Recap: Regular Season 2019 (Week 1) – Bengals @ Seahawks

Einmal tief Luft holen. Die Seattle Seahawks sind mit einem Erfolg in die Regular Season 2019 gestartet. Im Heimspiel gegen die Cincinnati Bengals reichte eine höchst durchwachsene Leistung am Ende zum knappen 21:20-Sieg. Fast schon traditionell taten sich die Seahawks sowohl in der Offensive als auch in der Defensive zu Beginn der Saison stellenweise schwer und wurden ihrer Favoritenrolle nur selten in der Partie gerecht.

Siege wie dieser werden gerne als hässlich oder dreckig bezeichnet. Vieles lief noch nicht, wie es laufen soll – bei den Seahawks und bei den Bengals. Das ist in Week 1 nicht ungewöhnlich und darf deshalb nicht überbewertet werden, zeigt aber dennoch, inwiefern eine Mannschaft in einer neuen Saison anders auftritt als im Vorjahr. Oder eben nicht. Der Rückblick.

Positiv:

WR DK Metcalf: Selbst wenn DK Metcalf nur ein paar wenige Laufwege drauf haben sollte – wenn er diese so überzeugend aufs Spielfeld bringt wie in Week 1, dann ist das zunächst völlig ausreichend. Vier Fänge für 89 Yards stehen unterm Strich und dürfen als gelungenes Debüt bezeichnet werden. Der Rookie fing früh im Spiel zwei Slant-Pässe und machte sich dann kurz vor der Halbzeit auf, einen Pass über 42 Yards von Russell Wilson in Empfang zu nehmen. Später fing er in Bedrängnis und mit anschließendem Purzelbaum diesen kurzen Pass:

RB Chris Carson: Der Running Back ist weiterhin so gut wie untacklebar. Bis auf den Fumble direkt nach der Pause machte Carson ein ordentliches Spiel (zwei Touchdowns, einmal am Boden, einmal durch die Luft, insgesamt 81 Yards) gegen eine im Vergleich zum Vorjahr stark verbesserte Bengals-Verteidigung, die auf Läufe durch die Mitte vorbereitet war. Und: Carson war mit sechs gefangenen Pässen Russell Wilsons wichtigste Anspielstation. Das Versprechen, die Läufer mehr ins Passspiel einzubinden, hat Offensive Coordinator Brian Schottenheimer eingelöst.

Effizienz aus der Not heraus: Es war insgesamt ein miserabler Tag für die Offensive. Zehn von 14 Drives kamen nicht über elf Yards hinaus und sechs davon gingen sogar nur rückwärts. Bei Third Downs (4/12) fehlte die letzte Konsequenz, was auch an Third & Long liegen dürfte. Angesichts dieser Zahlen kann man sich durchaus fragen, wie die Seahawks diese Partie überhaupt gewinnen konnten. Die Antwort: Effizienz, wenn dann doch mal etwas funktionierte. Aus nur zwölf First Downs machten die Seahawks 21 Punkte. Aus zwei Besuchen in der Redzone machten sie zwei Touchdowns. Das Turnover-Duell gewann Seattle übrigens mit 3:1.

DE Jadeveon Clowney: Der Neuzugang hatte direkt großen Impact, stoppte mehrere Läufe und drängte Bengals-Quarterback Andy Dalton aus der Pocket, sodass zwei weitere Mitspieler Sacks verbuchen konnten (Jefferson – 2, Green – 1). Möglicherweise hätte Seattle nicht gewonnen, wäre Clowney nicht im Team. Es war eine insgesamt gelungene Premiere für den neuen Defensive End im blau-grünen Trikot.

DE Quinton Jefferson: Die ganz große Show stahl Clowney am ersten Spieltag aus Seahawks-Sicht aber Rotationsspieler Quinton Jefferson mit zwei Sacks und einem geblockten Pass (insgesamt vier geblockte Pässe von der Seahawks-Defense!). Jefferson lieferte in der Base-Formation richtig ab, genau wie Al Woods auf Defensive Tackle. Bei 4th & 1 Ende des dritten Quarters hielt die Seahawks-Verteidigung, weil Jarran-Reed-Ersatzmann Woods einen Gegenspieler einfach aus dem Weg schob, um Cincinnatis Running Back Giovani Bernard unter sich zu begraben. Und dann war da noch diese komische Mischung aus Fumble und Interception, als Woods den Seahawks den Ball nach zuvor eigenem Fumble wieder zurückeroberte. Nur Poona Ford erlebte einen unauffälligen Nachmittag, dürfte aber auch seinen Anteil an den nur 34 Yards aus 14 Carries der Bengals haben.

CB Shaquill Griffin: Nach einem schwierigen Jahr 2018 legte Griffin beim Saisonauftakt gegen Cincinnati ordentlich los. Zwei stark verteidigte Pässe im dritten Quarter bewahrten die Seahawks zu diesem Zeitpunkt vor einem größeren Rückstand. Einen tiefen Pass in Richtung des extrem schnellen John Ross wehrte Griffin anschließend auch noch ab, wenngleich der Spielzug wegen einer Strafe gegen die D-Line bereits unterbrochen war. Das Publikum feierte den Cornerback trotzdem.

Neutral:

WR Tyler Lockett: Der Beweis, dass er anwesend war, waren drei Viertel lang nur seine Fair Catches bei den Punts der Bengals. Dann, im ersten Play des vierten Quarters, tauchte Lockett plötzlich frei tief in der Hälfte der Bengals auf und wurde von Russell Wilson bedient. Ein Target, ein Catch, ein Touchdown – das ist Effizienz. Dass der Veteran aber auch nur ein Mensch ist, bewies er wenig später mit dem gefühlt ersten Drop seit mehr als einem Jahr. Warum der Nummer-eins-Receiver nicht mehr ins Passspiel eingebunden war, bleibt das Geheimnis der Trainer. Lockett selbst deutete nach dem Spiel an, dass er permanent gedoppelt wurde – etwas, das er seit dem College nicht mehr erlebt habe.

Special Teams: Nach überragender Preseason und viel Lob von den Coaches machte Rookie-Linebacker Cody Barton zu Beginn der Regular Season mit einer undurchdachten Aktion auf sich aufmerksam, als er beim Punt der Bengals in den Kicker rannte und Cincinnati so ein neues First Down schenkte. Ben Burr-Kirven merzte den Fehler seines Mitspielers wenig später wieder aus, als er nach einem weiteren Punt der Seahawks dem Returner den Ball aus der Hand schlug. Beide Neulinge werden in dieser Saison Schlüsselspieler in den Special Teams sein und dürfen jetzt noch Fehler machen.

QB Russell Wilson: Der Quarterback hatte es nicht leicht. Von 45 Spielzügen endeten 25 für Wilson mit der Ballübergabe an den Running Back. Von den verbleibenden 20 brachte er 14 für insgesamt 161 Yards und zwei Touchdowns an seine Receiver (Carson – 6, Metcalf – 4, Vannett – 2, Lockett – 1, Dissly – 1). Druck kam von links und rechts und durch die Mitte. Auf den ersten Blick sind der Großteil der vier Sacks von der O-Line oder von blockenden Running Backs und Tight Ends verschuldet.
Trotz wackliger Angriffslinie kam Wilson auf ein Quarterback-Rating von 134,6 – ein neuer Karriere-Höchstwert für ihn in Week 1. Der vorherige Bestwert lag bei 115,7. Der Spielmacher blieb ruhig und ließ sich nicht von der Gesamtleistung des Teams irritieren.

Negativ:

LB Mychal Kendricks: Die Bengals machten Kendricks aus schematischen Gründen als einer der Schwachstellen im Passspiel aus und schafften es, ihn oft in Eins-gegen-eins-Duelle mit schnellen, wendigen Passempfängern zu zwingen, die er dann verlor (beispielsweise gegen John Ross bei dessen ersten Touchdown). Das kann man einem Linebacker aber im Duell mit einem wieselflinken Receiver nur bedingt zum Vorwurf machen. Im Trio mit Bobby Wagner und K.J. Wright machte Kendricks ansonsten eine gute Figur, gehörte zu den besten Tacklern im Team und war als Pass Rusher präsent.

O-Line (Germain Ifedi): Was macht bitte Tom Cable wieder in Seattle? Oder wie soll man sich diese Leistung erklären? Vier Sacks musste Russell Wilson wegstecken, zwei davon kamen in aufeinanderfolgenden Plays im dritten Quarter. Niemand will Germain Ifedi andauernd zum Buhmann machen, doch erst ließ er einen Pass Rusher der Bengals einfach so vorbeiziehen – Russell Wilson hatte keine Chance – und dann machte er einen 20-Yard-Raumgewinn von Rashad Penny durch eine Holding-Strafe zunichte. Manche Dinge ändern sich einfach nicht.

Play Calling: Die wohl an Offensive Coordinator Brian Schottenheimer gerichteten Buh-Rufe hallten bereits Ende des zweiten Viertels durchs Stadion. Warum? Weil die Seahawks sich mit wenig erfolgreichen Laufspielzügen wieder einmal in kaum lösbare Down-Situationen brachten, die dann beispielsweise bei 3rd & 17 mit einem Lauf durch die Mitte gelöst werden sollten. Erstmals besser wurde es, als Seattle im vierten Drive nach zuvor drei Punts zwar erneut mit zwei Läufen (diesmal von Rashad Penny) begann, dann aber das Passspiel mit einbezog. Die Bengals begannen das Spiel übrigens mit sieben Pässen in Serie, mussten am Ende aber auch punten.

Passverteidigung: Zwei Szenen waren symptomatisch für den Auftritt der Seahawks-Secondary an diesem Abend: Der Moment in der ersten Halbzeit, als Bradley McDougald seinen Mitspieler Ugochukwu Amadi aus Versehen niederstreckte, als er in Richtung des Ballträgers stürmte. Und Tedric Thompsons Orientierungslosigkeit.
Gerade gegen das NFL-Team aus seiner College-Football-Stadt machte John Ross das vielleicht beste Spiel seiner Karriere (trotz dreier fallengelassener Bälle). Der Wide Receiver fing sieben Pässe für 158 Yards und profitierte dabei unter anderem von Thompsons Missgeschick kurz vor der Halbzeitpause. Der Safety wollte einen tiefen Pass von Andy Dalton abwehren, verschätzte sich dabei aber, sodass der Ball Ross direkt in die Hände fiel und der in die Endzone laufen konnte. Über kurz oder lang wird Rookie Marquise Blair dem Noch-Starter seinen Platz streitig machen. Amadi war bei seinem Debüt als Nickel-Cornerback zwar meist in hautenger Deckung zu seinen Gegenspielern, doch gerade gegen den knapp zehn Zentimeter größeren Tyler Boyd reichte das nicht, um in engen Situationen das Duell zu gewinnen.
35 von 51 Pässen von Andy Dalton fanden im CenturyLink Field ihr Ziel für insgesamt 418 Yards. Besonders über die Mitte und auf Tre Flowers Seite waren die Seahawks leicht zu überwinden, dass selbst ein höchstens mittelmäßiger Quarterback zum Ballverteiler par excellence wird und die Social-Media-Abteilung der Bengals darüber staunt.

Verletzungen:

TE Will Dissly wurde bei einem Tackle am Knie getroffen und wohl vorsichtshalber aus dem Spiel genommen. Genaueres müssen bei ihm die Untersuchungen ergeben. DT Poona Ford verließ das Spiel kurz vor Schluss mit Wadenkrämpfen. Special Teamer Neiko Thorpe fiel mit Oberschenkelproblemen aus. DE Ziggy Ansah wurde nach nur einer Woche Mannschaftstraining rein vorsichtshalber noch geschont.

Fazit:

Es war ein verdammt holpriger Start der Seattle Seahawks beim Saisonauftakt zu Hause im CenturyLink Field gegen die Cincinnati Bengals. Unterm Strich aber steht der Sieg – und in der Endabrechnung interessiert sich niemand mehr dafür, wie der zustande gekommen ist. Spielerisch ist bei den Seahawks noch viel Luft nach oben, aber das war in den vergangenen Jahren zum Start der Runde nicht anders. Ja, Brian Schottenheimer scheint auf den ersten Blick dort weiterzumachen, wo er im Januar 2018 in den Playoffs aufgehört hat. Ja, die O-Line scheint Lücken zu haben, die nach einem Positivtrend 2018 eigentlich besser geschlossen sein sollten. Ja, die Secondary scheint öfter zu wackeln als dass sie Pässe verhindert. Überreagieren sollte man deswegen aber nach Week 1 der Regular Season noch lange nicht.

Wichtig ist nun, die Unsauberkeiten zu beseitigen, um in Week 2 gegen die Pittsburgh Steelers bestehen zu können (die bei Sunday Night Football gegen die New England Patriots nicht gut aussahen und mit 3:33 verloren). Besonders die Secondary muss dann deutlich besser auftreten, um im potenziellen Passfeuerwerk der Schwarz-Gelben nicht unterzugehen.

Übrigens gewannen die Seahawks 2013 in Week 1 ziemlich unattraktiv mit 12:7 gegen die Carolina Panthers. Die Auftaktspiele gegen die Miami Dolphins, Green Bay Packers und Denver Broncos 2016, 2017 und 2018 waren jeweils deutlich schwächer. Von daher: Sieg ist Sieg – was in einer Saison passiert, wird nicht allein vom Endergebnis im ersten Spiel bestimmt.