Recap: NFL Draft 2021

NFL Draft 2021

Jamal Adams (Foto: Getty Images)

Kurz und schmerzlos: drei Picks, drei Spieler. Auch wenn zwei der drei Auswahlmöglichkeiten über (kleinere) Umwege zustande kamen, so war es ein ruhiger NFL Draft 2021 für die Seattle Seahawks. Head Coach Pete Carroll und General Manager John Schneider enttäuschten viele aufs Meckern vorbereitete Fans, indem sie ausnahmsweise einmal genau das taten, was ihnen viele nahegelegt hatten: Needs bedienen. Sie versorgten die größten Baustellen Cornerback, Offensive Line und Wide Receiver. Eine Übersicht und Einordnung zu Seattles drei Picks.

Die Seahawks gingen mit historisch wenigen Picks ins Wochenende – nur dreimal durften sie aus dem Talentpool ziehen. Im Front Office hielt sich das Bedauern über die limitierten Möglichkeiten jedoch in Grenzen, weil Schneider und Carroll die Draft-Evaluation während der Pandemie für komplexer hielten. Es entstand durchaus der Eindruck, dass sie mit dem Event in Cleveland so wenig zu tun haben wollten wie nur möglich. Seit 1967 hatte nur ein Team weniger Auswahloptionen in einer Talentziehung: die New Orleans Saints 1999 (1). Die Seahawks zogen unter ihrem jetzigen Trainer-Manager-Gespann nie weniger als acht Mal. Zur Erinnerung: Viele seiner Picks tauschte Seattle in den vergangenen Monaten für folgende Spieler ein.

  • 1. Runde: SS Jamal Adams
  • 3. Runde: SS Jamal Adams
  • 5. Runde: G Gabe Jackson
  • 6. Runde: TE Stephen Sullivan (inzwischen bei den Carolina Panthers)
  • 7. Runde: DE Carlos Dunlap

Bevor’s reingeht in die Analyse, kommen wir zum alljährlichen Reminder: Grundsätzlich gilt, dass Draft-Klassen erst nach ein paar Jahren endgültig bewertet werden können. So lässt sich zum Beispiel sagen, dass die Seahawks in den Jahren 2010 (Okung, Thomas, Tate, Thurmond, Chancellor), 2011 (Baldwin, Carpenter, Maxwell, Sherman, Wright, Smith) und 2012 (Wilson, Wagner, Irvin, Lane, Turbin, Sweezy) wohl so gut wie kaum ein NFL-Team aus einer Masse an Talenten auswählten, was sie letztendlich zu einem Spitzenteam gemacht hat. Die darauffolgenden Jahre waren eher durchwachsen bis schlecht (u.a. McDowell, Michael, Poole, Prosise, Odhiambo, Penny, Collier).

Dennoch muss auch heute schon eine erste Analyse erfolgen – auf Basis der zum jetzigen Zeitpunkt vorhandenen Informationen zu den Prospects, Needs des Teams, der Herangehensweise. Deshalb hier nun ein Überblick (aber nicht so ausführlich wie in den Einzelanalysen des Kollegen Tobi in den kommenden Wochen) zur aktuellen Klasse der Seahawks. Drei Picks, verteilt über sieben Runden:

Grundsätzlich fällt es schwer, die Seahawks für ihren Draft 2021 zu kritisieren. Sie stimmten in ihren Needs überein mit den Expertinnen und Experten. Sie bedienten dann tatsächlich auch diese Positionen. Und sie ließen dafür sogar ihre Prinzipien außen vor. Natürlich kann man sich über die Wertigkeit der Picks an der entsprechenden Stelle immer streiten. Hätten die Seahawks nicht vielleicht zuerst auf Corneback gehen sollen statt auf Receiver? Hätten sie Tre Brown nicht vielleicht sogar noch später bekommen können? Wo war der frühe O-Line-Pick? Auf den ersten Blick jedoch sieht alles, was Seattle an diesem Wochenende veranstaltete, nach ordentlicher Nutzung der kleinen Ressourcen aus.

1. Runde, Pick #23: Jamal Adams, SS, LSU

In ihrer ersten Pressekonferenz seit dem bitteren Ausscheiden in der Divisional Round hatten John Schneider und Pete Carroll vor allem eine Botschaft auf ihrer Agenda: Jamal Adams sei ihr Erstrundenpick. Von 2021. Und auch von 2022. Weil der als Manndecker bislang nicht wirklich überzeugende Safety auf dem Feld primär den Quarterback-Jäger machte, gibt es inzwischen Stimmen, die den teuren Trade mit den New York Jets am liebsten rückgängig machen würden. Die Seahawks-Verantwortlichen aber pochten wenige Tage vor dem Draft darauf, einen guten Deal gemacht zu haben, als sie zwei Erstrundenpicks und einen Drittrundenpick sowie Allround-Safety Bradley McDougald in den Big Apple schickten und dafür Adams und einen Viertrundenpick bekamen.

Was Carroll und Schneider vor dem Draft auch erzählten? Dass sie zufrieden seien mit Freddie Swain in der Rolle des dritten Receivers. Ein weiterer eindrucksvoller Beweis dafür, Aussagen der Verantwortlichen nicht zu ernst zu nehmen – besonders nicht vor der Talentbörse – lieferte dann ihr erster echter Pick.

2. Runde, Pick #56: D’Wayne Eskridge, WR, Western Michigan

Kein O-Liner, kein Cornerback, sondern ein Wide Receiver. Mit dem wohl kleinsten ihrer drei größten Needs stiegen die Seahawks in den Draft ein, um Unterstützung für eines der besten Passempfänger-Duos der Liga an Land zu ziehen. Zunächst wollten sie eigentlich nach unten traden, um ihre wenigen Picks zu vermehren. Dann aber platzte ein Tauschgeschäft in letzter Minute und D’Wayne Eskridge war für Carroll und Schneider die naheliegendste Option. Er macht Sinn für Seattle – an der gedrafteten Position und wegen seiner Rolle. Der kompakte Receiver ist der umgekehrte Richard Sherman, denn er spielte einst auch Cornerback.

Er selbst beschreibt sich als aggressiv, explosiv und dynamisch. Wenn das so zutrifft, kann er ein echter Treffer für die neue Offensive unter Coordinator Shane Waldron werden. Seine Eigenschaften könnten den Seahawks helfen, mehr Yards nach dem Catch zu sammeln – ob aus dem Slot heraus oder auf der Außenbahn. Wie Tyler Lockett, der lustigerweise wohl langsamste Receiver unter drei schnellen, ist Eskridge vielseitig einsetzbar auf dem Feld. Für die Seahawks ist Eskridge der Türöffner zu noch mehr Drei-Receiver-Sets und hat von allen drei Picks die besten Chancen auf Spielzeit.

Dass Eskridge von einem kleineren College aus der MAC-Konferenz kommt, war für die Seahawks-Verantwortlichen spätestens nach dem Senior Bowl kein Problem mehr. Dort überzeugte der Receiver gegen Spieler von größeren Universitäten mit starken Händen und flinken Bewegungen in allen Phasen der Route vom Release über Richtungswechsel bis hin zum Wettrennen um Yards nach dem Fangen.

Stärken und Schwächen:

  • ➕ Speed und Explosivität
  • ➕ starker Release
  • ➕ Deep Thread und YAC-Monster
  • ➖ Fangsicherheit
  • ➖ limitierte Routen-Vielfalt
  • ➖ fehlende Größe

Einer, der Eskridge ebenfalls schon vor dem Draft für die Seahawks im Visier hatte, ist Tobias Weyel, der auch für die German Sea Hawkers regelmäßig schreibt und podcastet. Er formulierte zum Receiver am 22. April hier folgende Sätze:

Eskridge ist einer meiner absoluten Lieblinge im NFL Draft 2021. In ihm sehe ich einen guten System-Fit für die Seattle Seahawks, sei es für den tiefen Ball oder um im neuen Offensiv-Scheme von Shane Waldron einige Yards nach dem Catch zu erzielen.

4. Runde, Pick #137: Tre Brown, CB, Oklahoma

Man nenne es den D.J.-Reed-Effekt: Seit der vergleichsweise kleine Cornerback bei den Seahawks vergangene Saison so einschlug, scheint Pete Carroll von seinem Prototyp abgewichen zu sein. Dafür spricht jedenfalls, dass er am Samstag den knapp 1,79 Meter großen Tre Brown auswählte, der vom Körperbau her arg an Reed erinnert. Auf den ersten Blick ist er damit prädestiniert für den Slot, der mit Ugo Amadi und Marquise Blair jedoch ausreichend besetzt scheint. Bei den Oklahoma Sooners aber spielte Brown auf der Außenbahn – und geht es nach Carroll, soll sich das in Seattle nicht ändern.

Bevor Brown bei den Seahawks landete, tradete das Team zum ersten Mal in diesem Draft zurück. Für Pick 129 bekam John Schneider die Picks 137 und 217 von den Tampa Bay Buccaneers (was sich später als wichtig herausstellen sollte). Aus 137 wurde anschließend Tre Brown und damit ein weiterer Spieler, der beim Senior Bowl überzeugt hatte. Als physischen, intelligenten Typ bezeichnete sich der Cornerback, als er gebeten wurde, sich selbst zu beschreiben. Größe spiele für ihn keine Rolle, er werde einfach den Wettkampf suchen. Man mag ihm glauben, denn seine größte Stärke ist vielleicht auch eine seiner Schwächen. Am College nahm Brown die Aussage seines Trainers, das Team kassiere zu wenige Strafen, wörtlich und fand sich dann ob seiner Kämpfernatur im Flaggenregen wieder.

Er wäre ein Top-Ten-Pick gewesen, wenn er größer wäre, sagte Pete Carroll nach dem Draft. Das klingt ein wenig wie das, was 2012 über Russell Wilson erzählt wurde. Dass die Seahawks von ihren Prinzipien abrückten dürfte aber nicht nur mit Wilson und Reed zu tun haben. Schneider sagte dazu: „Wir hätten natürlich liebend gerne große Cornerbacks. Aber manchmal muss man sich anpassen.“ Vielleicht deutete der GM damit an, dass kleine vermeintliche Slot-Cornerbacks immer öfter auch auf der Außenbahn zu finden sind und dort größeren, unbeweglicheren Verteidigern Knoten in die Beine spielen würden. Vielleicht realisierte er aber auch einfach, dass die großen Defensive Backs zu dieser Zeit schon längst vom Board waren.

Viele Fans schlussfolgerten aus dem Pick, dass das Interesse der Seahawks an Richard Sherman damit erloschen sein sollte. Im Gegenteil: Alle vier Teams, mit denen Sherman eigenen Angaben zufolge bislang in Kontakt war, wählten am Wochenende Cornerbacks aus. Wenn Sherman noch ein, zwei Jahre als Veteran und Mentor und großer Verteidiger mit herausragender Technik auf teamfreundlichem Vertrag in sich hat, ist damit nicht nur dem Rookie geholfen, der ich am All-Pro orientieren kann, sondern auch den Seahawks und ihrer Kadertiefe. Dass Sherman hervorragend in Seattles Schema passt, sollte klar sein.

Stärken und Schwächen:

  • ➕ physische Klette und Speedster
  • ➕ Aggressivität (ultimativer Wettkämpfer)
  • ➕ Potenzial als Special Teamer (Gunner/Returner)
  • ➖ Aggressivität (Strafen)
  • ➖ ungeklärte Positionsfrage
  • ➖ fehlende Größe und Armlänge

6. Runde, Pick #208: Stone Forsythe, T, Florida

Und nun zur großen Wundertüte des NFL Draft 2021 – Stone Forsythe. Buchstäblich groß, 2,03 Meter groß. Der Offensive Tackle war in den Prognosen überall zu finden, wirklich überall. Manch ein Scout beurteilte ihn als sofortigen Starter. Manch anderer hatte ihn nichtmal unter den besten 300 Prospects gelistet. Selbst die Seahawks-Verantwortlichen konnten sich am Samstag nicht erklären, warum Forsythe so unterschiedlich bewertet wurde, bezeichneten ihn in ihrer Evaluation der Picks gegenüber der Presse aber natürlich als Spieler, der auf ihrem Board deutlich höher stand, als es seine Auswahl vermuten lässt.

Die Seahawks jedenfalls versuchten eigenen Angaben zufolge bereits weit vor der 6. Runde, in der sie ihn am Ende bekamen, nach oben zu traden. Lange Zeit – gefühlt zwei Stunden, so Schneider – wollte ein Pick-Tausch einfach nicht gelingen. Dann aber willigten die Chicago Bears ein, kassierten die Picks 217 und 250 und gaben Seattle dafür 208 – und einen außergewöhnlichen Spieler. „Größe kann man nicht lehren“, sagte Forsythe nach dem Draft. Mit seinen langen Armen hält er Pass Rusher vom Quarterback fern. Dabei schafft er es hervorragend, seinen massiven Körper unter Kontrolle zu halten.

Bei den Florida Gators spielte der von Schneider als „Monster Man“ bezeichnete O-Liner in einer passlastigen Offensive. Das wirkte sich auf seine Fähigkeiten aus. Als Quarterback-Beschützer überzeugt er, als Blocker für Running Backs noch nicht wirklich. Er könne nun von einem der Besten im Geschäft lernen, sagte Carroll und meinte damit Duane Brown. Von einem anderen Besten im Geschäft hatte Forsythe da bereits viel mitgenommen: Steve Hutchinson, Hall of Famer der Seahawks begleitete den Rookie in der Vorbereitung auf den Draft und gab so den Seahawks exklusive Einblicke.

Zur Positionsgruppe eine Notiz am Rande: Im Rahmen ihrer Abschluss-PK erklärten Carroll und Schneider, dass in der O-Line Gabe Jackson auf Right Guard spielen werde und Damien Lewis dafür auf Left Guard wechseln werde. Uns fehlen die Einblicke ins Training, um den Move nachhaltig beurteilen zu können. Doch die Tatsache, dass Lewis als Rookie rechts überzeugte und Jackson links die besseren Noten bei Pro Football Focus (PFF) abstaubte, gibt zu denken.

Und dann wäre da abschließend noch dieses Nugget von der Spieler-Pressekonferenz: Die Eltern des O-Liners orientierten sich bei der Auswahl seines Vornamens laut Sohn zwar nicht an einer speziellen Sportart. Die Verbindung zum Showkampfsport ist aber unübersehbar: „Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich, wenn es mit dem Football nicht klappen sollte, immer noch ins Wrestling – zum Beispiel zu WWE – wechseln könnte. Gerade mit einem Namen wie Stone, der ja in diesem Zusammenhang auch irgendwie nach Dwayne „The Rock“ Johnson klingt“, scherzte Forsythe. Und wenn wir schon beim mineralischen Sprachgebrauch sind: Für den Roo(c)kie ist der Weg in die Startformation der Seahawks ein steiniger. Aber lässt er sich in Seattle schleifen, wird aus ihm vielleicht irgendwann ein Diamant.

Stärken und Schwächen:

  • ➕ Pass Protection
  • ➕ Größe (Reichweite) und Athletik
  • ➕ Fundamentals (Ruhe, Fußarbeit)
  • ➖ Run Blocking
  • ➖ Größe (Beweglichkeit)
  • ➖ Handarbeit

Undrafted Free Agent Signings

Nach dem Draft ist vor der Verpflichtung von Undrafted Free Agents, die bei der Talentauswahl nicht berücksichtigt wurden. Die folgende Liste wird laufend aktualisiert. Sie enthält die Spieler, die Berichten zufolge bei den Seahawks unterschreiben und gemeinsam mit den drei Draft-Picks in Seattle vorspielen dürfen. Teams dürfen auf NFL-Anweisung hin nicht Stellung beziehen zu verpflichteten Undrafted Free Agents, deshalb ist die Aufzählung ohne Gewähr.

Auch 2021 geht es für Seattle darum, den Kader auf 90 Athleten aufzufüllen. Dabei können die Seahawks wie alle NFL-Teams rund 160.000 US-Dollar an Boni ausschütten, um Spieler im Wettbieten für sich zu gewinnen. Stand heute sind bislang nur rund 70 Profis unter Vertrag. Hier die Spieler, die mit den Seahawks bislang in Verbindung gebracht werden:

  • Tamorrion Terry, WR, Florida State*
  • Cade Johnson, WR, South Dakota State*
  • Jared Hocker, OL, Texas A&M
  • Pier-Olivier Lestage, OL, Kanada
  • Bryan Mills, CB, North Carolina Central
  • Josh Johnson, RB, Louisiana-Monroe
  • B.J. Emmons, RB, FAU
  • Connor Wedington, WR, Stanford
  • Jon Rhattigan, LB, Army
  • Jake Curhan, OL, California
  • Greg Eiland, OL, Mississippi State
  • Jarrod Hewitt, DT, Virginia Tech

Stand: 2. Mai, 11:05 CEST; *beide ebenfalls von Tobias Weyel hier gescoutet und vielversprechend

Und nun?

Die Arbeit am Kader für die Saison 2021 ist noch lange nicht vorbei für die Seahawks. Erfahrene Spieler wie Cornerback Richard Sherman und Linebacker K.J. Wright wären noch zu haben und könnten den jungen Talenten im Kader helfen. Seattle muss sich in den kommenden Wochen dort bedienen, wo bei anderen Teams mit größerem Aufgebot Spieler gestrichen werden. Das bedeutet nicht, dass die Seahawks in die Jahre gekommene Stars überbezahlen sollen  – das können sie aufgrund der finanziellen Situation sowieso nicht. Das bedeutet aber, dass sie sich zumindest anschauen müssen und werden, inwiefern andernorts entlassene Spieler ihnen in einer kleinen Nebenrolle weiterhelfen können.