Recap: Regular Season 2019 (Week 10) – Seahawks @ 49ers

Ha! Alles genau wie erwartet. Die Seattle Seahawks haben mit einem dominanten Pass Rush und einem sicheren Kicker die San Francisco 49ers mit 27:24 besiegt. Seahawks und Pass Rush und Kicker? Ja, richtig gelesen! Erstmals in dieser Saison verloren die bis dato ungeschlagenen Nordkalifornier ein Spiel, weil die Gäste aus dem Pacific Northwest nie aufgaben, Widerstandsfähigkeit bewiesen und sich auch von einem Fehler ihres MVP-Quarterbacks nicht irritieren ließen.

Mehrfach hatten die Seahawks nach miesem Start und zwischenzeitlicher 21:10-Führung die Chance, die erste 49ers-Niederlage zu besiegeln. Da waren zum einen zwei Interception-Möglichkeiten von Bobby Wagner und K.J. Wright, doch beide ließen die in ihre Richtung geworfenen Pässe fallen. (Das Linebacker-Tandem wird wohl in der kommenden Trainingswoche viel an der Ball-Maschine zu sehen sein.) Da war zum anderen der erste Drive in der Overtime, als Seattles Quarterback Russell Wilson seine zweite Interception der Saison warf. Er wollte Tight End Jacob Hollister auf dem Weg in die Endzone finden, aber der Ball landete leicht unterworfen in den Händen von Niners-Linebacker Dre Greenlaw.

So kam es am Ende, wie es kommen musste: Overtime – erneut mit dem glücklicheren Ende für Seattle.

Positiv:

DE Jadeveon Clowney: Clowney, Clowney, Clowney. Der Trade-Neuzugang war überall. Als Lauf-Stopper war er die gesamte Saison über schon spitze, aber in der Nacht von Montag auf Dienstag zeigte Clowney auch als Quarterback-Jäger, warum die Seahawks zurecht in ihn investiert haben. Ein aufgenommener Fumble zum Touchdown retourniert, ein forcierter Fumble, fünf Solo-Tackles, ein Sack und ganz, ganz, ganz viel Druck auf 49ers-Quarterback Jimmy Garoppolo. Kann General Manager John Schneider Clowneys Vertrag bitte jetzt direkt verlängern?

QB Russell Wilson: Bis Beginn der Overtime galt: Wenn jemand Wilson schaden kann in dieser Saison, dann sind es nicht gegnerische Defensive Backs, sondern seine eigenen Receiver. Diese Zahl ist unbestätigt, aber es müssen inzwischen vier Pässe des Quarterbacks sein in dieser Saison, bei denen im Nachhinein der Receiver den Ball hergibt. Wide Receiver DK Metcalf war es diesmal, der einen sicher angebrachten Pass am Ende in einen Fumble verwandelte, weil er sich das Leder einfach von San-Francisco-Safety Jaquiski Tartt entreißen ließ.
In der Overtime kam es dann zu Wilsons zweiter Interception überhaupt in dieser Saison. Kurz zuvor noch hatte er endlich auch die nötige Receiver-Unterstützung erhalten. Malik Turner entwickelt sich in seinem zweiten Jahr in der NFL zu einem Yards-nach-dem-Catch-Monster. Er machte aus 3rd & 16 einen 28-Yard-Raumgewinn, bevor es zum Pick kam (Left Tackle Duane Brown verhinderte anschließend den Pick Six). Von der Interception unbeeindruckt marschierte Wilson jedoch wenig später direkt wieder abgeklärt das Feld hinunter, um das Field Goal vorzubereiten – besonders als Scrambler.
Die Wurf-Stats des MVP-Kandidaten im Überblick: 24/34  für 232 Yards (6,8 Yards pro Pass) sowie einen Touchdown und eine Interception. Als mobiler Quarterback kam Wilson auf sechs Läufe für 53 Yards. Es mag statistisch gesehen nicht das beste Spiel vom Seahawks-Quarterback in dieser Saison gewesen sein. Doch hier zählt am Ende eher die Symbolik (auch in der MVP-Debatte vermeintlich): Wilson hat das letzte unbesiegte Team in der NFL geschlagen.

Laufverteidigung: Die Seahawks nahmen den Lauf der 49ers aus dem Spiel und hielten Matt Breida, Raheem Mostert und Tevin Coleman bei insgesamt 25 Carries für 86 Yards. Sie zwangen so Jimmy Garoppolo (effizientester Tief-Passer der Liga), die Partie durch die Luft zu bestreiten und machten dann hinten dicht. Quandre Diggs – als Free Safety aufgestellt – dürfte hier neben einem erneut fantastischen Cornerback Shaquill Griffin (Monster-Passverteidigung in der Overtime) seinen Anteil am Erfolg gehabt haben. Der Neuzugang zeigte nicht nur als harter Hitter und Ballhawk Präsenz auf dem Spielfeld.
Zu Gute kam den Seahawks definitiv, dass Niners-Tight-End George Kittle gar nicht erst auflaufen konnte und Wide Receiver Emmanuel Sanders früh im Spiel mit einer Rippenverletzung ausfiel. Dessen Backup Kendrick Bourne ließ mehrere fangbare Bälle fallen, die Seattle aber nicht in Turnovers umwandeln konnte. Vier bis fünf Interceptions wären möglich gewesen für Seattle gegen einen am Ende recht wild agierenden Garoppolo.

K Jason Myers: Zu den wirklich großen Leistungen eines Kickers gehört es, in den Momenten, in denen kaum jemand an ihn glaubt, trotzdem seinen Job zu machen. Genau das tat Myers am frühen Dienstagmorgen, als er seine beiden Kick aus 46 und 42 Yards – letzterer der Game Winner – sicher verwandelte. Gerade nach zuletzt schwachen Leistungen und starken Schwankungen tat das gut – und zeigte, dass positive Reaktionen der Mitspieler und Trainer in der Umkleidekabine einem Kicker aus dem Tief helfen können.

QB Geno Smith: In der Vorwoche noch passiv verantwortlich für den gewonnenen Münzwurf der Seahawks, machte Smith erneut – diesmal tatsächlich als Münzseiten-Wähler – alles richtig. Er zog das Glück auf Seattles Seite und verschaffte seinem Team zuerst den Ball. Dass sein Team aus diesem Vorteil anschließend nichts machte (Interception Russell Wilson), ist nicht Smiths Schuld. [Update: Das Video, das Smith beim Münzwurf zeigt, wie er angeblich „Tails“ statt „Heads“ sagt, der Schiedsrichter aber „Heads“ versteht, ist entweder eine Fälschung oder einfach von so schlechter Audioqualität, dass Smiths Wahl nicht eindeutig zu verstehen ist.]

TE Jacob Hollister: Acht Receptions für 62 Yards machen den Tight End zum zweitbesten Passempfänger an diesem Tag hinter Wide Receiver DK Metcalf. Hollister rutscht damit immer mehr in die Passspiel-Rolle des verletzten Will Dissly hinein. Durch seinem akrobatischen Touchdown-Fang im Fallen gingen die Seahawks Ende des dritten Quarters erstmals in Führung.

Neutral:

Strafen: Am meisten weh taten von den neun Strafen für 75 Yards die vier, die den 49ers zu neuen First Downs verhalfen. Und dann war da noch die Szene, als Slot-Cornerback Jamar Taylors Holding-Strafe die Interception von Shaquill Griffin im ersten Drive des Spiels ungültig.

Pass Rush: Ja, Defensive Tackle Jarran Reed hatte seine Finger beim Defense-Touchdown der Seahawks im Spiel (Sack-Fumble, die Spezialität des schwer vermissten Cliff Avril) und sammelte 1,5 Sacks. Ja, Defensive Tackle Poona Ford verbuchte einen halben Sack und sicherte einen Fumble. Ja, der Pass Rush nimmt langsam Form an. Ja, Jadeveon Clowney ist da nicht mal eingerechnet, da er bereits seit Wochen liefert. Ja, aaaber… okay, kein aber – diesmal. Wenn die Front Seven das nun konstant auf den (Kunst-)Rasen bringt, wandert die Positionsgruppe rasch nach oben in die Positiv-Kategorie.
Am Sonntag war die Defensive der Atlanta Falcons unter Dan Quinn überraschend gegen die favorisierten New Orleans Saints erwacht. Und bei Monday Night Football geschah das nun auch mit der Verteidigung der Seahawks. Das Resultat: fünf Sacks und zehn Quarterback-Hits. Das Wundermittel, das Quinn da an seinen ehemaligen Chef Carroll weitergegeben hat, scheint zu wirken.

Negativ:

CB Jamar Taylor: Man muss es nicht verstehen. Warum spielte Neuzugang Quandre Diggs auf Safety, obwohl Rookie Marquise Blair dort in den vergangenen zwei Wochen überzeugte und Bradley McDougald unangefochtener Starter ist? Warum spielte Neuzugang Quandre Diggs nicht als Slot-Cornerback, obwohl Jamar Taylor hier ein großes Sicherheitsrisiko ist, er am frühen Dienstagmorgen wieder mehrere Big Plays zuließ und die Base-Defense gegen San Francisco nicht die alleinige Lösung sein konnte? Und warum bekam eigentlich Rookie Ugo Amadi nicht endlich mal eine vernünftige Chance als Nickel-Cornerback? Viel schlechter als Taylor hätte er es nicht machen können.

Play Calling und Third Downs: Läufe bei den frühen Downs durch die Mitte waren zu erwarten, weil sie die vermeintliche Schwäche der Niners-Defense sind. Doch mit der Blocking-Leistung der Angriffslinie war da wenig Schwäche zu sehen. Wenn es am Play Calling etwas zu meckern gibt, dann sollte sich das auf die Entscheidungen bei kurzen dritten Versuchen beziehen. Von den ersten sechs kurzen Versuchen bei Third Down verwandelte Seattle nur einen. Warum? Weil das Team berechenbar war. Wenn schon laufen, dann wenigstens im richtigen Moment. Kurze dritte Versuche wären solche Augenblicke, in denen man den Lauf zumindest in Betracht ziehen sollte. Stur aufs Passspiel gehen oder in einer „leeren“ Formation keinen echten Running Back aufstellen, dafür bedankt sich jeder Gegner und nimmt den Sack oder nicht kompletten Pass gerne mit.

Ballverluste: Im folgenden Absatz gehen dem Autor aufgrund der Anzahl der Fumbles die Synonyme für das Wort „Ball“ aus. Wide Receiver DK Metcalf ließ sich Ende der ersten Halbzeit einen Ball aus der muskulösen Armbeuge reißen. Running Back Rashaad Penny verlor das Ei im ersten Drive nach der Pause bei einem Lauf durch die Mitte. Running Back Chris Carson ließ das Leder fallen, nachdem die Seahawks es gerade per Interception durch Quandre Diggs gewonnen hatten. Quarterback Russell Wilson verdaddelte das Spielgerät bei einem versuchten Sack der 49ers in die Hände seines Right Tackles Germain Ifedi, der wiederum die Schweinehaut nicht festhielt, als er zum Running Back werden wollte.

Verletzungen:

Die Seahawks gingen so gesund wie zuletzt vielleicht in Week 1 in ein Spiel. Dennoch aktivierten sie den genesenen Tight End Ed Dickson am Sonntag nicht von der Injured-Reserve-Liste. Das schmerzte besonders, als Luke Willson – bereits angeschlagen mit einer Rippenverletzung ins Spiel gegangen – kurz vor der Halbzeitpause mit einer Oberschenkelverletzung ausfiel und Jacob Hollister als einziger echter Tight End blieb (sorry, George Fant).

Gegen Ende der regulären Spielzeit musste dann Wide Receiver Tyler Lockett mit einer nicht näher beschriebenen Beinverletzung vom Feld. Er verbrachte die Overtime als Zuschauer auf der Bank. Bei der Pressekonferenz nach dem Spiel sprach Pete Carroll von einer schweren Beinprellung. Lockett verließ das Stadion nach Spielende wohl zügig für genauere Untersuchungen und flog nicht direkt mit dem Team zurück nach Seattle.

Fazit:

Phew. Das zweite Overtime-Spiel in Serie war nicht gut fürs Herz. Die Seattle Seahawks zeigten in Week 10 gegen die San Francisco 49ers, dass in ihnen alles drin steckt. Ein Team, das sich das Leben selbst unnötig schwer macht. Ein Team, das gute Gegner vor Herausforderungen stellen kann. Ein Team, das einen richtig guten Mannschaftsgeist hat. Ein Team, das sich nicht aufgibt, bis der letzte Snap gespielt ist.

Die Seahawks stehen unter Pete Carroll jetzt bei 28-5-1 in Primetime-Spielen – und haben nach der Bye Week drei weitere Spiele (zwei auswärts) zur besten Sendezeit auf dem Programm. Die Ausgangslage mit einem Record von nun 8-2 (5-0 auswärts) und nur noch einem Spiel Rückstand auf die 49ers in der NFC West könnte kaum besser sein. Flutlicht macht Freude!