-Linebacker und bewegten ihn vom klassischen Run Stopper bis in die Pass Coverage im Slot. Durch seine pure Geschwindigkeit und seinen Antritt macht es ihm auch nichts aus, gegen Running Backs oder Tight Ends in der Passverteidigung zu agieren und diese gänzlich aus dem Spiel herauszunehmen. Diese Attribute machen ihn zum perfekten Manndecker für Running Backs, aber auch zu einem explosiven Linebacker, der das ganze Feld covern kann.

Schwächen

Die Schwäche bei Simpson ist seine Art den Gegenspieler zu tacklen. Mit einer 12,9 Prozent verpassten Tacklings (missed tackle rate) hat der College-Zuschauer öfter das Gefühl gehabt, dass der Winkel beim tacklen meist nicht ganz gestimmt hat und dadurch Yards nach dem Passfang entstanden, die ein NFL-Linebacker hätte vermeiden können. Null Interceptions sprechen auf der anderen Seite im Passing Game auch dafür, dass die Zuteilung (Assignments) und die Zonenverteidigung (Zone Coverage) nicht zu den Stärken von Simpson gehören, dafür aber die Mannverteidigung (Man Coverage).

Fazit zu Trenton Simpson

Trenton Simpson kann mit NFL-Linebacker Isiah Simmons (Arizona Cardinals) verglichen werden. Die pure Athletik, der Antritt und die Reichweite werden auf NFL-Niveau benötigt, auch wenn das Tackling bisher nicht ganz zu den Stärken des Linebackers gehörte. Der Mix und die Variabilität, die Simpson in der Linebacker-Rolle mitbringen kann, machen ihn zu einem wertvollen Prospect für jeden Linebacker-Room. Er ist ein hervorragender Offball-Linebacker, der sowohl in Man Coverage als auch als Blitzer agieren kann und sicherlich eine Option in der ersten Runde sein wird.

Jack Campbell (22), Iowa

Jack Campbell stammt aus Cedar Falls, Iowa, und war auf der gleichnamigen High School in drei verschiedenen Sportarten unterwegs. Im Basketballteam war er der beste Rebounder, gewann einige regionale Titel und agierte nebenbei noch bei Leichtathletik-Events als Sprinter. Zur gleichen Zeit spielte er aber auch noch als Weakside Linebacker und wandelte sich dann zu einem klassischen Middle Linebacker, der bis heute noch den Schulrekord für die meisten Tackles (338) hält. Als Three-Star-Recruit hatte er Angebote von Iowa State, Minnesota und Northern Iowa, entschied sich dann aber schlussendlich für die Iowa Hawkeyes. Sein Vater Dave war dort Tight End, sowie Teil der Offensive Line und sein kleinerer Bruder Drew Defensive End, sodass der Football auch hier früh einen elementaren Teil seines Lebens einnahm. Mit knapp 1,95 m Körpergröße und 113 kg Gewicht lieferte er bisher in seiner College Karriere 305 Tackles, 13,5 Tackles for loss, drei Sacks und fünf Interceptions ab.

Stärken

Jack Campbell ist ein klarer Mike Linebacker, der wegen seiner Größe und Stärke ein starker Run Defender ist und auch in Coverage gut über die Mitte agiert. Sein Coach Kirk Ferentz attestierte ihm eine selbstlose und bescheidene Spielweise, die er bestätigt, indem er in jedem Training 100 Prozent Leistung gibt. Er ist ein sicherer Tackler und agiert auch gegen Double Teams mit der nötigen Härte um dem Block zu entgehen und den Running Back zu tacklen. In Spielzügen, in denen er in der vergangenen Saison doppelt geblockt wurde (21), ließ Campbell vier Yards pro Carry und keine explosiven Spielzüge als Tackler zu. Er erinnert fast an eine Throwback Linebacker Version, sprich die gute alte Art Linebacker à la Dick Butkus und so zu spielen, dass er Plays schnell erkennt und so frühzeitig stoppt. Diesen Spielstil konnte auch einer der Top-Quarterback-Prospects in diesem Jahr, C. J. Stroud, im direkten Duell zwischen den Hawkeyes und Ohio State kennenlernen.

Schwächen

So gut die Spielzug-Analyse von Campbell ist, so schlecht ist er darin, kurzzeitig auf das Play zu reagieren. Er ist zwar ein ausgezeichneter Tackler, aber kein explosiver. Daher wartet er oft zu lange, anstatt die Lücke (Gap) in der gegnerischen Offensive Line zu attackieren und den Tackle for Loss zu suchen. Es wird also spannend zu sehen, ob NFL-Coaches, es schaffen den Schalter umzulegen und Campbell dazu bewegen können, dass er weniger den Spielzug diagnostiziert, sondern die Geschwindigkeit aufzeigt, um früher das Play zu stoppen.

Fazit zu Jack Campbell

Wer einen jungen Linebacker sucht, der direkt um einen Starting-Spot als Linebacker kämpfen möchte, bekommt mit Campbell das volle Paket, um im Training 100 Prozent zu sehen. Der Mix aus einem Throwback-Linebacker, gepaart mit neuen Elementen machen ihn zu einer wertvollen Lösung auf der Position des Middle Linebackers. Ihn zeichnen starke Tacklings und eine gute Pass Coverage aus, die er mit seiner Awareness nutzen kann, um Plays früh zu stoppen. Auf der anderen Seite ist er kein starker Blitzer und hat Probleme frühzeitig auf ein Play zu reagieren, weil er zu lange mit der Analyse beschäftigt ist. Auf NFL-Niveau wird er dies abstellen müssen und ich bin mir sicher, dass wir spätestens in der zweiten Runde seinen Namen hören dürfen.

Daiyan Henley (23), Washington State

Daiyan Henley startete seine American Football Karriere auf der Position des Quarterbacks und behielt diese bis zum Ende der High School. Geboren in Los Angeles, Kalifornien, startete er im Alter von gerade einmal fünf Jahren seine Football-Karriere. In seinem letzten Jahr an der High School spielte er Quarterback, Wide Receiver, Defensive End, Safety und kam als Kicker zum Einsatz. Dementsprechend wurde Henley als Junior auch Co-MVP in der lokalen Coliseum League. Als Two-Star-Recruit ging er im Anschluss ans College in Nevada, welches ihm als einzige Universität ein volles Stipendium anbot. Hier wurde der Kalifornier zunächst zum Wide Receiver geformt und 2019 als Safety bzw. 2020 als Linebacker eingesetzt. 2021 folgte er dann seinem bisherigen Linebacker Coach an die Uni von Washington State, lieferte 2022 starke Zahlen ab und schloss zudem sein Studium in „Criminal Justice“ ab. Ein Fach, dass er nicht ohne Grund gewählt haben durfte, da sein Vater als Krimineller zwischenzeitlich zwölf Jahre im Gefängnis verbrachte, nachdem er einem Undercover Polizisten 33 Pfund (ca. 15 kg) Kokain stehlen wollte und festgenommen wurde. Mit knapp 1,82 m Körpergröße und 102 kg Gewicht lieferte Daiyan Henley bisher in seinen sechs Jahren am College 265 Tackles, 15,5 Tackles for loss, vier Sacks und fünf Interceptions ab.

Stärken

Henley ist sicherlich aufgrund seiner Statur und Athletik ein schneller Linebacker, der sowohl in Coverage als auch Lücken in der Offensive Line attackieren kann. Seine ausgezeichnete Beschleunigung gepaart mit seinem Top Speed machen ihn zu einem Linebacker, der von Sideline zu Sideline in Coverage verteidigen kann. Dazu kommt seine Erfahrung in Special Teams zu spielen, was er in seiner College-Karriere mit 630 Snaps in der Unit ausgezeichnet unter Beweis stellte. Er hat eine rasche Reaktionszeit und ist ein sicherer Offball-Passverteidiger.

Schwächen

Die Schwäche von Daiyan Henley ist sicherlich die Erfahrung auf der Linebacker-Position. Drei Jahre auf dem College in Nevada und eines in Washington State zeigen aber klar auf, wo Stärken und Schwächen liegen. Ein großer Punkt ist hier sicherlich seine Größe und seine Physis. Er ist zwar ein ausgezeichneter Athlet, bekommt aber gegen den Lauf und beim Blitzen Probleme, da die Blocker physisch und körperlich deutlich stärker sind als er. Teilweise hat er hier schon Probleme mit physischen Running Backs als Blocker.

Fazit zu Daiyan Henley

Mit Daiyan Henley bekommen NFL-Teams einen Offball Linebacker, der zwar noch ein Rohdiamant ist, aber deutliche Mehrwerte mitbringt. Die einzigartige Beschleunigung und seine Reichweite von Seitenlinie zu Seitenlinie verteidigen zu können, zeigen, wozu er in Stande sein kann. In Pass Coverage und Special Teams zeigt er bereits hervorragende Ansätze, wird sich jedoch bei der Analyse und dem Erkennen von Spielzügen sowie seiner Physis verbessern müssen, um auf NFL-Niveau mithalten zu können. Der Name Henley kann aufgrund der deutlichen Upside in Runde 2 oder 3 zu hören sein.

Drew Sanders (21), Arkansas

Drew Sanders verbrachte seine Jugend in vielen verschiedenen Städten in den USA, da sein Vater ein High School-Football Coach und Athletiktrainer war und daher viel herumkam. Sanders startete also früh mit American Football und dem Ringen. Da sein Vater als Wide Receiver-Coach in der Lake Dallas High School angestellt war, startete Drew dort seine Karriere, allerdings als Linebacker und auf der Quarterback-Position. Über verschiedene Stationen folgte er seinem Vater nach Denton, Texas, und erfüllte dort weiterhin die Aufgaben als Quarterback, Linebacker und Receiver. 2020 entschied er sich für Alabama als einer von vier Five-Star-Recruits. Die anderen Namen in seinem Jahrgang waren Bryce Young, Will Anderson und Chris Braswell. Nachdem die Jahre 2020 und 2021 nicht zur Zufriedenheit des Spielers beigetragen hatten, obwohl Alabama zwei nationale Titel gewann, ging er nach Arkansas, um eine zentrale Rolle in einer Defense einzunehmen und diese als Captain anzuführen. Mit knapp 1,93 m Körpergröße und 107 kg Gewicht lieferte er bisher in seiner dreijährigen College-Karriere 136 Tackles, 16 Tackles for loss, 10,5 Sacks und eine Interception ab.

Stärken

Drew Sanders ist in der Defense ein Schweizer Taschenmesser und kann aufgrund seiner Schnelligkeit und Beschleunigung sowohl als Mike Linebacker als auch als Edge Rusher eingesetzt werden. Er fliegt teilweise einfach durch die Gaps, um das Run Game zu unterbinden und ist definitiv ein Linebacker, den NFL-Coaches im Blitz Game einbinden werden. Aufgrund dieser Qualitäten ist er oft auf dem ganzen Feld unterwegs, kann so von Seitenlinie zu Seitenlinie verteidigen und wird daher teilweise auch schon als „The next Micah Parsons“ bezeichnet. Sanders war neben Khalil Mack der einzige FBS-Spieler seit dem Jahr 2000 (!), mit mehr als 95 Tacklings, mehr als zwölf Tackles for loss, mehr als acht Sacks, drei forced Fumbles, einer Fumble Recovery und einer Interception in einer Saison.

Schwächen

Die Schwächen bei Drew Sanders sind sicherlich die Erfahrung auf der Position des Mike Linebackers, wenn er nicht im Pass Rush eingesetzt wird. Er muss sich deutlich im Tackling steigern und weist dort starke Defizite auf. In jedem Spiel seiner letzten College-Saison wies er jeweils mindestens drei verpasste Tacklings auf! In Coverage ist er sicherlich ebenfalls ein Rohdiamant. Die Anlagen ein guter Passverteidiger zu sein, hat er, konnte er aber auch dort am College viel zu wenig zeigen.

Fazit zu Drew Sanders

Das Selbstbewusstsein zu haben, von Alabama zu Arkansas zu gehen und dort eine Defense anzuführen, sprechen für Sanders. Aufgrund seiner bisher gezeigten Qualitäten wird er von Tag 1 in der NFL ein schneller Linebacker und Pass Rusher sein. Die Frage ist, ob er primär als Quarterback-Jäger eingesetzt wird oder ob seine Spielanlagen für einen Middle Linebacker reichen. Das Potenzial dazu ist sicherlich da und es besteht ein Fragezeichen, was Sanders mit seiner Entwicklung alles noch erreichen. Für mich sicherlich das spannendste Talent auf der Linebacker-Position im diesjährigen Draft mit der stärksten Upside. Aufgrund seiner Anlagen würde es mich enttäuschen, wenn sein Name nicht Ende Runde 1/ Anfang Runde 2 fallen wird.

Henry To’oto’o (22), Alabama

Henry To’oto’o wurde früh durch seinen Vater, welcher ebenfalls Linebacker war, zusammen mit seinen Brüdern zum American Football gebracht. Aufgrund eines Umzugs kam er zur De La Salle High School, einer katholischen Schule im Osten von Oakland, Kalifornien. Er spielte dort sowohl Linebacker als auch Running Back und führte seine Mannschaft als Kapitän ins State Championship-Game gegen Mater Dei. Für ihn war das Spiel damals so wichtig, dass er sogar mit einem gebrochenen Bein spielte! Als Four-Star-Recruit hatte er sehr viele Angebote von Colleges und entschied sich schlussendlich für Tennessee, obwohl er als starker Alabama-Fan galt. 2021 wechselte er dann doch zur Crimson Tide und entschied sich unter anderem gegen Ohio State. Mit knapp 1,88 m Körpergröße und 103 kg Gewicht lieferte er bisher in seiner vierjährigen College-Karriere 354 Tackles, 31 Tackles for losse, acht Sacks und eine Interception ab.

Stärken

Auf dem College war To’oto’o als Defensive Playcaller der Alabama Crimson Tide und galt damit auf dem feld als verlängerter Arm von Head Coach Nick Saban. Er ist ein exzellenter Passverteidiger, der gepaart mit einem hohen Football IQ, von Seitenlinie zu Seitenlinie verteidigen kann. Gegen den Lauf kann er durch seine Beschleunigung und seine Reichweite ebenfalls Plays frühzeitig stoppen und als Anführer einer Verteidigung vorangehen.

Schwächen

In Pass Coverage ist er allerdings nicht wirklich als Ball Hawk bekannt. Dieses Gefühl für die Fenster zu bekommen, wo der Quarterback hinwirft, ist sicherlich etwas, woran der Linebacker mit der Nummer 10 dran arbeiten. Hinzukommen seine körperlichen Anlagen und seine Physis sowie seine Größe, die sicherlich gegenüber physischeren Spielern ein Nachteil sein wird.

Fazit zu Henry To’oto’o

To’oto’o ist ein Middle Linebacker, der aufgrund seiner analytischen Fähigkeiten, sowie seiner Reaktion ein starker Anführer in einer NFL-Defense sein kann. Er wird sich allerdings in allen Bereichen steigern müssen, um ein solides NFL-Niveau zu erreichen. Ein Pick zwischen der 3. und 4. Runde wird er sicherlich trotzdem sein.

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