„Im eigenen Umfeld auf die Krankheiten aufmerksam machen“

DGM

Mehr als 100.000 Menschen sind in Deutschland von einer neuromuskulären Erkrankung betroffen. Tobias Baumann gehört zu ihnen – und er gehört zu uns. Das German Sea Hawkers e.V.-Mitglied leidet an Muskeldystrophie Duchenne, einer genetisch bedingten und unheilbaren Krankheit. Tobias gab den Anstoß zu unserer diesjährigen Spendenaktion, bei der wir 500€ für die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM) gesammelt haben. Wie wichtig es gleichzeitig ist, das Bewusstsein für die seltenen Muskelkrankheiten zu schärfen, hat uns DGM-Bundesgeschäftsführer Horst Ganter im Interview erzählt.

Herr Ganter, Muskelkrankheiten sind in Deutschland nur wenigen Menschen ein Begriff. Woran liegt das?
Das liegt daran, dass es eine große Zahl an seltenen Erkrankungen gibt. Und die Muskelerkrankungen gehören alle dazu. Alleine aus der Tatsache heraus, dass es über 800 verschiedene Muskelkrankheiten gibt, schließt sich, dass kein Mensch die alle kennen kann. Selbst wir bei der DGM kennen nicht aus dem Stegreif alle, die zum Formenkreis neuromuskulärer Erkrankungen zählen, aber wir wissen natürlich, wo wir nachschauen können. Ein Verband, der nur eine einzige Erkrankung vertritt, hat es da leichter. Wir hingegen sprechen bei uns von einer  Vielzahl an Erkrankungen, die man in eine Vielzahl von Kategorien unterteilen kann. Die kennt auch kein Arzt auswendig.

Eines unserer Mitglieder im Fanklub leidet an Muskeldystrophie Duchenne. Was können Sie uns über die Krankheit erzählen?
Ganz allgemein werden in der Medizin zwei Kategorien unterschieden. Unter die eine fallen Krankheiten, die Muskelerkrankungen im engeren Sinn sind, weil die Muskulatur direkt betroffen ist. Bei der anderen Kategorie sind es die Nerven zum Muskel, die krank sind. Die Auswirkungen jedoch sind bei beiden Kategorien die gleichen. Von den Muskelerkrankungen ist der Typ Duchenne sogar noch eine der bekanntesten. Diese tritt früh auf, betrifft schon Kinder. Im Großen und Ganzen erkranken daran bis auf ein paar wenige Ausnahmen nur Jungs. Die Krankheit ist genetisch bedingt, also vererbt, und wird durch die Mütter übertragen. Unter den Muskeldystrophien gibt es noch seltenere Formen als den Typ Duchenne. Doch wenn man ihn mit einer sogenannten Volkskrankheit wie Krebs vergleicht, ist er wieder sehr selten und unbekannt.

Was kann jeder einzelne Mensch tun, um Muskelkrankheiten mehr Bekanntheit zu verschaffen?
Natürlich helfen uns Spenden dabei, unsere Arbeit bei der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. zu tun. Dazu gehören die Öffentlichkeitsarbeit und viele andere Tätigkeitsfelder. Als Einzelperson kann man – ganz abgesehen vom Spenden – im eigenen Umfeld auf die Krankheiten aufmerksam machen. Das tun Sie ja jetzt zum Beispiel auch, indem Sie Ihre Kanäle nutzen. Dort machen Sie auf ihre Aktivitäten und dadurch auf Muskelkrankheiten aufmerksam und das ist enorm wichtig. Das Thema bekannt zu machen, ist genauso wertvoll wie eine Spende. Ich will das nicht gegeneinander aufwiegen, aber es geht nicht nur darum, Spendengelder zu generieren, sondern immer auch darum, die Aufmerksamkeit für die Erkrankungen – ich will da keine herausheben – zu schärfen. Denn im Bewusstsein der Bevölkerung ist noch nicht angekommen, dass die Menschen, die eine seltene Erkrankung haben, unter besonderen Problemen, auch in unserem Gesundheitssystem, zu leiden haben. Wenn Sie sehen, was gerade jetzt zur Weihnachtszeit durch die Medien geht, dann werden Sie in erster Linie auf das Thema Krebs stoßen, weil es die am weitesten verbreitete Krankheit ist und jeden treffen kann. Klar, das gilt für Muskelerkrankungen, die nicht genetisch bedingt, sondern erworben sind, auch. Nur ist die Wahrscheinlichkeit geringer, weil die Krankheiten so selten sind.

Die DGM ist beispielsweise in Forschung, bei Selbsthilfe und als Wegbegleiter von Erkrankten tätig. Wie kann eine Spende in diesen Bereichen konkret helfen?
Sie haben schon die wesentlichen Punkte genannt. Zu unseren unterschiedlichen Aufgabenfeldern, gehört auch die Information. Information ist nach wie vor ein wichtiger Punkt, der heute durch das Internet schon stark abgedeckt wird. Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Informationen seriös, überprüft und gut aufbereitet sind. Konkrete Beratung und Forschungsförderung sind weitere wichtige Punkte, auch die Vertretung der Schwerbetroffenen im gesundheitspolitischen Bereich, weil sie diese oft nicht selbst leisten können. Das alles braucht Ressourcen, das kostet Geld. Da sind wir dann wieder an dem Punkt der Spende.
Bei der Forschung spielt eine Rolle, dass die Industrie an seltenen Erkrankungen von sich aus ein eher geringeres Interesse hat als an Krankheiten mit Marktpotenzial. So funktionieren Wirtschaftsunternehmen. Deshalb muss man versuchen, die Forschung anderweitig anzuregen. Wir tun das, indem wir Forschungsstipendien und -preise vergeben und ausschreiben und so Ärzte und Wissenschaftler auf dieses Thema lenken. Jeder Euro mehr, den wir ausgeben können, bringt wieder neue Chancen für Projekte oder Studien, weil sich die Forschung hier oft noch im Grundlagenbereich bewegt.

Welche Rolle spielt bei der Verwendung der Spendengelder die Tatsache, dass viele Krankheiten unheilbar sind?
Die spielt eine immens wichtige Rolle, besonders in der Beratungsarbeit. Logischerweise stellt es eine große psychische Belastung dar, wenn jemand erfährt, dass sein Kind eine unheilbare Erkrankung und vielleicht damit verbunden auch eine deutlich verkürzte Lebenszeit hat. Das muss erstmal bewältigt werden und da kommt unserem Beratungsnetz eine Schlüsselrolle zu.

Gibt es aktuell Aktionen, mit denen die DGM auf Muskelkrankheiten aufmerksam machen will?
Im Moment steht bei uns die Aktion #Bärenstark für Muskelkranke im Mittelpunkt. 2015 feierten wir das 50-jährige Jubiläum der DGM, da gab es ein breit gefächertes Angebot an Aktionen. Aktuell kehrt wieder ein wenig Normalität ein, was aber nicht heißt, dass wir nicht mit der selben Intensität weiterarbeiten.

Die German Sea Hawkers e.V. sind ein American Football-Fanklub, der sich demnach mit einer Sportart beschäftigt, in der ein durch Muskeln geschützter Körper für die Protagonisten von enormer Wichtigkeit ist. Wo sehen Sie Potenzial für die Zusammenarbeit unserer Vereine?
Solche Verbindungen sind wunderbar. Es ist wünschenswert, wenn daraus Aktivitäten und Aktionen entstehen. Gerade da, wo Menschen mit gesunden Muskeln zum Beispiel Sport betreiben, besteht eine Verbindung. Weil es eben auch Menschen gibt, für die Muskulatur eine ganz andere Bedeutung hat als für Sportler. Deswegen ist das ist ein toller Ansatz, der auf jeden Fall verfolgenswert ist.

Herr Ganter, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Ihr wollt mehr über die Aufgaben und Ziele der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke erfahren? Hier geht’s zur Infobroschüre.

 

Zu Besuch bei Frieda und Tobias

Tobias Baumann empfing die German Sea Hawkers e.V. im Dezember bei sich zu Hause. Natürlich drehte sich beim Besuch des Fanklubs alles um die gemeinsame Leidenschaft für American Football und die Seattle Seahawks, doch auch Handball und Fußball wurden in der Runde diskutiert. Zudem waren Tobias‘ Krankheit Muskeldystrophie Duchenne und die Reisen seiner Plüschtier-Eule Frieda Thema der Gespräche. So wurden auch für weitere Ausflüge der Eule über den großen Teich zu Super Bowl LI und zum bekannten Seahawks-Fan NorbCam die Planung in Angriff genommen.

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