Zum insgesamt dritten Mal in der Geschichte und davon zum zweiten Mal unter Pete Carroll standen die Seahawks am Ende der Saison 2014/15 im großen Finale. Aber alles nacheinander.
Nach einem durchwachsenen 3-3-Start konnte Seattle neun der letzten zehn Spiele gewinnen und sicherte sich somit Platz eins in der NFC West und gleichzeitig der kompletten NFC. Dadurch hatte man wie schon 2013 ein First-Round Bye und Heimrecht in den gesamten Playoffs. Dies sollte im NFC Championship Game zum großen Vorteil werden, welches wohl als eines der genialsten Spiele in Seahawks-Geschichte eingehen wird. In der ersten Runde traf man auf die Carolina Panthers um QB Cam Newton. In einem spannenden Spiel (das durch einen Touchdown nach Interception kurz vor der eigenen Endzone von Kam Chancellor beendet wurde) setzte man sich mit 31:17 durch und zog ins NFC Title Game ein. Als Gegner kamen die Green Bay Packers um QB Aaron Rodgers ins CenturyLink Field nach Seattle. Dieses Spiel sollte nichts für schwache Nerven und Leute mit Herzproblemen werden (obwohl die wohl jeder andere danach auch hatte!). Mit insgesamt vier Interceptions (davon drei in der 1. Halbzeit) war es wohl gleichzeitig auch die schwächste von QB Russell Wilson in seiner noch jungen Karriere. Dementsprechend war der Halbzeitstand mit 0:16 das Resultat. Doch was dann passierte, wird wohl auch so schnell niemand vergessen. Bei noch 4:50 Minuten im 3. Viertel zu spielen sah es ganz danach aus, dass die Seahawks ihre ersten Punkte an diesem Abend produzieren würden. Nicht mehr als Ergebniskosmetik wahrscheinlich. Steven Hauschka machte sich bereit um ein 38 Yard-Field Goal zu schießen und somit auf 3:16 zu verkürzen. Doch Pete Carroll und sein Offensive Coordinator Darrell Bevell hatten eine andere Idee und so wurde aus einem sicher geglaubten Field Goal-Versuch ein Fake-Spielzug, der mit einem Touchdown-Pass von Holder/Punter Jon Ryan zu Rookie Tackle Garry Gilliam endete. Jeder rieb sich die Augen und erst die Wiederholung machte deutlich was da gerade passiert war. Neuer Spielstand also 7:16. Doch bei diesem Highlight sollte es nicht bleiben! Die Packers schossen ein Field Goal und somit stand es 7:19 aus Sicht der Seahawks. Doch dann kam die wohl unfassbarste Schlussphase in der Geschichte der Seahawks (und ja, eine weitere turbulente im Super Bowl, aber dazu später mehr). Bei noch 5:09 Minuten im 4. Viertel wirft Wilson seine vierte Interception des Spiels und alles sah danach aus, dass die Packers in den Super Bowl einziehen werden. Doch der Spruch: „It’s not about how you start a Game, it’s how you finish it!“ war wohl nie passender wie an diesem Tag in Seattle. Russel Wilson zeigt sein wahres Gesicht und läuft einen Touchdown von der 1-Yard Linie. 14:19, noch 2:09 Minuten zu spielen! Selbstverständlich werden nun alle Möglichkeiten versucht das Spiel zu drehen und Steven Hauschka setzt an zum Onside Kick. Packers-Spieler Bostick rutscht das Ei durch die Hände, Chris Matthews macht es besser und fängt den Kick. Ballbesitz Seattle an der Mittellinie. Wilson erläuft ein First Down und noch wichtiger: Stoppt die Uhr noch gerade so vor dem Two-Minute Warning indem er ins Aus läuft. Die Seahawks machen weiter Druck: Marshawn Lynch erzielt einen 24 Yard-Touchdown und nach einer schier unglaublichen Two-Point Conversion von Wilson zu Tight End Luke Willson steht es auf einmal 22:19. Übrige Spielzeit: 1:25! Ein angezähltes Green Bay rettete sich mit einem 48 Yard-Field Goal kurz vor Schluss in die Verlängerung. 22:22, Overtime. Ein packendes Spiel in den bereits 60 gespielten Minuten sollte also noch einen Zuschlag erhalten. Seattle gewinnt den Coin Toss und erhält den ersten Ballbesitz der Verlängerung (diesmal wäre der bereits erwähnte Spruch von Matt Hasselbeck im Playoff-Spiel gegen die Packers besser angebracht gewesen!). Mit einem Touchdown im ersten Drive wäre das Spiel gewonnen und Green Bay erhält keinen Ballbesitz mehr. Nach drei Minuten und 19 Sekunden dann die Erlösung: Wilson zu Jermaine Kearse, zu dem Spieler, in dessen Richtung zuvor vier Bälle gingen, die zu Interceptions wurden. 35 Yard-TD, 28:22-Sieg, NFC Champions, zweite Super Bowl-Teilnahme nacheinander.
Ein vor Glück und Erleichterung weinender Russell Wilson, eine auf einem Fahrrad vollzogene Ehrenrunde von Michael Bennett und eine Stadt im Ausnahmezustand nach einem Spiel für die Geschichtsbücher.
Diese Geschichte sollte ein weniger erfreuliches Ende finden, als es am 1. Februar 2015 hieß: SUPER BOWL XLIX (49) in Glendale, Arizona. Als Gegner warteten mit den AFC Champions die New England Patriots um Quarterback Tom Brady und den deutschen Right Tackle Sebastian Vollmer. Es war also angerichtet, um eine überragende Saison mit dem zweiten Super Bowl-Sieg in Serie zu krönen.
Rein ins Spiel, welches nach einem verhaltenen Start beider Mannschaften ein wenig vor sich hin plätscherte. Bis der Auftritt von Cornerback Jeremy Lane folgte, der leider auch sein letzter an diesem Abend sein würde. Nach einer gefangenen Interception wird Lane nach einem Tackle mit einem gebrochenen Handgelenk sofort ausgewechselt und verbringt den restlichen Abend nicht im Stadion sondern im Krankenhaus. Ein bitterer Moment, der ein wenig wie die berühmte Schockstarre schien. New England und Tom Brady bringen in der Folge nämlich ihren ersten Touchdown aufs Scoreboard und führen mit 7:0. Doch es folgte ein guter Drive der Seahawks, in welchem Russell Wilson und WR Chris Matthews Verantwortung übernahmen und der mit einem 3 Yard-TD Run von Marshawn Lynch das Spiel ausglich (7:7). In den letzten 30 Sekunden sollte noch einmal richtig Feuer in die Partie kommen, denn wer dachte beide Mannschaften würden sich mit 7:7 in die Halbzeit begeben der sollte eines besseren belehrt werden: Brady auf Tight End Rob Gronkowski bei noch 30 Sekunden Spielzeit, 7:14 aus Sicht der Seahawks. Doch wer dachte, dass die Seahawks sich damit zufrieden geben würden und sich mit einem „Quarterback Kneel“ und damit das Auslaufen der Zeit in die Halbzeit verabschieden würden sollte in den folgenden 29 Sekunden sein blaues Wunder erleben. Russell Wilson zeigt noch einmal eine Monster-Performance und legt einen nicht für möglich gehaltenen letzten Drive hin, der nach insgesamt 80 Yards mit einem gefangenen TD-Pass über 11 Yards von wieder Chris Matthews endete und somit bei 2 Sekunden in der ersten Halbzeit nicht wie erwartet 7:7 oder 7:14 auf der Anzeigetafel in Arizona erschien, sondern ein 14:14.
Den besseren Start in die 2. Hälfte erwischten die Seahawks und so stand es nach einem Hauschka-Field Goal und einer Interception von Bobby Wagner (die im darauffolgenden Drive mit einem 3 Yard-Touchdown von Doug Baldwin gekrönt wurde) 24:14 für Seattle. Mit diesem Stand ging es auch ins 4. Viertel. Das Momentum konnte aber nicht weiter genutzt werden und so musste man den nächsten TD-Pass von Brady auf Danny Amendola hinnehmen (24:21). Seattle konnte im nächsten Drive kein First-Down erzielen und somit kam New England relativ schnell wieder in Ballbesitz. Dieser wurde ärgerlicherweise mit Bradys drittem Touchdown (diesmal zu Julian Edelman) beendet und somit stand es zwei Minuten vor dem Spielende 24:28 aus Seahawks-Sicht. Doch wer der Meinung war, dass New England sich schon den Champions-Ring anstecken könne wurde zum wiederholten Male eines besseren belehrt! Seattle (und allen voran Russell Wilson) gab nicht auf und kämpfte sich kurz vor Ende des Spiels an die berüchtigte 1-Yard Line vor die Endzone der Patriots. Mitverantwortlich in dieser Phase war auch Jermaine Kearse mit einem unglaublichen Circus Catch. Schon am Boden liegend tippte er sich den Ball irgendwie von seinem Knie in die Hände und brachte seine Mannschaft so in gute Feldposition. Nun begann die wohl tragischste Schlussphase in der Geschichte des Super Bowl, verbunden mit einer Frage, die sich die ganze Welt in diesem Moment stellte: Warum bekam Marshawn Lynch den Ball nicht? Ob diese Frage berechtigt ist oder nicht, darüber dürfen wir nicht urteilen. Doch die Entscheidung polarisierte Fans, Spieler und Coaches stark.
Seattle verpasst leider den zweiten Super Bowl-Sieg in aufeinanderfolgenden Jahren denkbar knapp und muss sich bis heute für die Entscheidung in der Schlussphase verantworten. Ein kleines persönliches Statement möchte ich zu dieser abgeben: Wenn es funktioniert hätte, wäre die Reaktion genau andersrum gewesen und Pete Carroll und sein Coaching Staff wären als Helden in die Geschichte eingegangen. Ich fand es mutig und es zeigt den Stil der Trainer in dieser Situation ganz gut. Ein gewisses Maß an Risiko gehört in einer komplett durchdachten Sportart einfach dazu. Mut wird den Seattle Seahawks bestimmt noch den ein oder anderen Vorteil verschaffen. Da bin ich mir sicher. Klar hilft das alles nicht über die Realität hinweg und man muss sich mit der Entscheidung abfinden, aber ich würde dieser vergebenen Chance nicht nachweinen, sondern versuchen, es beim nächsten Mal einfach besser zu machen.