Moritz Böhringer: Vom sanften Traum in die harte Realität

Moritz Böhringer hat Geschichte geschrieben, als er am Samstagabend als erster Spieler direkt aus Europa den Sprung in die US-amerikanische National Football League (NFL) geschafft hat, ohne jemals an einer High School oder einem College gespielt zu haben. Doch die wirkliche Herausforderung folgt erst jetzt.

Es ist nicht die Art von Moritz Böhringer, große Töne zu spucken oder sich ausgiebig vor Kameras zu äußern. Der wortkarge Maschinenbaustudent aus Aalen ist einfach nur froh, dass das Warten nun ein Ende hat und er sich seinem Lieblingsteam, den Minnesota Vikings, anschließen darf. Böhringers neuer Trainer im hohen Norden der USA, Mike Zimmer, hat den Traum des Passempfängers wahr gemacht. Dieser kann weitere Türen öffnen. Doch zuvor wartet die harte NFL-Realität auf den 22-Jährigen. Wie genau sieht diese aus?

Der Hype…
um Moritz Böhringer war und ist in Deutschland groß. Und selbst im Mutterland der Sportart war der ehemalige Spieler der Schwäbisch Hall Unicorns, der erst mit 17 Jahren zum American Football kam, in aller Munde. Es ist kein Geheimnis, dass die National Football League expandieren und außerhalb der USA neue Zielgruppen erschließen will. Böhringers Talent und seine Geschichte sind dafür ein hervorragendes Marketinginstrument, das die NFL konsequent einsetzt. Setzt der Deutsche sich bei den Vikings durch, könnte er irgendwann das Gesicht einer neuen Generation werden – der Dirk Nowitzki des American Football.

Die Position…
ist für diese neue Generation entscheidend. Denn im Gegensatz zu bereits in der NFL etablierten Deutschen wie Markus Kuhn und Sebastian Vollmer spielt Böhringer als Wide Receiver auf einer sogenannten Skill-Position, was bedeutet, dass er direkt für Punkte verantwortlich sein kann. Das wiederum kann zu Highlight-Videos führen, die bis nach Deutschland herüber schwappen. Kuhn und Vollmer spielen auf den fürs bloße Auge relativ unattraktiven Positionen als Quarterback-Jäger und -Beschützer und haben mit dem Ball meist keinen Kontakt.

Der Fahrplan…
bedarf großer Ausdauer. Bis Moritz Böhringer überhaupt für Highlight-Videos sorgen kann, wie sie von ihm bereits aus der GFL existieren, wird noch viel Zeit vergehen. So sieht der Plan für die kommenden Monate bis zum Saisonstart im September aus:

  • Anfang bis Mitte Mai: „Rookie Minicamp“  – die Neulinge (Rookies) dürfen erstmals unter ihren neuen Coaches trainieren.
  • Ende Mai: „Organized Team Activities“ – die Rookies trainieren erstmals gemeinsam mit dem gesamten Team.
  • Juni und Juli: Training – weitere verpflichtende (teils individuelle) Trainings- und Theorieeinheiten, um das Spielsystem zu verinnerlichen.
  • Ende Juli: „Training Camp“ – das gesamte Team kommt zum Trainingslager zusammen und absolviert neben zahlreichen Trainingseinheiten ab dem 9. August vier Vorbereitungsspiele gegen Cincinnati, Seattle, San Diego und Los Angeles.
  • Anfang September: „Roster Cuts“ – die Kader der Teams werden in zwei Stufen innerhalb von wenigen Tagen von 90 auf 75 und dann auf finale 53 Spieler verkleinert. Übersteht Böhringer beide Cuts, gehört er zum Team. Schafft er es nicht, besteht immer noch die Möglichkeit, über ein anderes Team oder die Trainingsmannschaft der Vikings den Sprung in einen 53er-Kader zu schaffen.
  • 11. September, 19 Uhr deutscher Zeit: Saisonauftakt der Minnesota Vikings auswärts bei den Tennessee Titans.

Die Minnesota Vikings…
sind das Lieblingsteam von Moritz Böhringer. Er hat jetzt die Chance, ein fester Teil genau dieses Teams zu werden. Ansässig ist der NFL-Klub seit seiner Entstehung im Jahr 1961 in Minneapolis. Die Teamfarben sind Lila, Gelb und Weiß, Heimstätte der Mannschaft wird ab der kommenden Saison das brandneue U.S. Bank Stadium sein. Der Besitzer der Vikings heißt Zygmunt Wilf und wurde in Deutschland geboren. Rick Spielman ist seit 2012 der Teammanager in Minnesota, Mike Zimmer seit 2014 der Cheftrainer. Die Vikings haben bislang noch keinen Super Bowl-Titel, den Sieg im Finalspiel der NFL, errungen, zählen aktuell aber zum erweiterten Favoritenkreis. Vergangene Saison scheiterten sie in der 1. Runde der Playoffs an den Seattle Seahawks.

Die Mitspieler…
heißen beispielsweise Adrian Peterson oder Teddy Bridgewater. Zum American Football kam Moritz Böhringer durch Erstgenannten, weil er einst ein Video von Peterson auf YouTube anschaute. Peterson ist einer der erfolgreichsten Running Backs in der Geschichte der NFL. Neben der Auszeichnung als MVP der Saison 2012 erhielt er zahlreiche individuelle Ehrungen.
Viel wichtiger für Böhringer wird es aber sein, mit seinem neuen Quarterback Teddy Bridgewater eine gute Chemie zu entwickeln. Denn der soll es sein, der den Deutschen in Zukunft mit Pässen versorgt. Bridgewater ist mit 23 ebenfalls noch recht jung und geht in seine erst dritte Saison in der NFL. Die Stärke von Bridgewater ist das Kurzpassspiel, bei langen Pässen ist er oft zu ungenau. Und weil die Vikings stark auf das Laufspiel von Adrian Peterson setzen, sind die Statistiken beim Passspiel nicht recht unspektakulär. Berechenbar – doch das könnte sich in der kommenden Saison ändern. Neben Böhringer haben die Vikings in der 1. Runde Laquon Treadwell ausgewählt – einen hochtalentierten Wide Receiver mit ähnlichen Körpermaßen. Mit Hilfe von großen Passempfängern wird Minnesota versuchen, die Ungenauigkeiten in Bridgewaters tiefen Pässen auszugleichen.

Der Konkurrenzkampf…
ist groß. Böhringer muss mit mindestens acht weiteren Ballfängern um voraussichtlich fünf bis sechs Plätze kämpfen. Darunter ist mit Stefon Diggs jedoch nur ein einziger, der vergangene Saison überzeugte. Der Aalener sollte versuchen, als Rookie so viel wie möglich von seinen etablierten Kollegen zu lernen und dann seine körperlichen Vorteile einsetzen. Denn für ihn spricht, dass er mit seiner Masse und Körpergröße (1,95 Meter, 100 Kilogramm) vielen Verteidigern überlegen ist und auch als Blocker für Adrian Peterson und als Passempfänger auf der hybriden Position des Tight Ends eingesetzt werden kann. Vielseitigkeit und Athletik sind das Plus von Böhringer, mangelnde Erfahrung das Minus.

Das Geld…
liegt für einen Spieler, der in der 6. Runde ausgewählt wurde, nicht auf der Straße. Für seine Vertragsunterschrift am Montag erhielt Böhringer einen Bonus von rund 150.000 US-Dollar. Wie viel dazu kommt, hängt von der Leistung ab – so läuft das Geschäft in den USA. Schafft er es Anfang September in den finalen Kader, würde ihm sein durch die Draft-Position festgelegter Vertrag über vier Jahre geschätzt 2,4 Millionen US-Dollar einbringen.

Die Prognose…
ist schwierig. Böhringer wurde im Draft in der 6. Runde an 180. Stelle ausgewählt. Statistisch gesehen schaffen es rund 50 Prozent der Spieler, die zu einem ähnlichen Zeitpunkt von einem Team gedraftet wurden, ins finale 53er-Team. Böhringers athletische Fähigkeiten sind unbestritten, doch bislang hat er sich nur in der GFL und gegen unterklassige amerikanische Spieler beweisen können. Von nun an wird er gegen eine Verteidigung bestehend aus erfahrenen NFL-Profis antreten und um seinen Platz kämpfen müssen. Die Tatsache, dass Böhringer außerdem noch nie ein komplexes Spielsystem lernen musste, ist von den Vikings einkalkuliert, stellt für den jungen Deutschen aber eine Herausforderung dar. Für Minnesota könnte Böhringer ein Projekt darstellen, das über mehrere Jahre hinweg an das höchste Niveau herangeführt werden soll.

Der aktuelle Hype um Moritz Böhringer ist erfreulich für die Sportart American Football in Deutschland, muss jedoch relativiert werden. Niemand weiß besser als der Spieler selbst, dass er die Trainer von jetzt an Tag für Tag überzeugen muss, um am Ende tatsächlich zum Team zu gehören. Deswegen tut er gut daran, seine ruhige Art beizubehalten und sich dem zu widmen, was er statt Interviews geben und vor Kameras sprechen viel lieber tut – trainieren.